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Karl Hegel an Susanna Maria Tucher, Rostock, 5. – 11. Dezember 1849

Meine liebe Susette! Es ist gewiß wünschenswerth und gut, wenn es sein kann, daß jeder wichtigen thatsächlichen Veränderung in unserem Leben eine Gewöhnung unserer Gedanken und Empfindungen an dieselbe vorhergeht. Diese Bedeutung und diesen Gewinn enthält die schöne Übergangszeit, in welcher wir uns jetzt befinden. Sie bereitet uns vor zu unserer künftigen unzertrennlichen Verbindung, indem sie die Bande der Liebe immer fester und fester um uns knüpft, bis sie zu einer inneren Nothwendigkeit unseres Wesens in der Art geworden ist, daß die wirkliche Verbindung nur als die äußere Erfüllung von dieser eintritt. Meine Natur ist weniger dazu geeignet sich in die Überraschung eines plötzlichen Wechsels der Zustände schnell und leicht zu finden wie es den mehr praktischen Menschen gegeben ist, sondern ich muß immer eine gewisse Zeit haben, um mir das Neue, was mir entgegentritt, anzueignen, da es langsamer, aber dann auch tiefer auf mich wirkt. In dieser Weise entschließe ich mich auch nicht gern schnell und im Augenblick, sondern ich lasse den Entschluß reifen, bis ich ihn meinem Wesen gleichsam eingewöhnt habe, um dann um so fester an ihm zu halten. – Unser künftiges Zusammenleben schwebt mir so in meinen Gedanken vor, indem ich mich innerlich darauf vorbereite, und so süß mir Deine lebendige Nähe wäre, so ist es mir doch nicht in jeder Rücksicht unlieb, daß wir im Stande der Verlobten von einander entfernt sind. –

Gestern Abend war ich in einer großen Gesellschaft von Männern u. Frauen bei meinem Collegen, dem Theologen Delitzsch; es war so ein norddeutsches, insbesondere mecklenburgisches Essen und Trinken, dergleichen man bei eurem einfacheren Leben gar nicht kennt; unter den Toasten, die mich ehren sollten, war auch einer, worin Deine Haube und Dein Pantoffel vorkam: – was wirst Du dazu sagen, mein süßes Susettchen! – Gewiß wäre ich früher mit Dir nach Hause gegangen, wenn Du dabei gewesen wärst; so aber mußte ich bis beinahe 2 Uhr Nachts aushalten und habe mir von all’ dergleichen Schlemmereien nur einen ziemlich wüsten Eindruck hinweggenommen. Warum muß denn alles Vergnügen sofort ins Übermaß ausarten, wodurch es sich nur in sein Gegentheil verkehrt?

Meine geliebte Braut! Mit Freude habe ich in Deinem letzten Briefe1 den Ausdruck einer größeren Zuversicht in Beziehung auf den geselligen Verkehr und Umgang, den Du hier antreffen wirst, gefunden. Wirklich hast Du hier auch unter den Frauen eine reiche und vielseitige Auswahl, wie ich eben in der lezten Gesellschaft, in der ich war, bemerken konnte. Du findest darunter auch noch andere süddeutsche außer der lieben Schwäbin: da ist z. B. eine Schweizerin aus Genf, eine sehr liebe, gute Frau meines Collegen Röper, des Botanikers, der eine Zeit lang Professor in Basel war; ferner eine Badenserin, die ich in jener Gesellschaft zum ersten Mal sah, weil sie noch nicht lange hier ist, die Frau eines Arztes, namens Kortüm; zwei andere Frauen von Collegen sind aus Leipzig, eine aus Göttingen, eine aus Berlin usw. Du wirst Dich gewiß bald an mehrere von diesen oder anderen Frauen, unter denen die einheimischen durchaus nicht an Liebenswürdigkeit zurückstehen und bei allen das freundschaftliche Entgegenkommen finden.

Heute morgen war unser künftiger Hauswirth bei mir, mit dem ich noch Mehreres beredet habe, daß er die Wohnung passender herrichtet, und dazu einen ordentlichen Herd und zwei neue Öfen setzen läßt. Ich lege ihm dafür etwas auf die Miethe zu. Der Mann scheint recht ordentlich zu sein und ist sehr bereitwillig, mir Alles nach Wunsch einzurichten, da er besonderen Werth darauf legt, mich zum Miethsmann2 zu erhalten.

