Liebe, gute Susette!
Ich liebe Dich! – In diesem einfachen Worte, welches ich Dir hier als mein tiefst empfundenes Geständniß ausspreche, ist eine Unendlichkeit von Empfindungen und Gedanken zusammengefaßt, die mich so in kurzer Zeit im Innersten meiner Seele bewegt haben, und ist zugleich die ebenso einfache Lösung gegeben von vielen bangen Zweifeln und von einer schmerzlichen Ungewißheit, die mir, bis ich jenes Wort mit seinem Sinn gefunden hatte, nicht wenig Unruhe und Qual in den letzten Tagen meines Aufenthalts bei Euch bereitete. Wie ich zu dieser Lösung gekommen, dies werde ich Dir vielleicht – wenn Du es mir vergönnst – einst später erzählen; für jetzt ist es genug, daß ich sie mit voller Klarheit erkenne und darin schon eine große Beruhigung gefunden habe, ehe ich Dir selbst noch das Geständniß davon ablegen konnte. Denn ich bin dadurch wieder mit mir selbst in Einklang gekommen, und meine Liebe zu Dir, die ich nicht gesucht, sondern unerwartet in mir entdeckt habe, erscheint mir, selbst wenn sie unerwidert wäre, wie ein Schatz, der meinem ganzen inneren Wesen einen höheren Werth und eine schönere Stimmung verleiht. Mein Herz, das vorher öde war und leer, doch unbefriedigt, weil liebebedürftig, ist nun erfüllt und beständig beschäftigt mit all’ der Liebenswürdigkeit, die ich in Deinem himmlischen Wesen, Du liebe, gute Susette! ebenso tief gefühlt als klar erkannt habe. Ich bin dadurch nicht nur um Vieles reicher geworden, sondern ich glaube auch um so edler, vollkommener und Gott gefälliger zu werden, je mehr ich meine Seele mit meiner Liebe zu Dir nähre.
Wie gesagt, ich bin erst in den letzten Tagen, beinahe möchte ich sagen Stunden, klar und entschieden geworden über diese meine Liebe zu Dir. Wie ein Bild davon erschien es mir, als ich gestern morgen nach durchreister Nacht endlich die lichte Sonne aufgehen sah aus einem Meere von Nebeln, welches die Thäler noch bedeckte: so ging mir jene Klarheit und Gewißheit auf aus der trüben Fülle von Zweifeln, die meine Seele vorher quälte.
Am Morgen, nachdem wir Abends vorher bei unserer herzlieben Lina zusammen gewesen, war ich entschieden: ich ging zur Lina und vertraute ihr meine Liebe zu Dir. Da sie mir sagte, daß sie nicht glaube, Du hättest eine Ahnung davon; da ich dies selbst nicht glauben konnte, weil mir selbst erst meine Liebe gewiß geworden, und da meine Abreise schon auf den Mittag desselben Tages angesetzt war, so faßte ich den Vorsatz, mein Geheimniß Dir gegenüber noch zu bewahren, um Dich nicht durch ein unerwartetes Geständniß zu erschrecken und zu verwirren, um Dich nicht zu einer ganz unvorbereiteten Entscheidung zu drängen. Denn nicht in einem Momente leidenschaftlicher Erregung wollte ich eine halb erzwungene Entschließung herbeiführen, sondern ich wünschte Dir Zeit und Ruhe zur inneren Sammlung und Selbstprüfung zu lassen, damit Du Dich mit Deinem Herzen und Gott berathen könntest, damit Dein Entschluß, je freier und reiner, auch umso wahrer und fester sein möchte. Ich will Dir den wichtigsten Schritt Deines Lebens, von dem auch mein Glück abhängt, nicht abgewinnen, liebe, theure Susette, weder durch Leidenschaft, noch durch Überredung, noch durch die Gunst unserer Verhältnisse und Beweggründe, sondern ich bitte Dich inständigst um Dein und mein selbst willen nur Deinem innersten Herzenszuge zu folgen, welcher Deiner reinen Seele die klare und unzweifelhafte Antwort geben wird auf die Frage, ob Du Dich mir mit ganzer Liebe und unbedingtem Vertrauen hingeben kannst, um uns beide zu einem vollkommeneren und schöneren Leben zu erheben, ob Du mit Zuversicht hoffen darfst, mit mir glücklich zu sein.
