Mein liebes Susettchen! Nach 4tägigem Stubenarrest bei Fasten, Kasteien und Einsamkeit bin ich seit gestern wieder wohl auf und munter und im guten Zuge: ich fühle mich sogar erfrischt und in besserer Spannung als vorher; auch macht uns eine kurze nothgedrungene Entsagung schon dankbarer für alle guten Früchte der Gesundheit, die wir sonst genießen, aber wenig in Anschlag bringen, weil wir an die Möglichkeit sie entbehren zu müssen nicht denken. Mein Unwohlsein wurde außer Hause erst weiter bekannt, als es schon beinahe wieder vorüber war, und so erhielt ich die Besuche von Freunden nur nachträglich. – Der erste Ausgang, den ich gestern machte, war in einer unsrer häuslichen Angelegenheiten, und zwar in einer Hauptangelegenheit, nämlich um die Frau Prof. Becker, meine erfahrene Freundin, zu bitten sich nach einem Mädchen zu erkundigen, welches auf schon getroffene vorgängige Einleitung sich bei mir zum Dienst gemeldet hatte. Die Erkundigung wurde sofort eingezogen und da sie ein hinlänglich befriedigendes Resultat über die bisherige Führung des Mädchens ergab und Lisette – das ist ihr Name – mir auch übrigens ganz wohl gefiel, so habe ich die Sache sogleich zum Abschluß gebracht und unser Dienstmädchen, Köchin usw. heute morgen gemiethet. Lisette hat bereits 6 ½ Jahre bei einer hiesigen ordentlichen Herrschaft und dann noch 1 Jahr bei einer andren gedient, versteht das Kochen, Waschen, Plätten und was sonstige häusliche Verrichtungen sind: sie ist 25 Jahr alt, sieht gesund und kräftig aus und hat einen offenen gutmüthigen Ausdruck; das Zeugniß der Ehrlichkeit ist ihr gegeben; sie mache auch nicht viel Ansprüche für ihre Person, nur sei sie allerdings etwas dreist und müsse deshalb kurz im Zügel gehalten werden; endlich habe sie auch einen Bräutigam, dem aber von der früheren Herrschaft der Zutritt zum Hause durchaus verweigert worden. Ich ging von der Betrachtung aus, daß wir ein in der Kochkunst u. häuslichen Geschäften schon geübtes Mädchen brauchten, bis Du Dich in die hiesige Art der Haushaltung gefunden haben würdest. Daß ein solches Mädchen mit einem gewissen Bewußtsein über ihre Geschicklichkeit einige Dreistigkeit verbindet, liegt in der Natur der Sache, so sehr, daß das Gegentheil eine seltene Ausnahme wäre. Doch glaube ich, daß Du schon die rechte Behandlungsweise finden wirst, um mit unsrer Lisette auszukommen; auch habe ich ihr zum voraus mit bedeutendem Nachdruck einzuschärfen gesucht, daß sie sich vor allem freundlich, bescheidentlich und gehorsam gegen Dich zu verhalten habe, weil sonst kein gutes Einvernehmen u. dauerndes Verhältniß zwischen uns möglich wäre, und sie hat mir das Beste versprochen. Was den Bräutigam betrifft, so ist ein solcher hier zu Lande besser als keiner: denn ein Mädchen (ich verstehe ein Dienstmädchen), was einen solchen erst sucht, bringt größere Unbequemlichkeiten mit sich, als was ihn schon hat. Selbst Bräutigam erklärte ich mich auch zu größerer Milde bereit als die vorige Herrschaft, so daß ich der Lisette gern zugestand, daß sie den ihrigen am Sonntag Nachmittag, wenn sie nicht ausginge, auch zu Hause bei sich sehen dürfte. Bei meinen Vorhaltungen nahm ich mir in manchen Stücken den trefflichen Meister beim Uli zum Vorbild, indem ich ebenso zur eigenen Einsicht des Mädchens zu sprechen, als sein Vertrauen zu erwecken suchte. Und wenn wir diesen Weg mit richtigem Takte weiter verfolgen, so glaube ich, daß sein Naturell von der Art ist, daß wir mit ihm wohl auskommen dürften. Für die Zeit von Ostern1 an, wo Lisette ihre bisherige Herrschaft verläßt, bis zu unserer Ankunft in unserem Hause habe ich ausgemacht, daß sie unterdessen ihre Mutter in dem unweit gelegenen Städtchen Sülz besucht.
