Meine geliebte Susette! Es ist mir eine wahre Herzenserquickung heute am Sonntag Abend meine Arbeit und den politischen Streit1 zu verlassen, um mir Dein liebes Bild, Dein friedlich stilles Wesen zu vergegenwärtigen. Auch wird erst Deine beständige Nähe beruhigend auf mich wirken und eine gleichmäßig harmonische Stimmung in mir erhalten! Seitdem ich Dich liebe und das entzückende Bewußtsein, von Dir geliebt zu sein, mich ganz erfüllt, habe ich noch weniger, als sonst, das Bedürfniß, eine Erholung in der Zerstreuung nach außen hin zu suchen: ich finde meine liebste Erholung nicht in der Zerstreuung, sondern in der Sammlung meiner Gedanken und Empfindungen, die ich auf Dich und unser zukünftiges Glück richte. Denn beschäftige ich mich damit, darauf zu sinnen, wie ich es anfangen und einrichten will, um Dich recht glücklich zu machen und in Deinem Glück das meinige zu finden; und wenn ich dabei nur zu oft darauf hingeführt werde, wie viel mir dazu an äußeren und inneren Mitteln abgeht, so überfliegt mich wohl bisweilen eine Sorge, die aber gar bald wieder wie eine leichte Wolke zu dem reinen Himmel meines Glückes zerflieget. Denn ich vergegenwärtige mir Dein einfaches und anspruchloses Wesen, und wie Du an mir und meiner Persönlichkeit über alle Mängel hinweggesehen und Dich mir doch in voller Liebe dahingegeben hast, so wirst Du auch in dem beschränkteren äußeren Glück ein gleiches Genügen finden. – Das Bild von der Wolke, das ich eben gebrauchte, erinnert mich lebhaft an jenes lichte Wölkchen, welches ich eines Nachmittags in Simmelsdorf mit Deinem lieben Vater beobachtete: wir stritten uns, ob es ost: oder westwärts ziehe und konnten uns nicht darüber einigen, und wie ich mich eine Minute darauf wieder danach umsah, so war es völlig in den blauen Himmel zerflossen. – Ich denke oft an das liebe Simmelsdorf, und meine Liebe findet eine Vorbedeutung darin, daß Du mir dort zuerst entgegen tratst, mir zuerst, dem fremden unerkannten Vetter, Willkommen botest.2 Dennoch waren meine Augen geblendet, daß ich noch lange nicht erkannte die, die mir der Himmel zur lieben Braut und Gefährtin meines Lebens bestimmt hatte. Wenn ich Dich aber einmal in alle Geheimnisse meiner Liebe einführen werde, Du traute Seele, so werde ich Dir die einzelnen Momente genau bezeichnen, wo auch dort in Simmelsdorf schon mein Herz von einer geheimen Rührung ergriffen, wie von einem elektrischen Funken getroffen wurde. Doch mein Sinn folgte noch nicht meinem Herzen, und darum war er geblendet. –
Du siehst aus dem Datum, meine theuerste Susette, daß ich es nicht so streng nehme mit dem Tagebuch3, um nicht auch mal einen Tag zu überspringen. Doch sind meine Gedanken darum nicht weniger oft bei Dir. Ich wünschte Dir jetzt die lieben Briefe meiner Freunde und Freundinnen mittheilen zu können, womit sie meine Verlobungsanzeigen erwidern. Du würdest daraus entnehmen, wo und von wem Du überall, als meine einzig Geliebte, eine liebevolle Aufnahme zu erwarten hast. Ich habe fürwahr alle Ursache, stolz auf viele derselben zu sein, da sie zu den besten und tüchtigsten Menschen gehören. Die treffliche Frau meines Freundes Georg Beseler aus Greifswald, der jetzt in Berlin Abgeordneter4 ist – ich habe Dir schon, wie ich glaube, geschrieben, daß ich mit ihm und Gervinus zusammen in Heidelberg gelebt habe – hat mir einen so herzlichen Brief zugeschickt, daß ich Dir daraus etwas mittheilen muß. Sie freut sich, daß ich endlich dem einsamen Junggesellenleben entsagen wolle, da ich so viel Sinn für eine stille glückliche Häuslichkeit habe – (dies Zeugniß ist mir auch noch anderweitig gegeben worden) – und von je durch das liebevolle Walten meiner Mutter das freundliche Bild einer edlen, weiblichen Seele erkannt und geschätzt hätte: so erwartet sie, daß ich auch meine eigene Häuslichkeit sinnig und gemüthlich einrichten werde, daß ich meiner künftigen Frau der sein werde, was das höchste Glück für Frauen ist, – ein treuer liebevoller Freund, der Alles mit der Gattin theilt und ihr durch sein Vertrauen den größten Beweis seiner Liebe giebt. – Ach ja, liebe Susette, ich habe den festen Vorsatz, Dir das zu sein, was meine Freundin schreibt. – Und sie spricht weiter von ihrem eigenen Glück in einer eilfjährigen Ehe, da nie auch nur der Schatten einer Unwahrheit zwischen ihr und ihrem Manne gestanden, und dieser