Gestern schon wollte ich Dir schreiben, aber ich konnte nicht dazu kommen; nicht aus Mangel an Zeit, sondern wegen einer trüben Stimmung, die ich Dir offen bekennen will und darf. Meine gute Mutter und auch die Kinder2 waren so lieb und zärtlich gegen mich, daß mir der Gedanke, sie zu verlassen, recht schwer fiel; ich rief mir Deine Liebe, mein theuerster Karl, vor die Seele, ich malte mir unser häusliches Glück mit den lebhaftesten Farben aus, aber der weite Raum, der mich von Dir trennt, die Aussicht auf acht lange Tage, die verstreichen mußten, ehe ich einen Liebesboten von Dir empfangen könnte, das Alles drückte mich so, daß ich nicht an Dich schreiben konnte. Wüßte ich nicht, daß Du mich verstehst, daß Du nachsichtig meine Schwäche beurtheilst und nicht einen Mangel an Liebe daraus folgerst, ich hätte nicht den Muth, es Dir so offen zu gestehen; übrigens, mein lieber Karl, fürchte nicht, daß diese Stimmung anhaltend bei mir ist; bist Du erst bei mir, dann werden keine solche Wolken den Himmel meiner Hoffnungen trüben; blicke ich ja heute schon viel heiterer in die Zukunft und freue mich herzlich auf unser trauliches Stillleben; auch von dem Umgang mit Deinen Freunden und Freundinnen verspreche ich mir großen Genuß, und hoffe in diesem Umgang das zu finden, was ich hier bei aller Liebe doch öfter schmerzlich vermißte; es fehlte mir so oft die rechte Stütze, um daran einen unselbständiegn Gedanken zu halten, so daß ich oft unklar und schwankend, oder matt und gleichgültig wurde. Du, mein lieber Karl, und der Kreis, in den Du mich einzuführen gedenkst, Ihr bietet mir, das bin ich gewiß, viel mehr in dieser Hinsicht und mein innerer Mensch wird, so Gott will, nicht leer dabei ausgehen.
Wirst Du wohl mit mir zufrieden sein, wenn Du erfährst, wo ich heute Abend war? Bin ich es doch selbst nicht ganz; doch Lina forderte mich auf, ins Theater zu gehen; es war die Oper „Martha“. Ich nahm die Aufforderung an, und als ich dort war, dachte ich mir, ob es Dir recht sein würde, daß ich diesen Abend einer Unterhaltung opfere, die Du unter dem sich nie mit dem Mittelmäßigen begnügen“, und ich wünschte mich fort aus dem Theater. War ich vielleicht durch diese Erinnerung nicht in der Stimmung, es schön zu finden, oder ließ die Aufführung wirklich so viel zu wünschen übrig, ich war durchaus nicht befriedigt. Ich weiß wohl, daß Du mit dieser Äußerung nicht ernstlich den Theaterbesuch meintest, sondern überhaupt die Genügsamkeit mit allem Unwillkommenen, die nach und nach das ganze Wesen verflacht, daß man keinen Maßstab für das Wirklich-Große mehr hat; aber mir fiel sie immer ein und es war mir, als gehörte ich nicht ins Theater.
Du sollst es hören. Meine liebe, süßeIch las heute mein Tagebuch3, das ich seit 6 Jahren, wenn auch nicht regelmäßig führte, durch, und schloß es, da ich jetzt durch Deine Liebe, mein theurer Karl, ein Herz mein nennen kann, dem ich meine Gedanken und Empfindungen anvertrauen darf. War ich schon, seitdem ich die Deine bin, erhoben durch die so sichere Überzeugung, unsere Verbindung für das Werk und die Fügung Gottes, so wurde mir dieser Gedanke doch doppelt klar und lebendig, als ich so manchen Blick in mein verflossenes Leben warf, und sah, wie so Vieles, was ganz getrennt von unsrer Liebe scheint, mittelbaren Einfluß auf unsre Vereinigung hatte, und wie gütig und freundlich Gott mich führte, um mich zu dem Glück, Dir anzugehören, fähig zu machen. Mündlich, mein bester Karl, kann ich Dir mehr sagen, und Du wirst mit mir dem Herren danken, der besser weiß als wir, wann und wie Er uns einen Wunsch erfüllen soll.
