Der Erste, an den ich heute von unserer Verlobung geschrieben, ist mein Freund Gervinus in Heidelberg, dessen Name berühmt durch ganz Deutschland auch Dir nicht unbekannt sein wird; er und seine liebenswürdige Frau gehören seit lange zu meinen nächsten und liebsten Freunden, und es hat sich eigen getroffen, daß ich bei meiner Ankunft allhier neben Deinem Liebesboten auch von ihm und daneben von Manuel Briefe vorfand, so daß gerade die, die ich am meisten liebe, sich gleichzeitig zu meinem Empfang um mich zu versammeln schienen. – Ich lernte Gervinus in Heidelberg kennen als ich damals noch studierte1, er war bereits Privatdocent und schrieb schon an seiner deutschen Literaturgeschichte2, die ihn nachmals berühmt gemacht hat: Wenige erkannten ihn, und mit ihm verkehrten außer mir nur noch Georg Beseler, von dem Du auch gehört oder gelesen haben wirst; wir schlossen einen engen Bund geistiger Gemeinschaft und gleichen Strebens und haben seitdem, es sind 14 Jahre her, in mancherlei Lebensschicksalen treu zusammengehalten. Dort in Heidelberg lernte Gervinus auch seine Frau zuerst kennen, die, damals erst 16 Jahr alt, doch an Verstand über die Jahre gereift war: er heirathete sie, als er nach Göttingen berufen worden, und dort besuchte ich sie im Herbst 1837 kurz vor der Katastrophe, welche mit dem Regierungsantritt des Königs Ernst August und Umsturz der Verfassung in Hannover erfolgte. Gervinus gehörte mit Dahlmann, mit welchem ich dort auch zuerst befreundet wurde, zu den 7 Professoren von Göttingen, welche sich öffentlich gegen das königliche Unrecht erklärten und deshalb Amt und Land verlassen mußten. Im folgenden Sommer unternahm er eine Reise nach Italien mit seiner Frau und ich folgte ihm dorthin3, wo wir uns in Neapel trafen. Wir blieben und wohnten zusammen 6 Monate lang in Rom: die liebenswürdige junge Frau machte Alles mit und bereitete uns die gemütlichste Häuslichkeit; erst in Florenz trennten wir uns, da er früher als ich nach Deutschland zurückkehrte. Seitdem habe ich ihn nur wenige Male und nur kurze Zeit wiedergesehen, zuerst vor einigen Jahren auf der Germanistenversammlung in Frankfurt, von wo ich ihn auch noch in Heidelberg besuchte, darauf wieder auf der zweiten Germanisten Versammlung in Lübeck, wo die liebe Victorie gleichfalls mit ihm war. Diesen also habe ich von Dir geschrieben und hinzugefügt, daß ich ihnen bald meine liebe Frau – verstehst Du, Dich, herzliebes Kind – in Person vorzuführen gedächte.