habe sie durch sein Vertrauen so zu sich emporgehoben, daß sie sich als seine beste Freundin betrachten könne, die ihn nun aber auch ganz und gar verstehe und deren höchster Stolz es sei, ihm das Alles zu sein, was er erwarten dürfe und könne. Solches Glück wünscht sie auch mir (und ich habe die vollkommene Gewißheit, daß es mir durch Deine Liebe beschieden ist). Schließlich bittet sie mich, Dich zu grüßen, womit sie nicht glaube unbescheiden zu sein, da es treu und herzlich gemeint sei. – Ich denke mir, daß Du sie schon aus dieser Mittheilung lieb gewinnen wirst, da sich darin eine edle und liebenswürdige Seele ausspricht. Auch ist ihr Mann einer der edelsten und in jeder Beziehung ausgezeichnetsten, auf dessen Freundschaft ich gleichfalls stolz bin. –
Deinen lieben freundlichen Gruß an meine hiesige Freundin, Frau Stannius, von der ich Dir zuerst schrieb, hatte ich vorgestern auszurichten die Gelegenheit: sie freute sich sehr darüber und Du kannst versichert sein, daß sie Dich mit herzlicher Liebe aufnehmen wird; denn, wie ich Dir schrieb, sie hat eben so viel Gemüth als Verstand und ist mir sehr zugethan. –
Heute habe ich wieder viel in Politik gemacht, mündlich verhandelt, ein Wahlcomité begründet und für die Zeitung5 geschrieben. Was ich als das Rechte erkenne, muß ich betreiben; es läßt mir bei Tag und Nacht sonst keine Ruhe.
Ich gedenke heute meines geliebten Vaters, der heute vor 18 Jahren die Erde verließ. Ich wünschte, er wäre noch ebenso, wie Dein lieber Vater, Zeuge unseres Glücks. Auch ihm wurde in Nürnberg das gleiche Glück zu Theil, wo er das liebe, himmlische Wesen fand, das ich als meine Mutter verehre. Es ist eigen, wie viel äußerliche Ähnlichkeit ich mit ihm habe; zunächst im Aussehen, wie man sagt; dann aber auch in den Lebensschicksalen – um nur Einiges zu erwähnen, daß ich, wie er, eine Zeitlang an einem Gymnasium gewirkt habe6, daß ich, wie er, eine Zeit unter außerordentlichen Umständen eine Zeitung redigiren mußte7, und nun, daß ich, wie er, auch erst in späten Jahren ein so liebes Wesen in Nürnberg gefunden, mit dem ich gleichfalls überaus glücklich zu sein hoffe. – Der Tod meines Vaters war die erste schwere Erfahrung in meinem Leben und erschütterte mich sehr tief8, obwohl ich seine eigentliche große Bedeutung noch wenig erkannte: erst nachher studierte ich eifrig seine Philosophie9, bis ich nach mehreren Jahren erst allmählich erkannte, daß ich in ihr allein keine Befriedigung zu finden vermochte, weil sie mich zu sehr vom Leben abzog und zum eigenen Schaffen mir keinen Raum mehr übrig ließ. So wandte ich mich dem Alterthum und der Geschichte zu – in Heidelberg 1835 bis 1836. Im Sommer nach dem Tode meines Vaters, 1832, war ich mit der Mutter in Nürnberg, Beringersdorf und Simmelsdorf, welches ich damals vor diesen gegenwärtigen Jahren zuletzt sah; ich war leidend und blieb es auch nachher noch einige Zeit, aber der dortige Aufenthalt hatte mir doch sehr gut gethan. Damals lebte auch noch die gute Großmutter, eine musterhafte, liebe und edle Frau – Du warst ein kleines, artiges Kind, dessen ich mich gar wohl noch erinnere, dem ich es aber sicher nicht angesehen habe, was es mir einst noch sein würde – meine Geliebte, meine theure Braut und Gattin!
Die kluge und edle Porzia im „Kaufmann von Venedig“10 sagt: – Denn bei Gefährten, die mit einander ihre Zeit verleben, – und deren Herz ein Joch der Liebe trägt, da muß unfehlbar auch ein Ebenmaß – von Zügen sein, von Sitten und Gemüth.
Liebe Susette! Ich bin versichert, wir haben dieses Ebenmaß, und werden darum unsere Zeit glücklich mit einander verleben. –
Gestern Abend habe ich mit mehreren Freunden und deren Frauen auf Deine Gesundheit angestoßen! Ich war zu Bruns eingeladen, von dessen Frau, der Schwäbin aus Tübingen, ich Dir schon geschrieben. Dann waren auch Stannius und Leist da mit ihren Frauen. Die Bruns gefällt unseren norddeutschen Frauen sehr: sie machte zum ersten Mal hier die Wirthin und erndtete viel Lob ein für ihre auf schwäbische Art zubereiteten und zierlich aufgetischten süßen Speisen. Ich dachte mir dabei Dich als meine liebenswürdige Frau und Wirthin, die mich in Stand setzen wird, meinen Freunden zurückzugeben, was ich ihnen längst schuldig geblieben bin. – Eben kommt Dein Brief11, Du lieber Engel – Freitag Abends ¼ 10 Uhr. Sei mir gegrüßt Du süßer Liebesbote!
