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Georg Gottfried Gervinus an Karl Hegel, Heidelberg, 27. November 1849

Lieber Erek.

Daß wir Deine Verlobung1 mit Freude und herzlichem Anteil erfahren haben, kannst Du glauben und wirst Du Dir denken; und schon jetzt freuen wir uns in der Aussicht, Dich mit Deiner jungen Frau bei uns zu sehen. Meine Viker liegt mir an, Dir besonders zu sagen, wie froh sie über diese Nachricht war; oft war von einem solchen Ereigniß wunschweise unter uns die Rede. Es ist doch keine normale Reise durchs Leben, allein und ohne Gefährten, wie es überhaupt eine schlechte Reiseart ist. Und für Dich fing es an Zeit zu werden, wenn die Frische der Jugend nicht in den Hintergrund treten sollte. So aber bist Du der alten hesiodischen Regel nach ziemlich nahe geblieben und Alles wird seinen gesegneten Gang gehen. Auch Weber und Dittenberger trugen mir auf, ihre Glückwünsche den unseren beizufügen. Vergiß nicht uns Deiner Braut unbekannterweise zu empfehlen und sie aufzufordern, daß sie ja einstimme dazu, die Hochzeitsreise über hier zu machen. Wenn Ihr dann ein späteres mal Besuch in Nürnberg macht, treffen wir einmal auch dort zusammen, da unser Sinn lange nach der alten Reichsstadt einmal steht.

Ich sehne mich danach einmal mit Dir unsere Lage durchzusprechen, mit Einem, der mit Charakter und festem Blick eine ganz andere Reihe von Erfahrungen durchgemacht als wir hier oben. Eurem Mecklenburg sehe ich mit einiger Neugierde zu, obwohl ich allzulange die dortigen Zustände versäumt und übersehen habe. Wenn euer junger Fürst Muth und Kraft behält, auszudauern, so ists eine Freude, unter so vielen doch Einen zu sehen, der etwas von Charakterfestigkeit und Einsicht verräth. Nur dauert es mich, daß Einer der so weit ist die Zeit nicht ergreift, um das Auge Aller auf sich zu richten. Wer jetzt auch in einem so kleinen Staate die Besten um sich sammelte, einen freieren Blick verriehte, einen ernsten Wille bekundete, sich im Stillen um Kriegswesen und Kriegseinsicht umthäte, im kleinen Kreise das Talent des Staatsmannes entwickelte, ihm würde die Zukunft in Deutschland gehören. Wir bedürfen eines Anhalts. Im genauen Mittelstande hat er sich nicht gefunden Alles arbeitet für die Demokraten. Ich sehe kein Heil, wohin ich blicke. Was wir hier in nächster Erfahrung erleben, macht mich starr. Nach solchen Lehren sollte man doch glauben, daß ein Regiment sich zusammenfaßte, aber die Bornirtheit, die Verrücktheit, die Rathlosigkeit, mit der man hier einen geballten Staat restauriren will, geht weit über die Gränze der Vorstellungen, die ich mir ja von der Thorheit gemacht habe, mit der nach dem Sprichwort die Welt regiert wird, Und ich bin doch sonst kein Idealist und kein Optimist. Die ganzen Sachen werden bei dem ersten neuen Stoße zusammenbrechen hier im Süden, und dann hält auch im Norden nichts auf. Einer regsamen Welt wird nur durch Thaten und schlechten Leidenschaften nur durch Aufregung von besseren begegnet. Das aber ist es ja, was man der preußischen Regierung immer zum Vorwurf gemacht hat, daß sie zu handlen nicht verstehe, und daß ihr kein Unrecht geschehen ist, wird nun offenbar. Dabei seht ihr des Quietismus der nordischen Bevölkerung im Rücken, der uns vielleicht einmal aus einem gänzlichen Umsturz zurückführen kann, dessen Eintritt aber nicht verhindern wird. –

Wenn die Verhandlungen mit Budde sich ja noch zerschlagen sollten, so denkst Du vielleicht an meinen Empfohlenen? Ob durch Buddes Weggang in Halle eine Stelle wohl frei wird? ja könnte man sich ja wohl einmal an Wunderlich wenden, von dem ich in Ewigkeit nichts gehört habe. Es wäre mir gar lieb, wenn Jolly2 irgendwo unterkäme. Seine Familie drängt ihn, Advocat zu werden, da in diesem Gebiete die Aussichten ja gut scheinen, als sie für unsere hiesige Universität wenigstens schlecht sind. Es gefällt mir, daß er auf der einmal betretenen Bahn bleiben will und ich möchte ihn wohl auch äußerlich gesichert wissen. Unser Heidelberg ist diesen Winter bis auf 500 Studirende herabgekommen und ich glaube wohl daß in dieser Zahl noch einige Zehnte aus den alten Catalogen gepreßt sein werden.

Hoffentlich ist Dir nun mein Shakespeare zugekommen. Wahrscheinlich hat ihn irgend ein Buchhändler an sich behalten, Deiner Abwesenheit wegen. Engelmann wenigstens versichert mich, daß er die Bände jedesmal gründlich besorgt habe. Dieß Buch muß einen sonderbaren Eindruck auf unsere Literatur der Verzweiflung und der Liederlichkeit machen, ich merke das aus einigen Anzeigen davon. Mit der Sittlichkeit können sich die Leute nicht mehr vertragen und es wäre kein Wunder, wenn das Buch der Anlaß würde, daß man Shakespeare auch zu dem alten Plunder der Zöpfe würfe. Indessen läßt sich an ihm gar viel drehen und deuten und so wird dieß Schicksal blos mich und mein Buch treffen, nachdem es mich schon längst vorher betroffen hat.

Von Beseler erhielt ich heute einen Gruß durch persönliche Bestellung, ich sehe daraus daß er doch nicht ganz grimmig ist. Wäre der gute Freund doch nach Göttingen gegangen! wie sehr hab ich ihm zugeredet! Aber damals sah er Dich schon als preußischen Cultusminster und machte mir schon Anträge! Das Strohdreschen in Berlin nimmt mich Wunder, wie es ihm und Dahlmann zusagen kann. Das sind Sachen für Beckeraths, aber ordentliche Leute mit festen Knochen sollen sich damit nicht abgeben. Meinen Ekel über das preußische Wesen kann ich gar nicht beschreiben. Hätte ich jetzt meine Zeitung noch, ich würde in vielen Artikeln schwarzgelb erscheinen, wie ich es schon im Februar des Jahres in Aussicht stellte, auf die erst preußische Note hin, die mir die alte Sprechmüthigkeit noch im schönsten Flore zeigte. In Oestreich verstehen sie doch etwas anzugreifen, etwas zuthun, oder wenigstens den Schein zu gewinnen, etwas thun zu wollen. Nicht einmal das versteht man in Berlin.

Nimm noch einmal unsre herzlichsten Glückwünsche und besten Grüße, und denke dran, gelegentlich wieder etwas von Dir hören zu lassen.

Treulich Dein
Gervinus