Liebe Susette! Es ist schon spät in der Nacht, doch muß ich noch ein Paar Worte mit Dir plaudern. – Ich kann immer noch nicht zum eigentlichen Arbeiten kommen, da mich zuerst die Anordnungen meiner Häuslichkeit, dann die Antrittsbesuche, endlich die Verlobungsanzeigen, wobei viel Briefe zu schreiben 4 und erwarte die Zuhörer. Heute also habe ich die eben erst fertig gewordenen Verlobungskarten herumgeschickt, nur an die Collegen und näheren Bekannten, doch an die 70: eine Probe davon lege ich bei.5 Sieh‘ liebes Susettchen, wie hübsch unsere Namen zusammen stehen und wie bereitwillig ich Dir den Vorrang gewähre, denn ich will Dich hoch halten und Dir dienen in aller Liebe und Treue. Auch an die 60 Verlobungsbriefe6 sende ich aus: auf die meisten schreibe ich bloß die Adresse darauf, nur an die nächsten Freunde füge ich ein Mehreres hinzu, und so habe ich heute schon viel von Dir, mein süßes Mädchen, geschrieben. Ein Paket nach Schwerin habe ich abgeschickt und eines nach Heidelberg und das dickste, nach Berlin, ist auch fertig. Von den hiesigen Freunden empfange ich schon die Glückwünsche. – Gegen Abend war ich bei einem neu herbeigerufenen und erst vor kurzem angekommenen Collegen; er heißt Bruns, ist Jurist und war bis da Professor in Tübingen: er selbst ist aus Braunschweig, hat aber in Tübingen eine Schwäbin geheirathet, eine liebe und interessante Frau, die hier allgemein gefällt: ich interessire mich doppelt für sie, da sie ungefähr in derselben Lage ist, in der auch Du bald sein wirst – eine Süddeutsche im hohen Norden von Deutschland, herausgerissen aus ihrer gewohnten Lebensweise und einem lieben Familienkreise, nur auf neue Bekanntschaften angewiesen; doch sie scheint sich drein zu finden und sucht sich das Beste dabei heraus, obwohl es ihr, nach der schwäbischen Art, viel schwerer als Dir sein wird, sich hier ganz heimisch zu machen. Ich denke, Ihr Beide werdet Euch besonders an einander schließen, um es auch gegenseitig zu erleichtern.
sind, daran verhinderten. Doch habe ich meine Vorlesungen angekündigtHeute war in Ludwigslust die Vermählung unseres geliebten Großherzogs und das ganze Land nahm Theil an seinem hohen Fest. Auch bei uns wurde es gefeiert durch ein Diner und Abends mit einem Ball, nachdem am Vormittage ein feierlicher Gottesdienst statt gefunden hatte. Es predigte mein Freund und College, Prof. der Theologie, Namens Krabbe, der ein gar lieber und wahrhaft frommer Mann ist, der einzige, dessen Predigten ich hier hören mag. Er nahm die Textesworte aus dem 25. Psalm, die da lauten: „Herr, Deine Wege sind eitel Güte und Wahrheit allen denen, die Deinen Bund und Dein Zeugniß halten.“7 Vieles von dem, was er sagte, dürfte ich auch auf mich anwenden, der ich es gewiß für eine große und besondere Güte Gottes erkenne, daß ich Dich, Du liebe Seele, gefunden habe. Auch an dem Diner nahm ich Theil, um mir nachher den Ball zu ersparen: mit Dir hätte ich gern den Ball besucht, wenn es Dir Freude gemacht hätte zu tanzen oder viele geputzte Menschen zu sehen. Ich empfing dort viele Glückwünsche von meinen Freunden. Ein Theologe, gleichfalls College von mir, den sie jetzt nach Erlangen hinziehen wollen, Delitzsch, fragte nach Bedeutung und Herkunft des Namens Susette und erinnerte sich einer Stelle des Hohen Liedes, die hebräisch mit dem Worte: le Susati anfängt und zu deutsch lautet: dem Rosse Pharao’s vergleiche ich meine Geliebte.8 Wenn Dir das aber nicht gefällt, mein liebes Susettchen, mit einem, wenn auch gewiß sehr stattlichen, ägyptischen Rosse verglichen zu werden, so will ich Dir noch sagen, daß Susanna, woher doch Dein französisch auslaufender Name kommt, zu deutsch die Rose heißt, und gewiß vergleiche auch ich Dich lieber, als mit dem Rosse von Pharao, mit der Rose von Saron9, deren lieblicher Duft mich umfangen hält.
Als ich nach Hause kam, fand ich einen Brief von Manuel vor, worin er mir leider schreibt, daß das Befinden der lieben Mutter sich noch nicht weiter gebessert habe, als daß sie sich nur etwas aufrecht im Bette erheben kann, sonst aber auf derselben Stelle im Bette liegen muß, da sie Bein und Fuß nicht ohne Schmerzen bewegt. Gott gebe, daß es bald besser mit ihr wird!
