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Susanna Maria Tucher an Karl Hegel, Nürnberg, 30. November – 7. Dezember 1849

Mein theurer geliebter Karl!

Wie Du Dich aus dem politischen Treiben reißen mußt um mir zu schreiben, sieh so geht es mir bei häuslichen Beschäftigungen, die oft ihre Anforderungen an meine Zeit machen. Abends kann ich mich Dir noch am ungestörtesten widmen, aber da mein lieber Papa, der seit gestern wieder von Simmelsdorf zurück ist, oft noch spät nach Hause kommt, so wird es oft 11 Uhr und später bis einige Ruhe um mich her eintritt. Wie glücklich werde ich sein, wenn wir jeden freien Moment zu mündlichem Austausch unsrer Gedanken und Empfindungen benützen können und nicht jedes Wort erst den langen Wege durch Feder und Papier machen muß. Ich denke mir oft, wie heimlich wir unsre Häuslichkeit einrichten wollen, und hoffe, daß wir recht reich erfahren wie es in unsrer Iphigenie heißt, daß der am glücklichsten sei, dem im eignen Hause Wohl bereitet ist.2 Wenn ich mir Dein bis jetzt so einsames Leben denke, sieh, dann wird der Wunsch, es Dir künftig so wohl als möglich zu verschönern und zu erheitern, so lebhaft in mir, daß es mein liebstes Studium sein wird, all Deine Gedanken und Neigungen auszuforschen und Deinen Wünschen nachzukommen. Wie glücklich macht mich schon der Gedanke, Dir, mein liebster Karl, all mein Denken und Sinnen zu widmen. Ich arbeite treulich an mir, um fähiger zu werden, Dich zu beglücken; Dein Beifall, mein theurer Karl, ist das Ziel, nach dem ich strebe. Oft wenn ich unfreundlich oder heftig bin (sollten Dir diese Seiten meines Charakters trotz Deiner Beobachtung entgangen sein?) dann denke ich mir, wenn Du mich jetzt sehen könntest! – und ich schäme mich vor dem mich immer begleitenden Andenken an Dich.

Heute Abend war ich bei Aufseß, die auch Du kennst, gebeten. Sie sind mir gut und interessiren sich sehr für Alles was und unsre Verlobung betrifft; ich mußte ihnen Alles erzählen vom Augenblick Deines Kommens nach Simmelsdorf, bis zum Empfang Deines Briefes3, der die erste Periode schloß und mich in ein neues, reiches Leben entführte. Wie gerne erinnere ich mich all der Scenen in Simmelsdorf! – ach ich kann Dir wohl jedes Wort sagen, das Du dort und überhaupt mit mir sprachst. Ich kann Stundenlang mich damit beschäftigen, mir auszudenken, was Du wohl da und dort fühltest, wie Du diese oder jene Äußerung meintest und sehe mit freudiger Erwartung der Zeit entgegen, wo Du mir all jene kleinen Räthsel lösen wirst. Herr von Aufseß kennt Dich, mein theurer Karl, persönlich4; er wünschte mir herzlich Glück und bat mich, Dich von ihm zu grüßen. Seine liebenswürdige Frau und die Töchter bedauerten, Dich nicht zu kennen, und ich versprach ihnen, Dich zu ihnen zu führen, wenn Du mal kommst. Ach, ich freue mich so, Dich All denen bekannt zu machen, die mir lieb sind.

Heute erhielt ich schon tausend Grüße5 von Dir, die ich alle mit treuer Liebe erwiedre. Seit einigen Tagen schneit es nämlich unaufhörlich bei uns, und als mich heute Jemand aufmerksam darauf machte, daß die Schneeflocken alle von dem kalten Norden, wohin ich ziehen wolle, herkämen, dachte ich mir, es seyen Alles Deine Grüße und Deine liebenden Gedanken, die Du mir sendest. – Nicht wahr, ich bin recht kindisch, mein theurer Karl, aber sieh‘ ich sagen Dir eben Alles, was mir in den Sinn kommt, gerade wie wenn Du bei mir wärst.

