Ob Dir wohl heute Mittag die Ohren geklungen haben, mein lieber theurer Karl? Die Gläser klangen hell, Dir zu Ehren und manch sehnsüchtiger Seufzer begleitete den Klang bis zu Dir. Der liebe Kieser und Auguste und noch einige Bekannte aßen bei uns und da sie wohl wußten, daß meine Gedanken bei Dir waren und Dich am liebsten auch an unserm Tisch gesehen hätten brachten sie einstimmig ein Hoch Dir zu Ehren aus. Der gute, immer heitre Kieser grüßt Dich von Herzen, er spricht mir großer Liebe von Dir und Eurem gemeinschaftlichen Hauswesen im dritten Stock, und da er weiß, bei mir immer offene und aufmerksame Ohren dafür zu finden, so erzählte er mir lang und viel und sagte mir immer wieder, wie lieb und gut Du seist; ich weiß es freilich selbst am besten, höre es aber immer wieder gern von Andern, mein lieber, lieber Karl. Mit Kiesers Aussichten auf baldige Hochzeit scheint es sich wieder ein wenig zu verzögern. Sein Schwiegervater in Stuttgart starb plötzlich und er muß nun hin, um Alles zu ordnen; Auguste steht also auch eine Trennung, vielleicht für Weihnachten, bevor, und wir können uns dann miteinander trösten – ein leidiger Trost!
Montag, den 10ten Dezember 1849
Wie erfreute uns die Nachricht, die wir heute durch den lieben Manuel hörten! Gott segne die theure Friederike und das kleine Kindchen, das ich mit besonderer Liebe begrüße, als einen lieblichen Zuwachs des Kreises, den künftig meine Familie ausmachen wird. Wie glücklich ist die gute Mutter gewiß über das liebe Enkelchen, wenn sie jetzt auch doppelt schwer ihre gezwungene Unbeweglichkeit ertragen wird. Manuel schreibt über ihren Zustand, wenn auch nicht gerade ängstlich, doch beklagt er, daß die Besserung so langsam voranschreitet. Ich werde ihr nächstens schreiben, der theuren Mutter, da ich auf keine andre Weise ihr einige Erheiterung und Freude auf ihrem Krankenlager bringen kann.
Die liebe Tante Sophie, die Dich, mein theurer Karl, recht von Herzen lieb hat, kam heute hierher. Ich hatte sie seit dem Abend bei Meiners, wo Du den Tag darauf nach München2 reistest, nicht mehr gesehen; welche Fülle von Erinnerungen drängte sich mir auf! Oft wenn ich an die Zeit vor unsrer Liebe zurückdenke, kann ich gar nicht begreifen, daß ich mich damals glücklich fühlte, es scheint mir, als müßte ich da entsetzlich arm gewesen sein. – Ich mußte der lieben Tante Alles erzählen, und, ach wie gerne thue ich es immer wieder. Sie nimmt innigen Antheil an unserm Glück und grüßt Dich in treuer Liebe. Der Plan unsrer Wohnung, den ich immer wieder studiere und mich dadurch ganz heimlich in diesen Räumen fühle, wurde ihr auch vorgelegt und sie bewunderte mit mir Deine liebenswürdige Sorgfalt, mir auch in häuslicher Beziehung Alles recht nach Wunsch zu machen. Du lieber, theurer Karl, ich meine es müßte Dir so schwer werden, Dich mit dergleichen Dingen zu beschäftigen, die dem Kreis Deiner Gedanken bisher so fern lagen.
Warum ich Dir gestern Abend nicht schrieb, mein Liebster? Du wirst mich auslachen, wenn ich dies sage! Es ereignete sich hier kürzlich ein gräulicher Mord, verübt an einer Frau durch Frauen3; und durch das viele Hin- und Herreden über diese schreckliche Geschichte war ich so aufgeregt, daß ich, als die Eltern zu Bett waren, mich ganz unheimlich allein fühlte und schnell zur Ruhe eilte, um der erschreckenden Bilder, die mich beschäftigt hatten, los zu werden. Ich weiß, es ist nicht recht, den äußern Eindrücken so viel Macht einzuräumen, ich bin auch sonst nicht so leicht aufgeregt, aber gestern Abend war es mir fast unmöglich an Etwas Andres zu denken.