Liebe theure Susette! Es drängt mich mit Gewalt zu Dir, nachdem ich zwei Abende versäumt habe, Dir zu schreiben. Ich habe so vielerlei zu arbeiten und im Augenblick zu besorgen gehabt, daß ich keine Ruhe um mich Dir ungestört zu widmen, finden konnte. Selbst heute am Sonntag ist mir der ganze Nachmittag bis zum Abend durch eine Conferenz in unseren politischen Angelegenheiten hinweggenommen worden. Ich lief nach Hause, um zu sehen, ob vielleicht schon ein Brief von Dir angekommen wäre; er kann jeden Augenblick noch kommen oder er kommt morgen früh; ich warte mit Sehnsucht darauf, wenn nur die Eisenbahn auf den Bergen über Hof noch frei ist!

Vorgestern Abend schrieb ich, statt an Dich, an Manuel, nachdem ich eben Nachricht von ihm erhalten, daß ihm ein Knäblein geboren worden. Wie freue ich mich seines und Friederikens Glück! Zu den beiden allerliebsten Mädchen, Gustel und Mariechen, ist nun ein liebes Brüderchen hinzugekommen den Eltern zur unaussprechlichen Freude. Leider kann meine theure Mutter nicht Augenzeugin dieses Glückes sein, da sie noch immer an die Stube und ans Krankenlager gefesselt ist. Die liebe Freundin Klitzing nimmt sich an ihrer Stelle der Wöchnerin und des Hauswesens bei Manuel an.

Der sehnsuchtsvoll erwartete Brief ist gestern Abend und auch heute noch ausgeblieben. Ich fürchte, daß er den Weg über die Berge, welche unsern Norden vom Süden Deutschlands trennen, nicht mehr frei von Schnee und offen gefunden hat. Der Winter hat sich diesmal sehr früh eingestellt und wir haben fortdauernd immer einige Grad Kälte, die liebe Erde behält ihr einförmiges Kleid, und die Schiffe, welche zur Winterszeit auslaufen, müssen sich ihre Bahn durch einen Kanal im Eise öffnen lassen. Laß es frieren, so viel es will, mein liebes Susettchen, wenn nur unsere Herzen uns warm in Liebe entgegenschlagen und unsere Gedanken ungehindert zu einander gelangen können.

So eben kommt Dein süßer Liebesbote.3 Sei mir gegrüßt!

Dein Brief, meine liebe gute Susette, hat mir eine große Freude gemacht. Auch war es ein bloßes Versehen, veranlaßt durch meine Ungeduld, daß ich denselben schon früher erwartete, da er gar nicht früher eintreffen konnte. Besonders über die interessante Schlittenparthie nach Erlangen und Deine Bekanntschaft mit der Frau Hofmann habe ich mich gefreut. Gewiß ist diese eine sehr liebenswürdige Frau, die auch hier noch in besonders gutem Andenken steht. Aus ihrer Schilderung von dem hiesigen Leben, insbesondere auch von den hiesigen Frauen wirst Du entnommen haben, daß es auch Dir hier ganz gut gefallen wird. Die Schweizerin, von der sie Dir sprach, habe ich bereits oben erwähnt; die Frau Becker ist auch mit meiner Mutter durch mich befreundet worden, da sie öfter nach Berlin zu ihrem Vater kommt: sie ist gleichfalls eine vortreffliche Frau, zwar sehr vorgerückt in Jahren, aber noch sehr jugendlich in Gesinnung und Gefühlen. – Über die Hauptsache, die Du zum Schluß Deines Briefs so dringend zu erfahren wünschest, kann ich Dir erfreuliche Nachricht geben: es ist meine Absicht, liebste Susette, Dich zu Weihnachten zu besuchen. Was mich besonders dazu treibt, ist hauptsächlich der Umstand, daß ich nicht weiß, bis wann hernach das Wiedersehen und zugleich unsere Verbindung stattfinden kann. Denn wenn ich – wie sehr wahrscheinlich – in die Abgeordnetenkammer4 oder auch zum Reichstage5 gewählt werde, so dürfte sich dieser Zeitpunkt noch länger hinausschieben. Übrigens kannst Du Dir wohl vorstellen, daß dies keineswegs mein persönlicher Wunsch ist, wie ich denn auch nicht das Geringste dazu gethan habe oder thun werde; aber nach meiner ganzen hiesigen Stellung und erlangten politischen Wirksamkeit, nach der hiesigen Lage der Dinge überhaupt kann ich mich einer solchen Wahl, wenn sie auf mich fallen sollte, aus bloß persönlichen Rücksichten und Wünschen durchaus nicht entziehen. Dann aber werde ich wohl noch bis gegen Ende Mai vom Ziel meiner Wünsche entfernt bleiben. Doch sei so gut, liebe Susette, und sprich davon nicht weiter zu Deinen Bekannten, damit sie meine Absichten und Wünsche nicht etwa falsch deuten. Du wirst es mir gewiß glauben, wenn ich Dir sage, daß ich am liebsten von diesen politischen Händeln ganz fern bliebe, die mich nicht zur Ruhe und stillen Befriedigung weder des häuslichen Glücks, noch meines wissenschaftlichen Studiums kommen lassen wollen. – Also, mein süßes Liebchen, Du darfst mich zu Weihnachten erwarten, entweder zum 24. oder zum 25., je nachdem Zeit, Umstände und Wege es gestatten werden. Wie freue ich mich darauf, Dich zum ersten Mal als meine geliebte Braut zu umarmen, Dir von ganzer Seele und unmittelbar aus dem Herzen meine Liebe zu versichern und von Deinen süßen Lippen in traulicher Unterhaltung die gleiche Versicherung zu empfangen! Und wie sehr freue ich mich auch auf das Wiedersehen mit Deinen lieben Eltern und Geschwistern  und mit all‘ den andern Lieben, die zu uns gehören!