Es ist wohl schon sehr spät in der Nacht, aber ich muß noch ein wenig mit Dir, Du Liebster, plaudern; ist es mir doch ganz unheimlich, wenn ich hie und da einen Tag vergehen lassen muß, ohne Etwas für Dich aufgezeichnet zu haben. –

Wir waren heute Abend im Concert im Museum, ich war zum ersten Male wieder dort, seitdem ich Dir angehöre, und ich hatte dasselbe Gefühl der Einsamkeit und Halbheit, das mich immer beschleicht, wenn ich unter vielen fremden Menschen bin. Das Concert an und für sich war recht hübsch, besonders eine Sinfonie von Schubert und die Ouvertüre zur Athalia von Mendelssohn. Meine liebe Lina war auch mit, ebenso Kieser und Auguste, die die Deinen freundlichen Gruß aufs Beste erwiedern.

Heute wünschte ich doppelt, daß Du bei und mit mir gewesen wärst, mein theuerster Karl, oder daß Du doch wenigstens von unserm Vorhaben Etwas gewußt hättest; wir waren in Erlangen bei Deinem Freunde Hoffmann.

Die Eltern hatten schon länger vor, Gottlieb zu besuchen, und um Deine Freunde kennen zu lernen, bat ich, sie begleiten zu dürfen; mein Papa in seiner rührenden Liebe für die Kleinen6 und um ihnen eine Freude zu machen, miethete einen Schlitten und so fuhren wir heute Nachmittag recht vollzählig, beim herrlichsten Wetter hinunter. Gottlieb führte die Eltern und mich zu Hoffmanns, die wir aber leider nicht zu Hause fanden, da sie bei Professor Schaden eingeladen waren. Da die liebe Mutter Frau von Schaden kennt und wir doch sehr wünschten Hoffmanns zu sprechen, gingen wir zu Schaden, wo wir sehr freundlich aufgenommen wurden und auch Hoffmanns trafen. Frau Professor Hoffmann ist eine äußerst liebenswürdige, angenehme Frau; als Deine Braut wurde ich von ihr aufs Herzlichste bewillkommnet, so daß ich mich bald ganz heimisch mit ihr fühlte; auch Herr Professor Hoffmann begrüßte mich sehr freundlich und freute sich, mich gesehen zu haben, ehe er an Dich geschrieben; er fragte, ob ich Etwas an Dich, liebster Karl, aufzutragen habe, aber ich denke, Du wirst noch eher direkte Nachricht von mir erhalten, denn morgen erwarte ich ziemlich bestimmt einen Brief von Dir, mein Theuerster, und Freitags wird dann meine Antwort abgehen. Frau Professor Hoffmann konnte mir nicht genug rühmen, wie gerne sie in Rostock gelebt hätte, und wie liebe und vorzügliche Menschen ich dort finden würde; sie versicherte mir, daß sie gleich wieder hinziehen möchte, wenn es sich sonst machen ließe; sie fände die Lebensweise in Erlangen bei Weitem nicht so angenehm. Ich hörte ihr so gerne zu, und liebe sie schon, weil sie Dich, mein bester Karl, so lieb hat und mir so viel Schönes von dem Kreis Deiner Bekannten erzählte. Nicht, als ob ich nicht schon davon überzeugt wäre, durch Deine lieben Briefe, aber bei mündlicher Mittheilung wird mir Alles viel bekannter und vertraulicher.

Besonders erzählte sie mir viel von einer jungen Frau, einer Genferin, die sie sehr lieb habe und von Frau Becker, geb. Link, die ihr eine wahrhaft mütterliche Freundin gewesen sey. Wie freue ich mich, durch Dich alle diese lieben Freundinnen kennen zu lernen! – Es ist wahr, ich lasse liebe, theure Freundinnen zurück, aber die Liebe zu Dir, mein theurer Karl, wird mein Herz weit und reich machen, daß es sich innig auch an bis jetzt Fremde anschließen kann, wenn Du sie liebst.

