Mein herzliebes Susettchen, Engel und Menschenkind in einer Person! Ich melde Dir, daß ich glücklich und wohlbehalten gestern Abend bei mäßiger Kälte hier angekommen bin. Meine liebe Mutter fand ich im Bette: sie hatte sich über mein längeres Ausbleiben schon sorgliche Gedanken gemacht und war nun hoch erfreut über meine Ankunft, über die lieben Grüße und guten Nachrichten, die ich ihr von Nürnberg mitzubringen hatte. Sie las dann noch Deinen, der lieben Mutter und der Tante Fritz Briefe1 mit inniger Theilnahme und ich mußte Alles durch mündliche Erzählung ergänzen. Mit ihrem Befinden geht es leider noch nicht nach Wunsch, da sie aufs neue Schmerzen am Bein empfindet, wahrscheinlich in Folge zu großer Anstrengung während Mathildes Krankheit. – Ich konnte diesen Abend nicht mehr zu Manuel gehen, und habe also erst heute Morgen ihn und Friederikchen besucht: beide und ihre Kinder traf ich bei bestem Wohlsein; der kleinen Gustli gab ich das Mitgebrachte von der kleinen Lilli aus Nürnberg, worüber sie ihre kindliche Freude lebhaft äußerte, es Jedermann zeigend. Dann ging ich mit Manuel zusammen in die Stadt, er auf sein Ministerium2, ich zu dem Uhrmacher Tiede, wohin ich Deine Uhr brachte, dann weiter zu einigen anderen Besorgungen und einem Besuch bei meinem Freunde Beseler, den ich glücklich zu Hause traf. So habe ich diesen Vormittag zugebracht und schreibe Dir dieses nur in Eile vor dem Essen, will ich nach Tisch wieder einpacken muß zur Weiterreise bis Wittenberge, wo ich übernachten will, damit ich morgen früh um 9 Uhr in Schwerin eintreffe.
Ich brauche Dir wohl nicht zu versichern, mein süßes Liebchen, daß ich in Gedanken auf meiner Reise fast immer bei Dir gewesen bin, wenn nicht die Unterhaltung mit den Mitreisenden davon oft gewaltsam mich abzog. Dein weicher Nackenpummel wiegte mich so sanft ein, als ob Dein liebender Arm mich umfaßte, und seine schwarzen Maschen vergegenwärtigte mir Deine geschäftigen lieben Hände, welche sie zusammenzogen. Meine Arme streckten sich im Traum sehnsüchtig nach Deiner Gestalt aus, aber konnten sie nicht mehr erreichen: nur Deine innig treuen, zu mir aufblickenden Augen glaubte ich immer noch zu sehen. In so süßen Träumen und auf so weichem Kopfpolster konnte ich selbst in dem Schlitten mit offenem Seitenlader, der uns von Plauen nach Reichenbach in der Nacht bei 8 Grad Kälte beförderte, ganz wohl schlafen, und in Reichenbach angekommen ließ ich mir noch ein Bett geben, in dem ich den Schlaf von 2 bis 5 Uhr Morgens fortsetzte. Um 9 Uhr Morgens war ich in Leipzig, wo ich von ½ 10 bis ½ 12 Uhr noch drei Besuche machte, bei meinem Verleger C. Reimer (Weidmannsche Buchhandlung) und bei meinen Freunden Prof. Jahn u. Prof. Haupt3; der erstere brachte mich dann noch zur Eisenbahn, nachdem ich ein kurzes Frühstück oder Mittagessen eingenommen. Um ½ 7 Uhr war ich hier in Berlin.
Die Reisegesellschaft war einige Mal recht unterhaltend: In Baiern fuhr ich mit einem Fabrikanten aus Schweinfurt; in Sachsen mit einem desgleichen aus Reichenbach, in Preußen mit einem wohl unterrichteten Landrath; und konnte ich von diesem manches Interessante hören und erkundigen.
Meine Freunde in Leipzig unterrichteten mich ebenfalls noch näher über die Stimmung und Sachlage in Sachsen, die Preußen ebenso entschieden günstig als dem gegenwärtigen Sächsischen Ministerium ungünstig, ja feindlich ist.4 Man erwartet dort die abermalige Auflösung der Kammern und dann den Einmarsch der Österreicher aus Böhmen, auf deren Unterstützung das schlechte Ministerium allein rechnen darf; es ist keine Frage, daß dann die Preußen gleichfalls einen Theil von Sachsen besetzen werden und die ganze Bevölkerung ihnen zufällt. Sachsen ist eine reife Frucht, welche Preußen nur vom Baume zu schütteln braucht, um sie im Schoß zu haben; doch vielleicht thut ein Windstoß von ungefähr dasselbe. –
Das Wetter ist heute milde, es fällt seit Mittag viel Schnee. Die Flocken bringen mir jetzt Grüße von Dir, mein liebes Susettchen, denn der Schnee ist, wie wir wissen, auch in Nürnberg zu Hause und war dort unser steter Begleiter. Gewiß denkst Du auch oft an mich, mein süßes Menschenkind; denn ich weiß, daß Du mich liebst und zwar mit inniger Seele liebst; aber ich weiß auch, daß Du zu verständig bist, um Dich nicht auf schwächlich sentimentale Weise zu härmen und zu grämen, denn Du bist ein vernünftiges und starkes Mädchen, das sich in die Nothwendigkeit mit Einsicht zu finden weiß.
Unser kurzes seliges Zusammensein hat uns eine neue Gewähr unseres künftigen dauernden Glückes gegeben, da wir uns gegenseitig nicht nur unserer innigen Liebe zu einander versichert haben, sondern auch in Empfindungen, Stimmung und Charakter jener Übereinstimmung gewiß geworden sind, welche bei einer dauernden Verbindung durchs Leben zum vollständigen Glücke nicht fehlen darf. So wirst auch Du, theuerste Geliebte, nicht mehr der Grille bei Dir Raum geben, als ob Du mir und meinen eingebildeten Ansprüchen nicht ganz genügen könntest, da Du Dich überzeugt haben wirst, daß ich Dich, so wie Du bist und weil Du so bist, mit ganzer Seele liebe. Ich sage damit nicht, daß Du nicht in dieser oder jener Beziehung vollkommen werden könntest; aber das wird nicht anders als durch unsere Gemeinschaft und gegenseitige Vervollkommnung mit Gottes Segen geschehen.
Und so lebe denn nun wohl, mein liebes Herz und wonnevolles Menschenkind. Mögen Gott und alle Engel Dich behüten!
Tausend Grüße an Deine theuren Eltern und Geschwistern und an alle die Lieben, die mir dort so innig zugethan sind. Auch Manuel u. Friederikchen lassen Dich herzlichst grüßen: sie werden ihr Kindchen am Dienstag taufen lassen u. ihm die Vornamen der beiden Großväter Eduard u. Wilhelm geben: Wilhelm soll es nach meinem Vater heißen. Leb wohl, liebe Seele.