Meine theuerste Susette! Ich habe Deinen herzinnigen Brief vor mir und freue mich über die tägliche Mittheilung, die er mir bringt. Auch Deiner lieben Mutter sage ich meinen gerührten Dank für den ihrigen12, worin sich ein Herz voll Liebe ausspricht, indem sie mir zugleich die Erfüllung meines höchsten Glücks in so nahe Aussicht stellt. Meine Liebe, denke ja nicht, daß ich Dich einer Schwäche zeihen werde, wenn Dich der Gedanke, Alles, was Du bisher geliebt hast, um meinetwillen verlassen zu müssen, bisweilen mit banger Schwermuth erfüllt. Kaum möchte ich wünschen, daß es anders wäre, weil es mir beinahe unnatürlich erschien. Deine Liebe zu mir darf nicht die Liebe zu Eltern und Geschwistern ausschließen, sondern soll sie in sich aufnehmen. Weh‘ dem, sagt Iphigenie, der fern von Eltern und Geschwistern ein einsam Leben führt13: Du wirst kein einsames Leben führen, meine liebe Susette, sondern hoffentlich ein in der Liebe glückliches, und ich besorge nicht, daß Du mein Rostock mit Tauris14 und meine mecklenburgischen Freunde mit Scythen vergleichen wirst, sonst könnte mir bei Deiner Lectüre von Göthe’s Iphigenie sehr bange werden. Ich werde vielmehr Deine Liebe zu den Deinigen theilen, und so wirst Du nicht fern von der Heimat sein, wenn Du bei mir bist; und wenn wir auch fern von ihnen sind, so werden wir sie doch wieder sehen, und wie wonnevoll ist solches Wiedersehen! Und dann bedenke auch, meine theure Geliebte, daß es gut für Dich und Deine geistige Ausbildung ist, – und was sind wir ohne das Streben nach Ausbildung! – aus dem Kreise Deiner Kindheit und Jugend herauszutreten, in welchem Du, von Liebe und Gewohnheit getragen, nur wenig Willensstärke zu üben brauchtest, nur wenig neue geistige Anregung erhieltest, um nun eine neue, ganz fremde Welt in Dich aufzunehmen, in der Du Dich, zwar an meiner Seite und von mir gestützt, doch als Frau, selbständig behaupten sollst, in der Du Gemüth und Geist durch eine Menge von neuen Anschauungen, Erfahrungen, Kenntnissen bereichern und erweitern wirst: – wie viel Rath muß das doch auch für Dich haben! Mit welchem frischen Muth wirst Du diese neue Lebensaufgabe ergreifen, und wie werden alle Deine Kräfte sich daran entwickeln und noch manche bisher verborgene Seiten Deines Charakters – verborgene, weil sie nicht in Thätigkeit gesetzt wurden – entfalten! Also liebe Susette, mir ist nicht bange um Deine vorübergehende Anwandlung von Schwermuth: sie wird überwunden werden nicht bloß durch die Liebe, sondern mehr noch durch die Thätigkeit, zu welcher die Liebe Dich aufrufen wird.
Heute den ganzen Tag, meine innig Geliebte, habe ich bei mir selbst darüber geklagt, daß dieser Brief gestern Abend nicht mehr abgehen konnte, weil eben zu der Zeit, da ich ihn zum Abschluß bringen und selbst auf die Post tragen wollte, meine Freunde Stannius und Bruns mich überfielen: und wenn ich auch Stannius ohne Weiteres fortgeschickt hätte, so ungenirt wir mit einander stehen, so war doch Bruns, der erst zu diesem Semester hierher gekommen ist, zum ersten Mal bei mir, so daß ich, wollend oder nicht, mich seinem Besuche unterziehen und diesen Brief darüber liegen lassen mußte. Verzeih dies, lieber Engel, meinem Mißgeschick; ein ander Mal werde ich mich besser vorsehen, was ich leicht gekonnt, wenn ich den Brief früher geschlossen hätte. Doch ich muß noch ein Paar Worte an Deine liebe Mutter hinzufügen. – Schicke mir ja Deine Briefe unfrankirt. Ich umarme Dich mit ganzer Liebe
NB.15 zum 18. Nov. Ich habe Dir noch Manches auf Deinen letzten lieben Brief zu antworten, was Du erst in meinem folgenden finden wirst. Doch will ich es nicht verschieben, hier noch gleich die herzlichsten Grüße an unsere liebe Lina und ihren Friedrich anfügen: das Zusammentreffen der Geburtstage finde auch ich recht hübsch, als ob uns der Himmel wechselseitig auf eng verbundene Freundschaft hätte verweisen wollen. Zu meinem Schrecken aber wurde ich gewahr, daß ich von Deinem Geburtstage nur weiß, daß er im März ist, und ich muß Dich daher bitten, mir auch den Tag anzugeben: der meiner Mutter ist am 17. März.