Gestern habe ich hier nichts für Dich niedergeschrieben, aber um so mehr an Dich gedacht, meine geliebte Susette; denn ich war einen guten Theil des Tages, so wie auch heute noch, mit Briefen an meine Freunde beschäftigt, um ihnen unsere Verlobung anzuzeigen, und ich habe mir dabei Dein liebes Bild um so lebendiger vergegenwärtigt, als ich Dich hie und da, wenn auch nur in wenigen hervorstechenden Zügen, charakterisiren mußte. Ich habe Dich geschildert so, wie ich Dich liebe, wie Du mir das Herz abgewonnen hast, ohne Dir zu schmeicheln, denn dazu bin ich zu sehr an historische Auffassung und Treue gewöhnt. Unter diesen Briefen sind auch einige nach Baiern gegangen, nach München an Lubin (zugleich für Niethammer) und Dönniges, bei dessen Hochzeit ich in Berlin gewesen (er hat ein reiches Judenmädchen geheiratet), nach Erlangen an Hofmann – das Übrige überlasse ich dort Euch. Auch Vater Flottwell hat einen Brief von mir nach Königsberg bekommen.
Gestern Mittag war ich zu einem Freunde geladen, den ich Dir gleichfalls schon bekannt machen muß, weil ich Dir seine Frau empfehlen will: Professor Leist (Jurist) aus Göttingen, ebenso wie seine Frau, die eine Tochter des berühmten Ottfried Müller ist. Beide sind sehr liebe und angenehme Leute und die Frau besonders von feiner Bildung: sie hat zwei Kinderchen, denen sie sich mit der größten mütterlichen Sorgfalt widmet, und steht auch der Wirthschaft musterhaft vor. Du wirst in ihr eine norddeutsche Frau im besten Sinne erkennen. Dasselbe gilt von der Frau Stannius, die ich Dir schon einmal genannt habe und die eine geborene Mecklenburgerin ist.
Meine liebe Susette! Nun bin ich schon über eine Woche hinaus, seitdem ich diesen Brief begann. Schon gestern glaubte ich einen Brief von Dir bekommen zu können; heute ist mein Verlangen danach noch gesteigert (es ist jetzt ½ 9 Uhr Abends, bald nach 9 kommt die Post), und morgen würde mich die Ungeduld vollends quälen. Denke, theuerste Susette, daß ich nur erst einen einzigen Brief von Dir habe, und wie sehr mich danach verlangen muß, das zweite Wort Deiner Liebe zu vernehmen. – Du wirst erschrecken oder vielleicht lächeln und darauf sehr ernsthaft werden, wenn ich Dir erzähle, womit ich mich gestern und vorgestern beiläufig beschäftigt habe: – ich habe mich nach einer Wohnung für uns Beide erkundigt und auch schon in einigen Häusern danach umgesehen, aber bis jetzt noch nichts Sonderliches gefunden. Denn ich will Dir nicht verhehlen, und es sogleich auch gegen Deine lieben Eltern aussprechen, daß es mein sehnlichster Wunsch ist, Dich, da es nicht früher möglich scheint, doch bald nach Ostern (fällt auf den 31. März) heimzuführen. Und da eine gute Wohnung hier selten zu haben ist und in der Regel ein halbes Jahr vorher gekündigt, also auch, wenn man nicht es auf den glücklichen Zufall ankommen lassen will, gemiethet werden muß, so ist hier keine Zeit mehr zu versäumen. Doch freilich kommt es dabei vor allem auf Deine Zustimmung an, meine Geliebte, sowie auf die Genehmigung Deiner lieben Eltern, ob sie die Hochzeit bis zum April gestatten. Ich werde mich hierüber des Weiteren gegen die liebe Mutter auslassen und will deshalb hier nur an Dich die inständige Bitte richten, Du möchtest mir, bei Deiner Liebe zu mir, den dringenden Wunsch nicht versagen.
