Innig geliebtes Menschenkind, theuerstes Susettchen! Dein Bild1 liegt vor mir auf dem Schreibtische und oft nehme ich es zur Hand, um Dich anzublicken und Dich meiner herzlichsten Liebe zu versichern. – Ich bin also richtig wieder auf meinem alten Platze, nachdem ich wohlbehalten hierselbst angelangt. Um wieder da anzuknüpfen, wo ich Dir zuletzt schrieb, Berlin am Sonnabend2 Mittag, so blieb ich dort noch bis zum andren Morgen, weil ich noch Manches mit der lieben Mutter und Manuel zu besprechen hatte, auch Friederikchen, die ich am morgen nur kurz gesprochen hatte, noch einmal am Abend besuchen wollte. Die liebe Mutter machte uns Beiden, Manuel und mir, ungeachtet unserer Einreden, noch ein Geschenk von 900 Thalern, 450 Thaller für Jeden, von ihrer Erbschaft, indem sie darauf bestand, daß sie es uns lieber aus ihrer noch lebenden warmen, als aus ihrer kalten Hand zufließen lassen wolle; wir hätten fürchten müssen, sie zu betrüben, wenn wir uns ihrer Liebe geweigert hätten. Außerdem will sie noch eine ansehnliche Summe auf meine Ausstattung verwenden – die gute Mutter, die mit rührender Liebe nur darauf denkt, wie sie ihren Kindern und Anderen Freude und Gutes erweisen kann! Am Sonntag früh nahm ich bewegten Abschied von ihr und fuhr nach Schwerin, indem ich unterwegs mit Bekannten aus Mecklenburg und einer sehr lustigen Reisegesellschaft zusammentraf. Auf dem Bahnhof wurde ich bereits von dem Sohn des Geheimen Cabinetsrath Prosch erwartet, der schon die Tage vorher zu meinem Empfang dort gewesen, so wie auch mein schönes Gastzimmer bei Prosch schon länger geheizt worden; denn ich hatte auf der Hinreise, wo ich dort schon einen Tag zugebracht, versprechen müssen, wieder daselbst einzukehren. Die Frau Prosch, eine liebenswürdige und noch recht hübsche Frau, ist, wie ich Dir erzählt habe, meine besonders gute Freundin in Schwerin und nimmt auch an meiner Verlobung mit Dir den herzlichsten Antheil, obgleich sie ebenfalls eine bereits erwachsene Tochter hat: ich habe ihr versprechen müssen, auch mit Dir bei ihr zu wohnen. Es ist sehr gemüthlich in disem Hause zu wohnen: die Lage am See mit dem Blick über einen Theil der Stadt ist reizend, die innere Einrichtung sehr comfortabel; dem Hausfreunde oder Gaste werden alle möglichen Genüsse, die Kunst und Natur bieten, dargereicht. Du findest dort schöne Gemählde, Kupferstiche nach Auswahl; die besten Weine usw. und fühlst Dich sogleich wie zu Hause und nicht im Geringsten durch Ansprüche irgend welcher Art genirt, da der Verkehr durchaus unbefangen und Jeden gleichsam freigestellt ist. Ich besuchte außerdem noch unseren Minister v. Lützow so wie meine Freunde, die Regierungsräthe Karsten und Prosch, meine früheren freundlichen Wirthsleute, Advocat Schweden und einige Andere und fuhr darauf am folgenden Nachmittag 2 Uhr wieder auf der Eisenbahn weiter bis Wismar und auf der Post von da bis Rostock. Auf diesem Wege traf ich mit meinem Collegen Becker und Frau zusammen, die den Tag nach mir von Berlin abgereist waren, ohne sich aber in Schwerin aufzuhalten. Da sich die Ankunft in Rostock bis 11 Uhr Nachts verspätete und ich mein Kommen vorher nicht angemeldet hatte, so geschah es, daß ich nicht mehr, trotz alles Pochens und Lärmens, ins Haus gelangen konnte und noch einmal im Wirthshause übernachten mußte. – Es war auf dieser ganzen Rückreise nicht so kalt, wie auf der Hinreise, und wie mich damals die spannende Erwartung über alle Beschwerde der Reise hinweghob, so jetzt die Erinnerung an die glücklichen Tage, die ich mit Dir, meine innigst Geliebte, verlebt und die leibhaftig näher gerückte Aussicht auf unsere künftige dauernde Vereinigung.