Heute Abend war ich bei meiner süßen Lina, wie wohl wird mir immer Friedrich. Wir bemerkten im Lauf des Gesprächs, daß unsre vier Geburtstage im nahen Zusammenhang stehen; der Deinige4 ist den Tag vor dem meiner lieben Lina5, und Friedrich seiner6 den Tag vor dem meinigen7. Du schiltst mich vielleicht abergläubisch, und ich meße diesem Zusammentreffen auch keine Wichtigkeit zu, aber es schien mir eine gute Vorbedeutung und ich bin kindisch genug, mich darüber zu freuen. – Eine liebliche Überraschung war mir heute ein Besuch von Fanny Fürer, die außerordentlich herzlich mich begrüßte, viel herzlicher und inniger, als da ich sie zum ersten Male sah. Sie scheint jetzt ruhig zu sein über ihre zerstörten Hoffnungen, und mir that der Gedanke so wohl, daß mein Glück Niemanden einen stillen Kummer macht. Sie kennt Dich mein liebster Karl, und preist mich glücklich; wie fühlte ich mich erhoben, den stillen Jubel meines Herzens durch sie ausgesprochen zu hören.
bei diesem reinen, gemüthvollen Wesen. Möchte mir der liebe Gott seinen Segen geben, um Dich, mein theurer Karl, so zu beglücken, wie meine Lina ihrenHeute wird wohl schon ein Brief an mich unterwegs sein, wie freue ich mich! sind doch Deine Briefe immer höchste Freude, da es uns noch nicht vergönnt ist, Aug‘ in Auge uns so Vieles mitzutheilen, was schriftlich unmöglich so frisch und frei kann. – Ich war heute bei Meiers und sah die liebe Antonie in ihrer stillen Seligkeit, die ihr der gute Gott schenkt, trotz aller körperlichen Schmerzen, zu denen sich oft noch schwere Seelenkämpfe gesellen. Sie grüßt Dich herzinnig und freut sich, Dich meinen Karl, der ihr dadurch auch näher ist, zu sehen. Es ist rührend, wie die Ihrigen ihr das schwere Kreuz tragen helfen durch treue, aufopfernde Liebe und herrlich wie Gott ihren Glauben stärkt.
Wärst Du doch heute mit mir in der Kirche gewesen!! wir waren bei Pürkhauer und hörten eine herrliche Predigt über die Worte: Gebet Gott, was Gottes ist.9 Er sprach so feurig über die vollständige Hingabe des Herzens an den Herrn, daß ich wohl fühlte, ich gäbe Gott nicht so ganz, was ihm gehört; doch ich hoffe, in unsrer Vereinigung, in unsrer gegenseitigen Liebe wird mein Herz lernen, sich immer mehr dem zu eigen zu geben, der die Quelle der allein wahren Liebe ist, und der, das glaube ich mit freudiger Zuversicht, zu unserm Bunde sein Ja und Amen spricht.
Dank, innigen Dank für Deinen reichen Brief11, den ich so eben erhalten. Ich hatte heute angefangen, zu hoffen und doch war ich überrascht, als mein Wunsch so bald erfüllt wurde. Wie freut mich Alles, was Du mir schreibst, Deine Mittheilungen über den Kreis Deiner Freunde, besonders die Erwähnung dieser jungen Schwäbin, zu der ich schon ein besondres Herz gefaßt habe. Ich bin recht kindisch, daß ich mich einer gewissen Angst vor den norddeutschen Frauen nicht erwehren kann; ich meine, sie sind nicht so einfach und die Furcht vor ihnen weit übersehen zu werden, überwiegt in mir die Hoffnung, durch ihren Umgang recht viel zu gewinnen. Bei Männern ist mir das Gefühl nicht peinlich, so tief unter ihnen zu stehen, aber gegenüber von Frauen berührt es meinen hochmüthigen Sinn immer unangenehm. Ich weiß daß es nicht recht ist, aber sieh, mein theurer Karl, Dir kann ich alle meine Schwächen ganz offen gestehen und Dich um Nachsicht bitten. Die liebe Schwäbin denke ich mir wie die gute Tholuk oder meine Herzens-Tante Thekla und freue mich unendlich, sie kennen zu lernen. Dein Wunsch, mein bester Karl, ist auch unser Gedanke und mein Wunsch. So schwer ich mich von den Meinen trennen werde, so bin ich doch mit so getheiltem Herzen in dem lieben Kreis, daß ich mich nach der Zeit sehne, wo ich einer Stellung von ganzer Seele und mit allen Kräften angehöre. Ich bin Dein für alle Zeit und Ewigkeit, und das Leben, das ich jetzt führe, erscheint mir nur ein halbes. – Was Du mir wegen Deines Kommens an Weihnachten schreibst, erfüllt mein Herz mit süßer wenn auch schwankender Hoffnung; doch ist mir genug zu wissen, daß es auch Dein Wunsch ist und daß Du kommst, wenn es sein kann. Ich will es Dir nicht schwer machen durch Klagen, wenn es Dir nicht möglich ist, diesen unsern gemeinschaftlichen Wunsch zu erfüllen, sondern mich an Weihnachten auf Ostern vertrösten