Im Übrigen streite ich hier schon wieder in den Wegen unserer Politik, da ich mich unserem einheimischen Verfassungsstreit nicht entziehen kann, weil ich einmal eine öffentliche Person geworden bin, auf die das ganze Land hinsieht, ob sie schweigt oder redet.10 Dabei werden mir Haß und Ansehen, Achtung und Geringschätzung ungefähr in gleichen Wagschalen von den verschiedenen Parteien zugewogen. Meinerseits bin ich dagegen bemüht, in dem Gegner immer noch den Menschen anzuerkennen, so lange ich ihn achten kann: ist mir auch der verächtlich, so thue ich ihm nicht die Ehre an, ihn als meinen Gegner zu behandeln oder überhaupt nur zu beachten.
Heißgeliebte Susette! Heute morgen hat mich Dein lieber Brief11 bei der Arbeit überrascht. Mit innerem Entzücken habe ich ihn gelesen und meinen Durst nach Deiner Liebe daran gestillt: ich umarme Dich in Sehnsucht und danke Dir und danke Gott für Deine Liebe, die mich so unendlich glücklich macht! Auch freut mich Alles, was Du mir schreibst, besonders was Du mir von Dir schreibst, wovon ich nicht genug hören kann, Du mein liebes, unerschöpfliches Thema! Auch danke ich Dir für die Bereitwilligkeit, womit Deine Liebe meinen Wünschen entgegen kommt! Unser Tagebuch wird uns bisweilen nicht nur an denselben Tagen, auch an denselben Stunden mit innig verwandten Gedanken zusammenführen. Siehe z. B. wie unsere Gedanken in der Kirche zusammengetroffen sind! Was die Lectüre betrifft, so möchte ich mit Dir einige von den schönsten Sachen unserer Dichter durchgehen, so z. B. Göthe’s Iphigenie12, Tasso13 oder Dichtung und Wahrheit aus meinem Leben14, Lessing’s Nathan den Weisen15 u. A. Einen bestimmten Vorschlag will ich nicht machen, wähle Du selbst, was Du eben hast oder leicht haben kannst, und sage mir dann, was Du gewählt hast. Schreibe mir auch im Allgemeinen, wie weit Du Deine Lectüre schon ausgebreitet hast, ob Du auch schon zu den Alten z. B. Homer (in der Voß’schen Übersetzung16), zu den Engländern z. B. Shakespeare (in der Schlegel=Tiekschen Übersetzung17) gekommen bist? Danach würden sich auch meine weiteren Vorschläge bestimmen. Ich liebe besonders den Shakespeare und den Dante18 . – Dein letzter Herzenswunsch, Du liebes Wesen, ist mir aus der Seele genommen und ebenso der meinige. Ob ich ihn erfüllen kann, darüber kann ich für jetzt noch gar nichts sagen, weil ich nicht weiß, ob meine Entschließungen zu Weihnachten frei sein werden: ich werde ihn aber gewiß im Herzen bewahren und seiner Zeit erwägen. – Gleich heute Abend wird dieser Brief abgehen, und so wirst Du ihn hoffentlich am Montag19 Nachmittag erhalten. Der Deinige kam einen Tag später an, als er gekommen wäre, wenn Dein Bote ihn zur rechten Zeit abgegeben hätte: allein er ist, wie ich aus dem Poststempel ersehe, erst zwischen 5 und 6 Uhr auf die Post gekommen und so bis zum folgenden Tage liegen geblieben. – Von meiner lieben Mutter habe ich einen innigen Brief und bessere Nachrichten erhalten, worüber ich das Nähere in dem Anliegenden20 mittheilen werde. – Das Papier läßt mir nur noch soviel Raum, um Dir, meine innigst Geliebte, aus tiefer Brust ein Lebewohl zuzurufen.