Am ersten Abend nach meiner Ankunft war ich bei Leist, wo ich den häuslichen Kreis durch seine Mutter und eine rothwangige Cousine aus Göttingen erweitert fand. Gestern war ich zu Bruns eingeladen, wo ich noch mehrere Freunde fand – Delitzsch, den Theologen, und Frau, Fritzsche einen Philologen aus Leipzig nebst Frau, Röper und Andere. Die liebe Schwäbin erkundigte sich sehr angelegentlich nach Dir und fragte nach Deinen Grüßen, wünschend, daß Du selbst schon da wärst. Deine Gesundheit wurde, wie immer, ausgebracht und ich gedachte Deiner, mein einziges Menschenkind, mit ganzer Seele.
Schon heute morgen, mein Herzens Susettchen, traf Dein Brief vom 8. hier ein3, der mich durch den innigen Ausdruck Deiner Liebe mit wahrhafter Rührung, so wie mit Sehnsucht nach Deiner Gegenwart erfüllte. Gewiß ist es gut, mein liebstes Mädchen, daß es uns Männern durch unsere Berufsgeschäfte nicht, so wie Euch, gestattet ist, unsere Gedanken beständig auf den Gegenstand unserer Liebe zu richten, weil uns auch die Gabe der Geduld und des sehnsuchtsvollen thatlosen Abwartens in viel geringerem Maße beiwohnt. Dagegen meinen wir durch die Stärke unserer Gefühle das zu ersetzen, was ihnen an gleichmäßiger Continuität abgeht. Und so ergreife ich Dich, meinen liebsten Besitz, mit meinem ganzen Sein, so oft sich meine sonst zerstreuten Gedanken Dir zuwenden. Dein theures Bild liegt immer vor mir und oft unterbreche ich mich in meinen Arbeiten, um mich durch einen Blick in Dein liebes Antlitz zu erquicken. Ich denke mir, daß Du weniger eines solchen äußeren Anhaltpunktes der Erinnerung an mich bedarfst, eben weil Du innerlich ungestörter bleibst. Auch bin ich dem Herrn Hahn nicht so ganz böse, daß er Dir mein Bild nicht ohne das Deinige überlassen wollte, daß er mein Bild zugleich mit dem Deinigen vermischte, zum Zeichen, daß das eine nicht ohne das andere sein sollte: der Mann hat offenbar einen richtigen Instinct für unsere Liebe, die uns untrennbar erscheinen läßt, bewiesen. Wenn Du aber nichtsdestoweniger der Meinung sein solltest, daß Du darum doch ebenso gut ein Bild von mir besitzen dürftest, wie ich ein solches von Dir habe, so läßt sich für Dein Wünschen immer noch auf andere Art Rath schaffen.
Der Brief von Fanny, wovon Du schreibst, ist in Berlin und auch hier nicht an mich gelangt; vermuthlich wird indessen meine liebe Mutter ihn erhalten und die Einlage schon richtig besorgt haben: ich werde jedoch nicht unterlassen, sie darum zu befragen. Mir ist es nicht anders, wie Deinem lieben Vater, ergangen; denn auch ich habe erst hier unter meinen zurückgebrachten Sachen einen Brief meiner lieben Mutter an die Tante Thekla vorgefunden, den ich in Nürnberg vor lauter Geschäften vergessen, und nun noch nachsenden muß, um Dich um seine weitere Besorgung zu bitten.
In den nächsten Tagen werde ich mit mehreren meiner politischen Freunden einen Ausflug nach Güstrow (welche Stadt in der Mitte unseres Landes liegt) unternehmen, zu einer Generalversammlung von Deputirten unserer Wahlvereine, welche der hiesige Centralverein (dessen Mitglied und Deputirter ich bin) anberaumt hat. Bei dieser Gelegenheit kann ich mich dort auch nach Meubeln umsehen, welche daselbst besser und billiger, als hier, zu haben sein sollen. Du siehst, wie geschickt ich meine persönlichen Interessen mit den politischen zu verbinden verstehe! So wirst Du, um der letzteren willen, nicht ungehalten sein. – Wegen der Einlage will ich kein neues Blatt mehr anfangen, wiewohl ich ungern mit diesem schließe. Ich umarme Dich mit ganzer Seele, meine heiß Geliebte, und bitte Dich nur noch, mir zu schreiben, wie es mit Deinem Husten steht, wegen dessen ich mir einige Vorwürfe mache, da ich Dich zu wenig in Wind und Schnee und Kälte geschont habe; auch grüße mir tausend mal die lieben Eltern und Geschwistern und schreibe mir Alles, was Dich und sie und Deine andern Lieben betrifft. Leb wohl mein liebes, mein starkes und vernünftiges Mädchen, mein wonniges Menschenkind! Möge Gott Dich auf allen Deinen Wegen behüten!