Heute war ein öffentlicher Verkauf von schönen Arbeiten zum Besten einer Erziehungsanstalt für arme Knaben. Hermann Bekh ist ein sehr thätiges Mitglied des Vereins, und war auch bei dem Verkauf gegenwärtig, wo ich Gelegenheit hatte, ihn zu sehen. Er sprach mir seine herzlichsten Wünsche aus, und erinnerte sich mit Vergnügen des unerwarteten Zusammentreffens mit Dir, mein theurer Karl, in Simmelsdorf4. Er meinte, er wäre gerade zur Entstehung unsrer Liebe gekommen – ich weiß es nicht, mein theurer Geliebter, denn ich erschien mir während dieser gan- zen Zeit als ein Räthsel, zu dem mir Dein Brief, mein theuerstes Gut, recht die Lösung gab.
Wie ungenügsam doch der Mensch ist! Sonst wußte ich recht gut, daß ich eine Antwort auf meinen wohl am achten Tage erhalten kann; seitdem ich aber Deinen vorletzten Brief5 einen Tag früher bekam, fange ich immer schon einen Tag vorher an, zu hoffen. Ich bin heute überhaupt in immerwährender Erwartung gegen alle Möglichkeit und Überzeugung. Ich weiß daß Du nicht kommen kannst, daß Du mich nicht überraschest, ich verzichte sogar auf Dein Kommen an Weihnachten und doch habe ich heute den ganzen Tag eine unbestimmte Ahnung, als ob Du kämst. So oft das Thürchen geht, so sehe ich darnach, und ich weiß doch, daß Du es nicht bist, und jeder ungewohnte Tritt bewegt mein Innerstes. Ist es vielleicht die Erwartung Deines Briefes, der mir Gewißheit, wegen Deines Kommens bringt, die sich unvermerkt und gegen meinen Willen, denn ich will ja nicht hoffen in die Erwartung Deiner selbst, mein geliebter Karl, verwandelt hat? übrigens erscheint mir mein Wunsch jetzt recht selbstsüchtig, denn jedenfalls ist die Erfüllung desselben mit großen Opfern für Dich verbunden, wenn ich nur an die kalte, unangenehme Reise denke! vergieb es meiner Liebe, die sich nach Dir sehnt, die aber auch Dir zu Liebe gern einen Wunsch aufgeben kann. – Diesen Abend will ich noch an die theure Mutter schreiben, und muß darum Dir, mein theurer Karl, Lebewohl sagen.
Mein geliebter, theurer Karl! Dein Brief6 hat mich tief ergriffen, er enthielt ja die Erfüllung eines lebhaften Wunsches, den ich in den letzten Tagen schon aufgegeben hatte, wenigstens wollte ich es mir glauben machen. Dank Dir, mein theurer Karl, für all Deine Liebe, die mich so unaussprechlich beglückt! Also am 24ten Dezember darf ich Dich erwarten! Denn der Fahrplan vom 1ten Oktober ist nicht geändert, so daß Du Deine Reise einrichten kannst, wie Du beabsichtigest. Meine theuren Eltern und Geschwister theilen mit Herzlichkeit meine Freude und heißen Dich mit mir willkommen. Meine gute Lina weiß es noch nicht, ich hätte es ihr gerne sagen lassen wie überhaupt Mehreren, von welchen ich weiß, daß sie sich meines Glücks freuen, aber es war zu spät nach Empfang Deines Briefes und so muß ich mich schon für heute mit der innigen Theilnahme der Meinigen begnügen.
Doch, mein theurer Geliebter, ich muß Dir Lebewohl sagen! Alles Andre auf mündlich! wie klingt mirs so süß und weniger genügend als je erscheint mir das geschriebene Wort. Noch einen Liebesboten7 darf ich von Dir erwarten, dann bist Du selbst bei mir!