Mit inniger Freude empfing ich gestern Aben Deinen lieben Brief7, mein theurer Geliebter; wie dank ich Dir für all Deine Mühe und Sorge! – Der Plan unsrer Wohnung8 ist allerliebst und ich fühle mich jetzt bei Weitem nicht mehr so fremd in Rostock überhaupt, seitdem ich mir eine Vorstellung machen kann von unsrer nächsten Umgebung, von unserm Häuschen, das ich seit gestern in Gedanken schon immerwährend einrichte. Du forderst mich auf, mein Liebster, Dir Alles zu bemerken, was mir vielleicht nicht passend erscheint, und so will ich Dir Einiges sagen, was ich wohl anders gewünscht hätte, was aber nicht sein muß. Vor Allem ist es mir sehr leid, daß wir nicht auf einer Etage sein können; ich dachte es mir so gemüthlich, mein Zimmer neben dem Deinen; aber Du fürchtest wahrscheinlich, dann nicht so ungestört arbeiten zu können, wen Du eins der beiden vorderen Zimmer für Dich nimmst, oder wünschst zwei Zimmer frei zu behalten, was mir einestheils auch sehr angenehm und wünschenswerth erscheint, da Ihr sehr gesellig zu leben scheint, und wir manchmal im Fall sein werden, liebe Freunde bei uns zu sehen, wo dann ein Zimmer allein zu beschränkt sein würde. Raum haben wir allerdings überflüssig, aber um so angenehmer können wir dann auch liebe Gäste beherbergen; Deine gute Mutter, auf deren Besuch ich mich jetzt schon so sehr freue. – Was die häuslichen Unannehmlichkeiten betrifft, so bitte ich Dich, Dir deßwegen keine Skrupel zu machen; ich finde sie nicht so bedeutend, um sie mir so sehr zu Herzen zu nehmen; den Herd bitte ich Dich, so richten zu lassen, wie es Frau Karsten, Deine liebe Freundin, der ich herzlich für alle Mühe danke, für am besten hält; denn das richtet sich doch hauptsächlich nach der dort gebräuchlichen Kochart und dem gewöhnlich vorkommenden Feuerungsmaterial, ob Holz, Torf oder Steinkohlen. Wenn es möglich wäre, den Herd so einzurichten, daß die Küche damit erwärmt wird, so wäre es allerdings sehr angenehm für das Mädchen, die es sonst im Winter sehr kalt haben würde; doch weiß ich nicht, ob die Dienstboten dort so verwöhnt in dieser Beziehung sind, wie bei uns. – Mit dem Waschkessel und Trockenplatz wird es sich schon einrichten lassen; meine liebe Mama selbst in ihrem großen Haushalten hat keine besondere Waschküche, sondern den Kessel in der Küche, und meine Großmutter hat während ihres 48jährigen Haushalts keinen eingemauerten Kessel, sondern nur einen auf dem Herd, wie der in unsrem Haushalt nach Deiner Beschreibung zu sein scheint. – In Betreff der Möbel überlasse ich Alles getrost Dir, mein lieber Karl, Du kennst meinen Geschmack, wie Du mich überhaupt kennst, und ich glaube auch, daß wir in dieser Beziehung harmonieren. Jedenfalls wird es aber besser sin, die Möbeln in Berlin zu besorgen, denn auch Frau Hoffmann sagte uns, daß sie in Rostock wohl sehr gut, aber weniger hübsch und theurer als in Berlin oder Hamburg geliefert werden.

Ist es nicht unbescheiden, mein theurer Geliebter, wenn ich Dich daran erinnere, daß in 17 Tagen Weihnachten ist? Bitte schreibe mir doch in Deinem nächsten Brief, ob Du kommen kannst oder nicht; kommst Du – so ist mir die Vorfreude schon mal werth, und kannst Du nicht kommen – dann ist es mir auch lieber, wenn ich es vorher weiß, weil ich dann bis Weihnachten wieder in ruhigerer Stimmung bin, um der rechten Festfreude, die allerdings nicht von äußeren Verhältnissen abhängen soll, nicht verlustig zu werden. Meine Eltern hoffen mit mir, die liebe Mutter hätte Dir selbst davon geschrieben, aber sie hatte kein Plätzchen mehr, und ich übernehme es nun auch in ihrem Namen.

Was Du mir über Deine politische Thätigkeit schreibst, interessirt mich ungemein, und ich freue mich, durch Dich darin eingeführt zu werden. Mein lieber Papa ist in dieser Beziehung ein wenig einseitig, und doch war mir bis jetzt kein andrer Halt geboten.

Den herzlichen Gruß Deiner lieben Freundin Victoire erwidere ich aufs innigste; Du schreibst mir schon so viel Liebes von ihr in einem Deiner nächsten Briefe, daß ich mich wahrhaft freue, ihre Bekanntschaft zu machen, wie Du es mir versprichst.

So eben kam meine treue, süße Lina, um nähere Nachrichten von Tante Thekla zu erfahren. Die gute Mutter wird Dir von ihrem Glück geschrieben haben. Linz grüßt Dich von Herzen. Adieu, mein lieber theurer Karl, ich muß jetzt schließen, da es sonst zu spät wird. Leb wohl, mein theurer, einzig Geliebter. Ewig in treuer Liebe

Deine Susette.