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Susanna Maria Tucher an Karl Hegel, Nürnberg, 4. November 1849

Mein lieber theurer Karl!

Gestern Abend erhielt ich Deinen lieben herrlichen Brief1, und mit wie frohem Herzen benütze ich dieses, den lieben Großeltern geraubte Stündchen, um Dir dafür zu danken, und Dir die Versicherung zu geben, wie hoch mich jeder neue Beweis Deiner Liebe beglückt. Ich wartete schon Donnerstags2 mit Sehnsucht auf den Briefboten, und gab mich wider Willen der süßen Hoffnung hin, Du habest schon Sonntags3 meinen Brief bekommen und ich könnte schon Antwort haben; als nun gestern der ersehnte Brief erschien, ach da war ich zu recht so glücklich, und doch dann wünschte ich Dich, Du Lieber, so innig zu mir, um Dir mündlich jeden Gedanken mittheilen zu können, daß meine liebe Mutter4 mich ungenügsam schalt, und meinte ich könnte nicht zufrieden sein. Ich bin es ja auch, denn jede Zeile Deines lieben Briefes zeigt mir mehr und mehr, was ich Alles in Dir und durch Dich habe, aber wärest Du bei mir, ich würde mich dann noch viel glücklicher fühlen. Wie gerne nehme ich darum auch Deinen Vorschlag an, unsre Briefe in Form eines Tagebuches zu schreiben, dadurch ist es mir eher möglich, Dich zum Theilnehmer aller meiner Empfindungen und Gedanken zu machen, was mir seitdem wir so wenig verbunden sind, ein wahres Herzensbedürfniß ist; morgen werde ich damit beginnen und hoffe, es wird uns gelingen, die schwere Trennung so viel als möglich zu .

Heute morgen war ich nach langer Zeit wieder in meinem lieben Jakobskirchlein bei unserm Herrn Pfarrer Pürkhauer. Es war mir ein überaus wohlthuendes, eignes Gefühl, mit dem Gedanken an Dich, der mir noch so fremd war, als ich zum letzten Mal (es war, ehe ich nach Linz reiste5) diesen Raum besuchte, die liebe Stätte zu betreten; wie freute ich mich, daß wir das heutige, schöne Licht in meinem Glauben feiern konnten und fand darin eine neue Ursache, Gott zu danken, der mich ja über alles Bitten und Verstehen herrlich und glücklich geführt hat.

Du fragst mich, mein liebster Karl, welchen Eindruck unsre Verlobung in meinem näher und ferner stehenden Kreise gemacht hat; ich glaube überall, oder doch nur mit wenig Ausnahmen, war es ein freudiger, wenigstens haben schon viele Freunde und Bekannte mir ihre herzlichen Glückwünsche gebracht und mich gebeten, sie Dir zu empfehlen; unter andern Pfarrer Vorbrugg, unser Beichtvater, Frau Consulent Holzschuher, die sich mit wahrhaft mütterlicher Zärtlichkeit freut, und Laura Haller, die Frau des Majors Haller. Auch Fanny Fürer wünschte mir Glück, bat sich aber aus, ferner Deine theilnehmende Freundin sein zu dürfen, worauf ich ihr sagte, es wäre mir sehr leid, wenn Du durch mich Etwas verlieren würdest. Die arme Fanny ist durch ihre Kränklichkeit so gereizt, daß es ihr fast unmöglich wird, einen Wunsch mit Ergebung aufzugeben; doppelt schwer wurde es ihr, ruhig zu sein, da Mathildens Abreise, sie ohnedieß schmerzlich bewegte. Mathilde ist am letzten Dienstag6 mit schwerem Herzen weg; ich begreife es, daß es ihr traurig ist, die Heimath wahrscheinlich für immer zu verlassen. Wenn ich sie nicht mit Dir verlasse! Ich kann freilich freudiger scheiden, da ich die feste Zuversicht habe durch Dich und Deine Liebe immer reich entschädigt zu sein. O, mein lieber Karl, wie kannst Du Dir selbst so Unrecht thuen, indem Du Dich selbstgenügsam, hart und spröde nennst; ich bemerkte Nichts davon in Deinem Wesen, und selbst, wenn es wäre, mir ist nicht bange, wir lieben uns ja, und werden dadurch geschützt sein vor allen Anwandlungen der Selbstsucht und Härte. Ja gewiß, indem wir uns zum Himmel bereit machen in unserm häuslichen Glück, gewähren wir Keinem dieser unfreundlichen Gäste, Einlaß.