So, mein liebes Herzens Susettchen, wären wir also mit Wohnung und Mädchen versorgt; bleibt noch übrig das Mobiliar und sonstige Einrichtung. Über das erstere habe ich auch noch an meine liebe Mutter geschrieben, worauf ich heute eine eingehende Antwort mit mehreren abweichenden Vorschlägen empfangen. Ich sehe nun schon, daß es mir zu weitläufig wird, Alles oder das Meiste, wie ich dachte, hier an Ort und Stelle zu besorgen, wobei ich zugleich Gefahr laufe, nicht alles so zweckmäßig, wie es wohl wünschenswerth wäre, auszurichten. Deshalb komme ich nun wieder auf meinen ersten Plan zurück, das Meiste in Berlin anzuschaffen, wobei sowohl Deine Auswahl als auch der Rath der lieben Mutter, Manuels und Friederikens Person: Hegel, Friederike, 1822-1861 zugezogen werden kann. Der in diesem Fall nöthige Möbelwagen wird uns ohnehin nicht viel theurer kommen als der Frachttransport der jedenfalls von Berlin und Nürnberg herzuschaffenden Ausstattungssachen; und ein Berliner Möbelwagen ist groß genug, um Alles miteinander aufzunehmen.
Wir haben heute eine entsetzliche Kälte, schlimmer als sie den ganzen Winter über noch war. Man erinnert sich hier kaum eines so scharfen und lang andauernden Winters. Wie mag es Dir dabei gehen, mein liebes Susettchen? Halte Dich nur immer gut warm, wenn Du ausgehst, damit Du Dich nicht wieder erkältest. – Die liebe Mutter schreibt mir, daß ihr die Ausfahrt zur Taufe zwar nicht schlecht bekommen sei, daß sie aber doch jetzt wieder an Rheumatismus an ihrem kranken Bein leide und fortwährend im Bette liegen müsse. Der Kleine hat die Namen der beiden Großväter Wilhelm (von meinem lieben Vater) und Eduard (von Flottwell) erhalten und wird den ersteren Namen als Vornamen führen. Pathen waren die liebe Klitzing, Clara und Trinkler; für Clara vertrat ihr Bruder Theodor und für Trinkler der alte Freund Flottwells u. Manuels, Skalley, die Pathenstellen. Der treffliche Prediger Büchsel hat eine schöne Taufrede gehalten; nachher speisten sie zusammen zu Mittag. Manuel hat nun auch endlich eine passende Wohnung unweit von der lieben Mutter, die ihre Wohnung gern behält, gefunden: sie ist zwar weiter von der Stadt entfernt als die bisherige, aber hat dafür gleichfalls den Vorzug der gesunderen Luft und der Nähe des Freien, da auch noch ein Garten zum Verweilen für die Kinder am Hause ist. – Die liebe Mutter verlangt nach Nachrichten von Euch, von Dir und scheint nicht bloß mit dem, was durch meine Vermittlung zu ihr kommt, zufrieden zu sein. Wenn Du mal ein freies Stündchen hast, so sei zu gut und schreibe ihr wieder; Du machst ihr damit eine unendliche Freude auf ihrem Krankenbette, da sie Dich wie ihr Kind im Herzen trägt. Sie hat mir auch ein Paar Zeilen von Fanny zugeschickt, die bei dem Briefe an Xeller für mich anlagen: Fanny spricht darin ihre herzliche innige Theilnahme für mein Glück aus, auf eine Weise, die mich wahrhaft gerührt hat; sage ihr dafür gelegentlich meinen innigsten Dank.
Heute Mittag habe ich den Geburtstag der lieben Frau Stannius in einer kleinen Gesellschaft von Freunden bei ihrer Mutter, der verwitweten Frau Vicepräsident Fromm, mit gefeiert. Doch konnten wir bei der heillosen physischen Kälte kaum recht warm werden, ungeachtet es am feurigen Wein nicht fehlte. Da die Männer Karten zu spielen anfingen, ging ich nach Hause, um an Dich, mein holdes Liebchen, zu schreiben. Wie blickst Du mich so treu und so gut aus Deinem vor mir liegenden Bilde an!
