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Karl Hegel an Susanna Maria Tucher, Rostock, 30. Oktober 1849

Innigst geliebte Susette! Du Einzige und Liebste meines Herzens: wie soll ich Dir danken für die so heiß ersehnte und nun so voll gewährte Versicherung Deiner Liebe, für Deine Hingebung, womit Du mir ganz und für immer angehören willst! Meine Brust schwillt von dem Glück meiner Liebe, durch die ich mich über mich selbst gehoben fühle; denn „wo die Lieb‘ erwacht, da stirbt das Ich, der dunkele Despot.“1 Ich umarme Dich als meine geliebte süße Braut und nehme Dich auf in mein innerstes Wesen: ich verlasse meine Einsamkeit, um alle Freuden und Leiden des Lebens mit Dir zu theilen. Möchte ich doch nur reich genug sein an Liebe, um Dir ebenso viel zurückzugeben, als ich empfange; möchte es mir nicht fehlen an allen guten Gaben des Geistes, damit Du nie einen Mangel in Deinem Sein oder eine Lücke in Deinem Herzen empfinden möchtest! Ich fühle zu lebhaft, liebe Susette, wie viel ich Dir zu ersetzen habe, um nicht deshalb bange zu sein. Denn ich darf Dir nicht verbergen, daß ich durch mein langes Alleinstehen im fremden Lande, fern von der Liebeswärme meiner nächsten Angehörigen, ein selbstgenügsames, hartes und sprödes Wesen angenommen habe, welches die Liebe erst wieder allmählich schmelzen oder erweichen muß, damit es selbst liebenswürdig erscheine und werde. Die Kämpfe des öffentlichen Lebens, welche ich seit anderthalb Jahren bestanden, haben mich vollends so gestählt, daß ich meiner Empfindungen vollkommen Herr geworden bin; aber weil ich sie zu oft unterdrückt habe, um in der Ruhe des kalt abwägenden Verstandes die Überlegenheit zu behaupten, so sind sie von selbst schwächer geworden, und mein Herz bedarf sehr der Liebe, um wieder zu erwarmen. Du wirst ihm wieder Leben geben, theure Susette; denn es hat sich Dir geöffnet, wie die halb erstarrte Blume dem frischen Thau und dem warmen Himmelslicht. Nicht darfst Du daher zweifeln und fragen, was Du mir sein und bieten könnest, wenn Du mir doch Dein Herz voll Liebe schenkst.

Dein lieber Brief2, der Bote meines höchsten Glücks, ist wohl hier schon zwei Tage gelegen, bevor ich selbst ihn und seinen reichen Inhalt in Empfang nehmen konnte. Du kannst Dir denken, mit welcher Spannung ich ihm entgegensah, mit welcher Ungeduld ich noch mehrere Tage in Schwerin, um nothwendiger Geschäfte3 willen, verweilte. Es war gestern Abends ½ 10 Uhr, da ich ihn empfing und mit unendlicher Rührung las und wieder las und närrischer Weise an meine Lippen drückte. Du warst mit ihm der erste Gedanke meines Erwachens, und ich fing aufs neue an ihn zu lesen, obwohl ich ihn beinahe auswendig wußte. O liebe gute Susette, wenn ich Dich nur selbst erst bei mir hätte! – Heute morgen packte ich dann meine Sachen aus Koffern und Kisten aus – ein unleidliches Geschäft – und suchte meine alte Tischgesellschaft zu Mittag im Gasthofe auf. Nachher ging ich zu meinem lieben Freunde, dessen liebenswürdige Frau nicht minder meine Freundin ist – heißt Stannius und ist Professor der Medicin – welcher nach seiner neckischen Art mich sogleich fragte, ob ich verlobt sei: er fragte mich aber so, weil ich über die Zeit ausgeblüben4 und er mir schon lange eine liebe Frau gewünscht – und da ich die Frage kurzweg bejahte, so war große Freude im Hause. Denke Dir, liebe Susette, so machst Du schon hier große Freude! Morgen aber werde ich Dich, als meine (innig geliebte) Verlobte, mit meinem Namen auf eine Karte5 drucken lassen und die Karte an alle guten Freunde und Bekannte in Rostock versenden, worauf ich viele Glückwünsche empfangen werde, die ich alle mit in Deinem Namen annehme. Auch werde ich die Anzeige unserer Verlobung in einem Brief lithographiren lassen6 und den Brief allenthalben an meine Freunde in Schwerin, in Berlin, in Göttingen, in Heidelberg, in Halle, in Leipzig und wo ich sonst noch Freunde habe, hinschicken – und überall – das weiß ich gewiß – freudige Theilnahme finden. Ebenso wird Dein lieber Vater bei Euch die Anzeige machen – auch nach Erlangen (an Hofmann) und München (an Lubin) werde ich sie schicken. So bist Du dann vor aller Welt meine liebe erkorene Braut – ich zittere vor Freude, indem ich Dich meine Braut nenne, und küsse Dich tausend Mal, innigst geliebte Susette!