Sieh‘, liebe Susette, ich kann Dir keine glänzende äußere Lage mit allen Genüssen und Bequemlichkeiten des Lebens anbieten, sondern nur eine einfache und beschränkte Häuslichkeit, keine hohe äußere Lebensstellung, wohl aber eine solche, der es an persönlicher
Ehre nicht fehlt, und gestützt auf eine vorwurfsfreie Vergangenheit – denn, damit Du auch wissest, worauf ich am meisten stolz bin, das ist, daß ich weder der Welt, noch auch der, die ich liebe, und die sich mit mir für alle Zukunft verbindet, irgend etwas in meinem Leben abzubitten brauche. Doch was ich Dir mit meiner eigensten Persönlichkeit, mit mir selbst, zubringe, – worauf (so wie ich Dich kenne) das ganze Gewicht Deiner Entscheidung beruhen wird – so muß ich es allein dem Urtheil Deines Herzens überlassen, ob Du darin etwas, das Deiner Liebe würdig wäre, gefunden hast. Ich gestehe, daß ich in dieser Beziehung am meisten bange bin und daß meine Zaghaftigkeit wächst, je mehr ich bedenke, was Alles ich Dir, wenn Du mir folgen würdest, ersetzen soll. Eltern, Geschwister, Freundinnen der Jugend in einem selten so anziehenden und glücklichen Verein, die ganze Heimat, in der Dein Dasein bewußt und unbewußt Wurzel gefaßt hat: welche Gaben hätte ich dafür anzubieten, um das Alles zu verlassen: – ich weiß, es sind keine, wenn sie nicht das Auge der Liebe auffinden und dafür ansehen möchte! Darum kann ich Deine Liebe, theure Susette, nur von ihr selbst hoffen und begehren: nur von ihr will ich die Entscheidung nehmen; ihr allein will ich mein ganzes Glück zu verdanken haben, nichts mir selbst, nichts der guten Meinung und dem Zureden Anderer, nichts der Erwägung äußerer Verhältnisse. Hörst Du wohl, liebe Susette. Also prüfe Dich ruhig und besonnen, wie Du bist, und wenn Du nichts in Deinem Herzen findest, was mir Deine ganze Liebe verspricht, so weise mich ab, fest und ohne Zögern, und laß Dich nicht irren durch Andere, wer es auch sei, damit Du nicht Dich zugleich und mich unglücklich machst durch Leid ohne Liebe, das Du Dir auflegst. Demüthig werde ich auch solche Entscheidung von Dir hinnehmen, denn ich habe meinen Stolz vor Dir abgelegt, und wie ein Mann werde ich die Wunde meines Herzens überwinden, wenn ich auch nicht aufhören werde, Dich zu lieben, und kein Vorwurf gegen Dich soll je über meine Lippen kommen. –Der Zufall oder ein freundliches Geschick veranlaßte, daß ich noch einen Tag länger bei Euch bleiben mußte, als ich dachte. Ich war glücklich und unendlich befriedigt in Deiner Nähe, und auch wenn Du mir nicht nahe warst, waren doch alle meine Gedanken fortwährend nur bei Dir und bei meiner Liebe zu Dir: ich war zerstreut und fast Mutter in dem letzten Morgengebete die Worte vorlas: „Gieb, Herr, daß ich nur gehe die Wege, die Dir angenehm sind“, da dachte ich, daß es für mich gewiß der Gott gefälligste Weg wäre, ein so himmlisches, liebes Wesen, wie Dich, zu lieben, und als ich auf dem Johannis Kirchhof unsere lieben Todten besuchte, die der Himmel in seinen liebenden Schoß aufgenommen hat, und dort einen sanften Grabesgesang anstimmen hörte, da ergriff es meine Seele mit solcher Wemuth, daß mich meine Gefühle überwältigten und ich auf dem Rückweg zu dem Entschluß kam, sofort zu Deinem Vater zu gehen und ihm meine Liebe anzuvertrauen. Seine herzliche Freude darüber und das ehrende Vertrauen, das er mir dabei bezeigte, vermehrten die Beruhigung, die ich auch schon darin fand, daß ich die Gefühle, die mich innerlich bedrängten, aussprechen durfte; und daß er, der liebende Vater, Alles nur Deiner Entscheidung anheim stellte, war eben nur das, was ich selbst am meisten wünschte und von ihm erwartete. Nicht minder herzergreifend war mir die innige Rührung Deiner lieben Mutter, welcher ich nachher dasselbe Geständniß wiederholte. Doch daß Du nicht glaubst, liebe Susette, ich wolle die liebevolle Theilnahme Deiner theuren Eltern für mich bei Dir geltend machen! Die Liebe, die ich von Dir begehre, ist eine andere und darf nur eine ganz freiwillige sein. So hielt ich auch fest an meinem Vorsatz, weil ich ihn einmal gefaßt hatte, mich nicht sofort gegen Dich zu erklären, und es gab – um mir nicht ein solches Verdienst daraus zu machen – in den letzten Stunden auch keine Gelegenheit, die mich versucht hätte, ihn nicht zu halten. Beim Abschied entließest Du mich zuletzt mit einem Blick, der mir ins Innerste der Seele ging und Dein Bild darin gleichsam befestigte, so daß ich es beständig mit mir herumführe und es immer wieder mit Liebe betrachte, wodurch ein sehnsüchtiges Verlangen nach Deiner Nähe in mir entsteht, dem ich mich unwiderstehlich hingeben muß.
gedankenlos bei Allem, was ich sonst noch hörte, sah und that, wenn ich es nicht auf Dich beziehen konnte. Als Deine liebeLiebe, gute Susette, herzliebes Mädchen, ich lege meine Liebe in Gottes Hand und Dir ans Herz und frage Dich vor Gott, ob Du die meinige werden willst, ob Du mir ganz und für immer angehören kannst? – Die Antwort schreibe einfach von Deinem reinen Herzen ab und sende sie mir nach Rostock (Mecklenburg).
Meine Mutter grüßt Dich mit unaussprechlicher Liebe von ihrem Schmerzenslager, wohin sie durch einen schweren Fall gebannt ist. Ich grüße Deine lieben Eltern und Geschwister viel tausend Mal, ebenso unsere Lina aufs innigste.