25. Jan. Heute morgen schon, mein wonniges Liebchen, hoffte ich einen neuen Liebesboten von Dir zu empfangen; aber die Posten sind diesmal nicht mit seinen Flügeln gegangen, und er hat durch seine Wärme Eis u. Schnee, die sie vielleicht im Laufe gehemmt, nicht zu schmelzen vermocht. Doch hoffe ich, kommt er vielleicht noch heute Abend spät oder morgen früh, der Ersehnte! – Du wirst mich fragen, meine theuerste Geliebte: was hast Du inzwischen getrieben, mein Karl, da ich eine Lücke in Deinem Tagebuch bemerke? – Ach ja! mein Tagebuch ist lückenhaft, wie mein ganzes Sein, aber es geht jetzt ein beständiger Faden hindurch, der nicht unterbrochen wird, das ist, die süße Erinnerung an Dich, mein himmlisches Menschenkind, und die Sehnsucht, Dich zu besitzen. Das ist das Licht, welches meine Tage erhellt und meine Stimmung immerfort fröhlich macht; denn auch das sehnliche Verlangen ist nicht von der Art, daß es peinigt und quält, sondern es wird überwogen von der frohen Gewißheit, daß Du mir angehörst und in nicht ferner Zeit mit mir verbunden sein wirst. So freue ich mich über den Schatz, den ich gefunden oder vielmehr den mir Gott geschenkt hat, der mir lieber ist als alles Gold der Erde, da er ein Leben voll Harmonie, voll Glück und seliger Befriedigung für mich enthält. –
Über meine und unsere nächsten Aussichten, mein theures Susettchen, kann ich Dir nun schon bestimmter NB.2 unter uns – mittheilen, daß ich nach Erfurt werde gewählt werden, nachdem ich mich doch endlich auf eine Reihe dieserhalb an mich ergangener Anfragen entschlossen habe, eine solche Wahl anzunehmen und lieber die in unsere Kammer fallen zu lassen. Hauptsächlich die neueste Wendung der Dinge, wodurch unsere Verfassung u. gesammter Rechtszustand wieder durch die Frankfurter Bundescommission bedroht wird und ein Schutz dagegen nur in dem zu Erfurt zu schaffenden Bundesstaat zu finden ist, die wichtige Aufgabe, welche demnach auf dem Reichstag3 auch für uns erst zu erledigen ist, ehe wir an die weitere Entwicklung unsrer neuen Institutionen gehen können, endlich die Aufforderungen, die aus den 4 Wahlkreisen4 wegen meiner Wahl an mich gelangten, brachten mich zu dieser Entscheidung. Die Wahlen werden am 31. Januar stattfinden und wirst Du in meinem nächsten Brief das Weitere darüber erfahren. Indessen vernimmt man aus den Zeitungen, daß der Reichstag in Erfurt vorläufig auf den 20. März angesetzt worden; ich denke nicht, daß er länger als den April hindurch dauern soll, da alle Stimmführer darüber einverstanden sind, daß man den Verfassungsentwurf ohne weiteres annehmen müsse, wenn überhaupt aus der Sache etwas zu Stande kommen soll: und meiner Seits wäre ich nicht gesonnen länger dabei zu bleiben. –
Dein lieber Brief5, mein Herzens Susettchen, ist heute morgen erst eingetroffen, obgleich Du mir ihn schon für gestern gegönnt hattest: nach dem Postzeichen auf dem Couvert war er jedoch erst zwischen 4 u. 5 Uhr Nachmittags in Nürnberg auf die Post gekommen. – Deine wiederholte Versicherung, mein herzliebster Schatz, daß Du mein bist, bewegt mir wiederum das Herz im tiefsten Grunde mit voller Freudigkeit, und ich kann sie nicht oft genug hören. – Das Mendelsohn’sche Lied6, welches Dir so wohl gefallen hat und wovon Du mir den Anfang mittheilst, ist das rechte: Du wirst mir eine große Freude machen, wenn Du mir es das nächste Mal, wenn ich komme – im Frühling wird es sein, denk‘ ich – vorspielen willst; seine liebliche Zartheit, womit das Hervorquellen und innere Drängen der zum frischen Wachsthum neu belebten Natur ausgedrückt ist, hat auch Dich, wie ich sehe, sogleich sehr angezogen; und ich werde es gewiß von Dir, mein süßes Lieb, noch lieber hören, als von meiner liebenswürdigen Freundin Thöl, weil es dann doch noch durch andere Empfindungen erhöht sein