So eben gehen Briefe von meinen Lieben aus Berlin ein, in Begleitung Deines lieben Briefes an meine theure Mutter.7 Sie bezeigen mir aufs neue ihre innigste Theilnahme an unserem Glück. Auch geben sie mir gute Nachricht von der lieben Mutter, an der die eigenthümliche Kur des Streichens wahrhaft Wunder gethan hat. Die gute Wirkung dieser Kur konnte ich selbst noch in Berlin bemerken, da ich, um die Folgen des Unfalls und die eintretende Besserung abzuwarten, noch bis zum 25. Oktober 1849 Morgens dort blieb – von demselben Tage ist Dein Brief an mich und mein künftiges Lebensglück datirt. Wir hatten nur Ursache Gott zu danken dafür, daß kein Bruch, sondern nur eine Verstauchung des Hüftgelenkes und Lähmung des ganzen linken Beins stattgefunden hatte: am dritten Tage ließen die heftigen Schmerzen nach, so daß die liebe Mutter schlafen und auch das Bein wieder etwas bewegen konnte. Nach den neuesten Nachrichten, die ich nun so eben erhalte, ist noch eine weitere Besserung eingetreten; doch wird die liebe Mutter immer noch eine Zeitlang das Bett hüten müssen, bis sie das gelähmte Bein wieder gebrauchen kann. – Ihre Freude über unser Glück ist groß und unaussprechlich: Du weißt, was sie für eine reine und himmlische Seele ist, voll Aufopferung, Güte und Liebe, die nicht das Ihrige sucht. Es ist mir eine unendliche Befriedigung, daß ich ihr noch diese Freude, worin ihr sehnlicher Herzenswunsch erfüllt ist, gemacht habe.

Liebe Susette, Du wirst mir nun auch mittheilen, welchen Eindruck unsere Verlobung in Deinem nächsten und ferner stehenden Kreise gemacht hat: ich besorge, daß er an einer Stelle ein schmerzlicher gewesen ist, wenngleich ich mir deshalb keinen Vorwurf zu machen habe. Wir wollen uns gegenseitig in unsere innere und äußere Welt einführen, damit wir miteinander, so viel die schmerzliche, hoffentlich recht kurz dauernde Trennung es zuläßt, sowohl innerlich eins werden, als auch hier und dort zu Hause finden. Besonders ist es aber an mir, Dich in meine Dir ganz fremde Welt einzuführen, und ich will Dir nach und nach meine Umgebung und Lebensweise beschreiben und von den Freunden und Freundinnen erzählen, die ich Dir hier zuzuführen gedenke. Du wirst recht liebe Menschen und auch verwandte Seelen darunter finden, deren Umgang für Dich ebenso anziehend als bildend sein wird. Und Du hast so viel Selbständigkeit des Charakters, heißgeliebtes Mädchen, daß ich nicht zweifle, Du werdest Dich auch in der fremden Welt und norddeutschen Art zurecht zu finden und darin zu behaupten wissen. Abgelöst von der Scholle der lieben Heimat wirst Du noch mehr in Dir selbst Wurzel fassen und Deine Befriedigung in demjenigen finden, was von Zeit und Ort unabhängig ist: in unserem häuslichen Glück wollen wir uns den Himmel bereiten, so wie uns zu ihm bereit machen.

Liebe Herzensbraut! Wir wollen schon jetzt eine recht innige Gemeinschaft mit einander pflegen und durch ununterbrochene briefliche Mittheilung uns gegeneinander austauschen und so die Entfernung überwinden. Wir wollen unsere Briefe in der Form eines Tagebuchs abfassen, worin wir unsere Empfindungen, Gedanken und Erlebnisse ohne Unterbrechung einzeichnen und solches etwa alle 8 Tage zugleich mit der Antwort auf den empfangenen Brief abschicken. Gleich morgen will ich damit beginnen und Dir in meinem nächsten Brief ein Beispiel davon, wie ich’s meine, geben. Vielleicht können wir auch unseren Gedankenaustausch an irgend eine gemeinschaftliche schöne Lectüre anknüpfen und werde ich Dir dazu Vorschläge machen. Doch möchte ich zuvor von Dir wissen, ob Dir Deine häuslichen Geschäfte auch hinlängliche Zeit dazu übrig lassen und ob Du vielleicht selbst mir eine bestimmte Lectüre, die Dich gerade am meisten anzieht, vorzuschlagen wünschest. –

Grüße Deine lieben Eltern aufs innigste und ebenso unsere liebe Lina, deren Schwestergruß ich mit derselben Liebe als Bruder erwidere, womit sie mir ihn so freundlich geboten hat. Sie wird mir verzeihen, wenn ich ihre lieben Zeilen nicht sogleich noch besonders beantworte: ich weiß, sie nimmt mit der ganzen Innigkeit ihrer Seele Theil an unserem Glück. Grüße alle die Lieben in Nürnberg, die Dir und mir nahe stehen.

Melde mir noch in Deinem nächsten, wann Du diesen Brief empfangen hast, so wie auch, wann der Deinige abgeht, damit wir künftig die Zeit des Hin- und Hergehens der Briefe genau berechnen können. Dieser geht am 31. Oct. (Mittwoch) Mittags hier ab.

So lebe denn wohl, meine theure, innig geliebte Braut, die ich als die meinige in mein Herz geschlossen habe, der ich mein ganzes künftiges Leben widmen will in aller Treue und Liebe.

Dein Karl.