Nach meinem jetzigen Plan würde ich am 20. Dec. von hier abreisen, am 21. in Schwerin sein, am 22. in Berlin, und am 23. von dort abgehen, so daß ich am 24. Mittags bei Euch eintreffen könnte. Ich habe dabei den bairischen Fahrplan vom 1. Oct. vor Augen: sollte derselbe seitdem verändert worden sein, so unterlasse ja nicht, mir davon noch in Deinem nächsten Briefe Nachricht zu geben. Ich rechne nämlich darauf, daß ich um 5 Uhr Nachmittags von Leipzig abgehe und um 6 Uhr Morgens von Hof. Deinen nächsten Brief wirst Du in gewöhnlicher Weise nach Empfang dieses auf die Eisenbahn geben am Sonnabend, 15. Dec. Vormittags, dann werde ich ihn am Dienstag, den 18. oder wenn Verzögerung eintritt, spätestens am Mittwoch, den 19. erhalten; und meine Antwort wird sogleich darauf von Schwerin aus erfolgen, denn bis dahin nehme ich sie selbst noch mit. Sollte aber die Abgabe Deines Briefs sich über den Sonnabend hinaus verspäten, so adressire ihn nur nach Berlin unter Adresse an mich Potsdammer Straße 27.

Es freut mich, daß die gewählte Wohnung im Ganzen Deinen Beifall hat und daß Du auch mit der beschränkten Einrichtung der wirthschaftlichen Localitäten Dich zufrieden geben willst. Den Übelstand, daß wir nicht nebeneinander wohnen, hätte ich selbst sehr gern vermieden gesehen: allein ich hatte nur die Wahl zwischen dieser und einer anderen Wohnung, die gleich um 60 Thaler theurer war, obwohl sie im Raum viel beschränkter ist, oder vielleicht noch einer dritten, die ebenfalls in einer Etage liegt, aber sonst der äußeren Lage und Straße so wie der inneren Einrichtung nach keineswegs freundlich und behaglich erschien. Die gewählte Wohnung scheint Euch nach dem vorgelegten Plane ohne meine Absicht einen größeren Eindruck gemacht zu haben, als der Wirklichkeit entsprechend ist. Sie ist unter allen, die für uns zur Frage kommen konnten, eine der billigsten und bescheidensten: die meisten Zimmer sind klein, nur Dein Wohnzimmer mit zwei Fenstern geräumig, das Nebenzimmer mit einem Fenster wäre weder für mich noch für Dich irgend ausreichend, der daran stoßende halbdunkle Alkoven kann nur für einen Kleiderschrank dienen. Doch, wir wollen lieber mündlich darüber weiter verhandeln und füge ich über denselben Gegenstand noch ein paar Worte an Deine liebe Mutter6 hinzu. – Möge Dich Gott behüten, meine liebe Susette, einzig geliebte Seele! Noch bitte ich Dich, daß Du Dir doch ja nicht zu sehr den Schlaf verkürzen möchtest, um an mich zu schreiben; das Nachtwachen taugt nicht und könnte Dir leicht schaden, was mich weit mehr bekümmern würde, als wenn Du weniger an mich schriebest. Lebe wohl, meine theure Seele. In treuer Liebe

Dein Karl.