wird. Auch möchte ich noch um etwas mehr bitten, nämlich um ein Paar Lieder von Deiner süßen Stimme, welche bis zum Frühling sei gewiß wieder klar und rein sein wird. – Daß es mit meiner Gesundheit wieder ganz gut, habe ich schon oben gemeldet, und bin ich nun auch über Dein Befinden vollkommen beruhigt. Was das Ausgehen betrifft, wovon Du mir abräthst, so ist es mir so sehr Bedürfniß, daß ich mich nicht recht frisch befinde, wenn ich nicht täglich eine Stunde spazieren gehe, was ich daher nur höchst selten unterlasse. Mit Kälte u. Schnee scheint es hier auch noch nicht so schlimm bei uns gewesen zu sein als bei Euch: der Schnee bedeckt eben nur die Erde, die Kälte aber ist am 22. Januar, wo sie den höchsten Grad erreichte, doch nicht über 16 Grad gestiegen. Die Nähe der See mildert bei uns Hitze wie Kälte, nur die scharfen Winde sind dem, der noch nicht daran gewohnt ist, empfindlich. – Über meine Wahl-Aussichten, wonach Du Dich erkundigst, habe ich Dir schon geschrieben; ich füge noch hinzu, daß ich, da mir Anträge von vielen Seiten zugleich zugekommen, mich für den Schweriner Wahlkreis zur Wahl nach Erfurt entschieden habe, da mir meine dortigen Freunde am meisten entgegenkommendes Vertrauen bewiesen, so daß ich ihnen den meisten Dank schuldig geworden bin: übrigens habe ich von den Demokraten, welche mit aller Macht gegen die Erfurter Wahlen arbeiten und eifern, schlechten Dank zu erwarten für die Annahme einer solchen Wahl, was mich jedoch so wenig stört, als ich auch bisher immer nur zu ihrem Undank mich bemüht habe, um dafür einigen Dank von den Besten zu gewinnen. – Mit Deinen Bemerkungen zu dem die Möbel-Anschaffungen betreffenden Plan bin ich vollkommen einverstanden, wie Du auch schon aus dem oben Gesagten ersehen haben wirst: ich werde mich damit begnügen, nur die auch von Dir bezeichneten Gegenstände hier und in Doberan zu bestellen; in den meisten Punkten sind Deine Bemerkungen auch mit denen meiner lieben Mutter zusammengetroffen, namentlich was den Überzug der gepolsterten Sachen betrifft, wozu sie gleichfalls braunen Plüsch empfohlen hat; wir werden das also zusammen in Berlin einkaufen: die Mutter räth, so gut und solide zu kaufen wie möglich, was mir auch ganz recht ist. Was die Küchengeräthschaften anbetrifft, so könnten wir auch davon Vieles in Berlin kaufen, namentlich das Geschirr von Kupfer und Zinn, was dort viel billiger als hier ist; desgleichen das Tischservice, wozu mir doch das Berliner Gesundheitsgeschirr (das Porzellan ist zu theuer) noch mehr empfohlen wird, als die hiesige englische Fayence. Das geringere Küchengeschirr läßt sich hier am besten auf dem Pfingstmarkt einkaufen und würde ich damit zu seiner Zeit etwa die Frau Prof. Karsten beauftragen. Meint aber Deine liebe Mutter sich doch auch in Correspondenz mit einer meiner hiesigen Freundinnen deshalb setzen zu müssen, so würde ich dazu die Schwäbin, Frau Prof. Bruns, vorschlagen, welche die Verschiedenheit hiesiger von der süddeutschen Einrichtung am besten zu beurtheilen versteht und gleichfalls eine sehr verständige Hausfrau ist: auch würde sie zu jeder Auskunft sehr gern bereit sein; das Einkaufen könnte sie aber der Frau Prof. Karsten, als einheimischer Mecklenburgerin, besser überlassen.
Nun muß ich Dir für dies Mal Lebewohl sagen, mein herziges Menschenkindchen, indem ich Dich nur noch bitte, die lieben Eltern und Geschwistern tausend Mal von mir zu grüßen. Bei der lieben Lina, die ich gleichfalls von ganzem Herzen grüße, geht doch hoffentlich alles wohl? – Hast Du Deine Uhr noch nicht wieder bekommen? – ich werde sogleich Manuel daran erinnern; es wäre kein Wunder, wenn er sie über allen seinen vielen Obliegenheiten vergessen hätte, obgleich er selten etwas vergißt, der brave Manuel! – Möge Gott Dich behüten, meine traute Susette.