Wegen der Lecture, die Du mir vorschlägst, will ich Dir noch schreiben, mein liebster Karl. Iphigenie12 und Tasso13 habe ich gelesen, auch Nathan14, Dichtung und Wahrheit15 zum Theil, von Homer noch Nichts, ich wagte mich nicht daran, von Shakespeare Einiges, Hamlet, Romeo, den Kaufmann von Venedig, Wie es Euch gefällt16; diese Werke noch einmal und andere mit Dir im nächsten Sommer oder an den langen traulichen Winterabenden zu lesen, ist mir eine liebe, schöne Aussicht; für jetzt aber wünsche ich mir Iphigenie, als das was ich am längsten nicht gelesen und was mich besonders ansprach. Ich hatte vor zwei Jahren mit den Meisten meiner Bekannten Literatur-Stunden bei Herrn Pfarrer Heller, wo wir unter anderen Tasso und Nathan lasen; über Iphigenie kann ich Dir nur sagen, was mir selbst einfällt, und das wünschest Du ja, nicht wahr, mein Liebster. –
Von Berlin haben wir seit dem 3ten November 1849 Nichts gehört; die gute theure Mutter schrieb mir da selbst ein liebes, inniges Briefchen und auch Friederike und Manuel, durch deren geschwisterliche Liebe ich mich so reich fühle, sagten mir Worte der herzlichsten Freude über unser Glück; ich glaube, Dir in meinem letzten Briefe17 davon gesagt zu haben, denn ich erhielt diese Briefe mit dem Deinen. Gottlob, daß Du seitdem wieder bessre Nachrichten von der theuren Mutter hast; wie freue ich mich, mehr in ihrer Nähe zu sein und mich mit Dir in ihre Pflege theilen zu können; die gute, liebe Mutter! es wird mir ganz warm ums Herz, wenn ich denke, daß ich ihr so nahe angehöre; wie viel verdanke ich Dir, mein lieber, theurer Karl!!
Die Karte18, die Du so freundlich warst, mir zu schicken, finde ich sehr hübsch; es ist ein ganz liebes Gefühl, unsre beiden Namen so eng vereinigt zu sehen. Nur Eines ist mir nicht recht, daß Du mir den Vorrang läßt; ich folge Dir nach, in Allem, ach, es ist mir ja viel leichter und lieber zu folgen, als selbständig aufzutreten; und Tante Sophie! Die würde unzufrieden mit Dir sein, daß Du Dich Deiner Herrschaft begiebst; ich erkenne sie ja gerne an, oder wir theilen uns darein und führen beide das Scepter mit Liebe. Mein Papa hat hier auch schon Karten drucken lassen, und da steht Dein Name natürlich voraus, doch sind sie noch nicht fertig, sonst würde ich Dir eine schicken; daß Du siehst wie gut sich das ausnimmt; ich fühle mich ganz sicher unter Deinem Namen, ordentlich unter Deinem Schirm und Deiner Obhut und setze so gerne mein Leben unter Deinem Namen fort.
Daß Du meinen Brief so spät empfingest thut mir herzlich leid, denn ich darf ja von meiner Sehnsucht nach einem Brief auf die Deine schließen. Er muß auf der Post liegen geblieben sein, denn ich schickte ihn ganz sicher um 11 Uhr Morgens hinüber, daß er um 1 Uhr mit dem Bahnzuge fortgehen sollte; dieser wird hoffentlich schneller gehen; ich gebe ihn morgen Dienstag19 Vormittag auf und Du kannst ihn dann Freitag20 haben. Wäre es Dir nicht recht, die Briefe unfrankirt zu schicken? Durch die weite Entfernung von der Post ist es mir manchmal schwer, sie zur rechten Zeit, hinüber zu bringen, die unfrankirten kann ich aber in den Briefkasten, der in der Nähe ist, legen lassen; ist dies recht, so richten wir unsre Correspondenz so ein. – Doch jetzt muß ich für heute schließen, es ist ½12 Uhr, und meine Mama treibt zur Ruhe, wenn auch mein Herz und meine Hand nicht müde wird, mit Dir zu plaudern. Morgen früh schließe ich den Brief noch mit einem frischen Guten Morgen.
Nur noch ein paar Worte kann ich heute hinzufügen, es könnte sonst zu spät zur Aufgabe werden. Ich fühle mich heute wieder so reich in Deiner Liebe, daß mir mein ganzes, früheres Leben ganz arm und leer erscheint. Heute über sechs Wochen ist Weihnachten, doch ich will mich noch nicht freuen.
Leb wohl, mein lieber, bester Karl, ich brauche Dich nicht zu bitten, mir bald zu schreiben, Du weißt, daß Deine Briefe meine höchste Wonne sind.