In meinem nähern Kreise ist die Theilnahme eine ungetheilt freudige; meine lieben, theuren Eltern sind, wie Deine engelsgute Mutter glücklich durch unser Glück, sie umgeben mich mit der zartesten Liebe, ebenso meine Geschwister, besonders die Kleinen. Meine guten Großeltern freuen sich mit großer Innigkeit und mein lieber Großvater wird ganz jung und frisch wenn er uns von seinem lieben Mecklenburg erzählt.

Meine süße Herzens Lina, diese treue Seele, die mit rührender Innigkeit an mir hängt, grüßt Dich tausend Mal und versichert Dir, daß sie keine Ansprüche auf eine baldige Antwort macht. Von Onkel Gottlieb und Tante Thekla erhielten wir kürzlich Nachricht. Sie beklagen Beide, jetzt nicht in Nürnberg zu sein, und begrüßen Dich freudig als lieben Doppel-Verwandten7. Ganz besonders habe ich Dir noch Grüße zu sagen von Tante Bayerlein, die unglücklich war, nicht öfter Gelegenheit gehabt zu haben, Dich zu sehen. Sie kam zu Wiß nach dem Essen, wenn Du Dich8 vielleicht erinnerst; sie trug mir auf, Dich speciell von ihr zu grüßen. Doch jetzt genug von meinem Kreis: ich möchte Dir danken für jede Mittheilung, die Du mir gibst, und zu geben versprichst über Deine Umgebung; ich freue mich so, an Deiner Hand in alle die lieben Familien zu treten, die mich künftig umgeben sollen, und bitte Dich, mir recht viel davon zu schreiben, und in Deiner Welt recht bekannt und vertraut zu werden. Die liebenswürdige Frau Deines Freundes ist mir ein freundlicher Gegenstand meiner Gedanken, und ich freue mich sehr, sie kennen zu lernen. Möchtest Du sie wohl recht freundlich von mir grüßen und sie in meinem Namen bitten, manchmal theilnehmend meiner zu gedenken.

Mein lieber Vater trug mir auf, Dich zu bitten, in Deinem nächsten Brief eine Karte mit unsern beiden Namen zu schiken, um hier eben solche stechen zu lassen; auch läßt er Dir vorschlagen, im Fall Du mehrere Briefe nach Süden, wie Erlangen, München zu schicken hast, sie uns in einem Paket durch die Fahrpost zu senden, wir wollen sie weiter befördern.

Mit Deinem lieben Brief erhielt ich gestern auch Briefe von Deiner lieben Mutter, von Manuel und Friederike. Wie glücklich fühle ich mich, diesen Lieben jetzt so nah anzugehören; Deine theure Mutter schreibt mir selbst, wenn auch mit Mühe, sie ist so lieb, so gut gegen mich, daß ich sie mit Entzücken meine Mutter nenne.

Wie hast Du, liebster Karl, so ganz meinen Wunsch errathen, indem Du mir vorschlägst, Etwas gemeinschaftlich mit Dir zu lesen; Du fragst, ob meine häuslichen Geschäfte es mir erlauben, diesem Vorhaben nachzukommen; ach, gewiß, da finde ich leicht ein Stündchen, besonders wenn ich eine Lecture habe, die mich anspricht, und daß Du, mein theurer Karl, genug kennst, um mir eine mir angenehme vorzuschlagen, bin ich überzeugt. Ich werde Dir offen mittheilen, welchen Eindruck mir das Gelesene machte und bitte Dich, mich zu leiten und zu belehren.

Darf ich Dir noch einen rechten Herzenswunsch mittheilen, mein lieber, lieber Karl? Du kannst ihn mir vielleicht nicht erfüllen, aber er ist mir zu lieb, als daß ich ihn nicht offen gegen Dich aussprechen sollte. Könntest Du nicht vielleicht das schöne Weihnachtsfest mit uns in Nürnberg feiern? Ich möchte so gerne diese herrliche Zeit recht ungetheilt und glücklich zum letzten Male im Elternhause verleben, und das kann ich nicht, wenn Du, mein Liebster, der Du der Mittelpunkt meiner Gedanken und Wünsche bist, es nicht mit mir feierst. Vergieb, und fürchte nicht, mir wehe zu thun, wenn Du mir meine Bitte abschlagen mußt.

Um recht bald wieder eine Antwort von Dir erhalten zu können, will ich den Brief heute Abend noch schließen, so daß er morgen Mondtag Mittag abgeht; Deinen Brief erhielt ich Samstag Nachmittag.

Leb‘ denn wohl, mein lieber, theurer Karl! Gott sey mit Dir und
Deiner Susette.

P. S. Mondtag9. Ich kann den Brief nicht siegeln, ohne Dir recht herzlich einen guten Morgen zuzurufen. Es ist ein herrlicher Morgen, so hell und freundlich wie der letzte, den wir miteinander verlebten, und der heutige ist noch schöner weil 10