Mein geliebter Karl! Ich muß mich für dieß Mal schon mit einem so kleinen Format meines Briefes2 begnügen, da unangenehmer Weise mein rheumatischer Schmerzen noch nicht beseitigt ist und mir dadurch das Schreiben erschwert; dies auch der Grund der langen Unterbrechung in meinen Aufzeichnungen für Dich, mein Geliebter. Du vermuthest mich wahrscheinlich heute bei Lina, um der Taufe beizuwohnen; ganz im Gegentheil brachte ich diesen Sonntag so still und einsam zu als nur möglich, nehmlich ganz allein zu Hause und auf Anrathen des Arztes zu Bette. Die Taufe von Linas Luischen soll erst in acht Tagen nach Wunsch der Großeltern sein, und so war es keine Entsagung allein zu Hause zu bleiben. Ich dachte an Dich, mein Geliebter – doch das brauche ich Dir nicht zu sagen – malte mir alle möglichen Fälle aus, die Deine Wahl nach Erfurt für uns persönlich nach sich ziehen können, vergegenwärtigte mir, wie es wohl sein würde, wenn eine vorübergehende Aüßerung von Dir Wahrheit werden, der Reichstag wider Erwarten lang dauern sollte und ich Dir fürs Erste nach Erfurt folgen würde – all diese Bilder und Gedanken ließen mir die Zeit nicht lang werden und jetzt konnte ich der Versuchung nicht widerstehen mit Dir mein Herzliebster darüber zu plaudern obwohl es jetzt für heute genug sein muß. Leb wohl, mein Geliebter;
Das gestrige Abendblatt brachte uns die Nachricht Deiner Wahl nach Erfurt; Gott sei mit Dir, mein Geliebter, und gebe Dir die Möglichkeit, die ernste und schwere Stellung zu Deiner und Deiner Freunde Befriedigung behaupten zu können. Lache mich nicht aus, mein Liebster, ich fühle mich ganz stolz und genieße ganz in der Stille einen Theil der Ehren, die Dir, meinem zweiten Ich, durch das Vertrauen Deiner Wähler zu Theil wird. – Wie freue ich mich, durch Deinen nächsten Brief etwas Näheres über die Wahl zu hören, in unsrer Zeitung waren ganz kurz die Gewählten genannt; doch genügte mir diese Liste fürs Erste, in der ich auch mit Freu- den Namen Deines Freundes Beseler fand, obwohl ich mich nicht enthalten konnte mit Bedauern an seine arme Frau zu denken, die ihn schon während der ganzen preußischen Kammerverhandlungen entbehren mußte.
Mein liebster Karl! Dein Brief3 erfüllte mich mit hoher Freude, und ich danke Dir mit ganzer Liebe dafür. Alles, was Du mir über Deine Wahl mittheilst, kann das Gefühl, das ich zuerst bei der Nachricht davon empfand, nur erhöhen und ich gebe Dir das Versprechen, mein Liebster, daß Du Dich nicht in mir taüschest, wenn Du voraussetzest, daß ich meine persönlichen Wünsche unterzuordnen weiß, wenn sie sich mit der Stellung, die Dir das öffentliche Vertrauen anweist nicht vertragen; Du sollst nicht über mich zu klagen haben mein Geliebter, und wenn die Zeit unsrer Verbindung nur dadurch näher gerückt werden kann, daß Du den Reichstag eher verläßt, in der Überzeugung weder für Deutschland noch für Mecklenburg dort Etwas nützen zu können, so müßte ich doch recht egoistisch sein, wollte ich nicht wünschen, daß Dir diese schwere Erfahrung erspart bliebe. Nein, Euer Wirken dort soll, so Gott will, ein recht erfolgreiches sein, alle Eure Wünsche und Hoffnungen sollen wo möglich erfüllt werden und ich freue mich dann von Herzen mit Dir, mein Geliebter, wenn auch in der Ferne.
Wegen Deines Vorhabens bei Kiesers Hochzeit kann ich Dir heute Abend, mein Liebster, noch Nichts Bestimmtes sagen. Ich für meine Person hatte nicht vor, Etwas zu geben. Auguste ist mir recht lieb, doch steht sie mir nicht als Freundin besonders nah, und da die Eltern natürlich geben, so hätte ich es unterlassen um das Kiesersche Ehepaar nicht zu veranlassen sich in nächster Zeit bei uns zu revanchiren; wenn Du aber, mein Geliebter, Kieser aus besonderer Zuneigung Etwas geben willst, so finde ich es wohl hübscher wenn wir Beide zusammengeben. Ich werde heute Abend noch meinen Papa fragen, was er meint und Dir das Resultat der Berathung morgen schreiben.
Guten Morgen, mein Liebster; Gott sei mit Dir diesen Tag und alle Tage Deines Lebens! Ich möchte wohl gern mehr mit Dir plaudern, aber ich fürchte, den Brief nicht zu rechter Zeit fortsenden zu können und möchte doch nicht daran Schuld sein, daß Du ihn einen Tag später bekommst. Der letzte4 hätte ohnedieß meiner Rechnung nach schon Samstag5 ankommen sollen, denn ich gab ihn vor Abgang des Mittagszuges auf die Post.
Mein lieber Papa, der Dich, mein Herzliebster, freundlichst grüßt, meinte wegen der Hausschenke für Kieser, wir sollten nur eine Kleinigkeit geben; nun aber die wichtige Frage was? Ich hörte noch zu wenig von andern Bekannten, was sie gäben, und müßte da doch erst fragen, um wo möglich die Unannehmlichkeit zu vermeiden, Etwas zu geben, das Kieser’s noch von Andern bekommen; ob sich überhaupt Etwas für uns Beide finden läßt, oder ob Jedes für sich gibt, Du Heinrich, ich Auguste, das wird recht davon abhängen. Jedenfalls wechseln wir noch einige Briefe, bis zur Zeit der Hochzeit, mein Geliebter, und ich werde Dir in meinem nächsten Vorschläge machen, und dann mit Freunden besorgen, was Du für passend hältst.
Von dem Befinden der theuren Mutter haben wir schon ziemlich lange keine Nachrichten, wir sind wohl selbst ein wenig Schuld daran, weil ich es so lange unterließ, ihr zu schreiben; doch erwarte ich jetzt täglich mein liebes Uhrchen, das Manuel so gut ist, zu besorgen, und damit auch direkte Nachrichten, hoffentlich befriedigende.
Nun mein Liebster, muß ich Dir für heute Lebewohl sagen, die lieben Eltern und Geschwister tragen mir die schönsten Grüße auf, wie überhaupt alle Verwandte und viele Bekannte; besonders bat mich neulich Herr von Aufseß, Dich zu grüßen und Dir zu sagen, wie leid es ihm gewesen sei, durch sein Unwohlsein verhindert gewesen zu sein, Dich an Weihnachten zu sehen. Leb wohl, mein Geliebter, ich umarme Dich mit aller Liebe.