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Karl Hegel an Susanna Maria Tucher, Rostock, 13. – 17. Februar 1850

Mein geliebtes Susettchen! Nie ist es mir lieber gewesen, daß die Zeit so schnell vergeht, als jetzt; ja ich wünschte ihr noch raschere Flügel, damit sie mich noch geschwinder zu dem Ziele meiner gegenwärtigen Wünsche, zur Vereinigung mit Dir, führen möchte. Mein Leben ohne Dich ist nur halb, kalt, ohne wahre Freude und innere Befriedigung. Es besteht nur in der Pflicht und in der Gewohnheit der Arbeit; der Ehrgeiz, der mich früher trieb und nicht zur Ruhe kommen ließ, hat sich sehr ermäßigt: auch die Ehre, wo sie mir zu Theil wird, macht mir wenig Freude, wenn es mir auch sehr unlieb wäre, sie entbehren zu müssen; sie dürfte nicht fehlen, aber sie giebt keine positive Befriedigung. Nur die Liebe kann mir wahre Lebensfreude gewähren, und das Leben in der innigen Gemeinschaft mit Dir wird mir erst mein eigenes innerstes Selbst erschließen. –

Auf diese Gedanken komme ich in der Erinnerung an den gestrigen Abend, von dem ich Dir schreiben wollte. Ich war mit ein Paar Freunden, Stannius, dem Engländer Samson und Frau (diese ist eine Rostockerin) bei Bruns. Die Unterhaltung war sehr angeregt und wir blieben über Mitternacht beisammen. Ein Jeder fühlte sich in dem kleinen gemüthlichen Circel so angesprochen, daß Jeder mit seinem Herzen und seinen Gedanken mehr herausging als sonst: es war vom Schwärmen und von der Liebe die Rede, aber mehr als wie von einem Vergangenen, worüber Jeder seine allgemeinen Erfahrungen mittheilte. Meinestheils fühlte ich dabei recht den Unterschied meiner früheren und gegenwärtigen Empfindungen. Ich konnte durchaus nicht sagen – verzeih liebe Susette – daß ich jetzt schwärme, aber ich liebe: das ist etwas ganz Anderes, nicht wahr? meine innigst Geliebte. Man verliert sich dann nicht mehr in sehnsüchtigen Gefühlen und Träumen, die zwar der Phantasie schmeicheln und sie beschäftigen, aber eine innere Leere des Gemüths zum Grunde und noch mehr zur Folge haben. Sondern die Liebe ist ihres wirklichen Besitzes gewiß und, statt in das Weite und Unbestimmte hinauszuschweifen, schließt sie sich ab auf den geliebten Gegenstand, in welchem sie ihre ganze Erfüllung findet. So gedachte ich Deiner gestern, mein liebes Susettchen, und wünschte Dich von ganzem Herzen zu mir in diesen Kreis liebenswürdiger Menschen, deren verschiedene Eigenschaften und Charaktere sich passend ergänzten. Stannius war besonders aufgeräumt, pikant und scharf nach seiner Art, die Schwäbin immer freundlich u. liebevoll, wußte ihn doch öfter treffend zu parieren; Frau Samson ist sehr gescheut, oft witzig, aber immer unbefangen und angenehm, Herr Samson ein schweigsamer liebenswürdiger Mann, Bruns heiter und gemüthlich – endlich ich, Dein Geliebter, hatte gestern, wie öfter, die Aufgabe, Stannius‘ Urtheile mit der besten Manier auf das richtige Maß zurückzuführen.

Von der lieben Mutter und Manuel habe ich Briefe erhalten, worin sie mir berichten, warum Deine Uhr so lange ausgeblieben und warum das, was Dir noch zugedacht war, nicht zu Stande gekommen ist. Zugleich erfahre ich, daß die liebe Mutter auch an Dich, mein Susettchen, geschrieben hat, und so wirst Du nun schon wissen, daß es leider mit ihrem Befinden immer noch recht traurig geht, woran ich nur mit großer Betrübniß denken kann. Doch ist es ein Trost, daß wenigstens ihr Kopf frei und daher auch ihre Stimmung weniger gedrückt ist, wenngleich ich ihr die Aussicht auf die Zukunft bisweilen recht trübe erscheint. Ich setze meine Hoffnung auf den Gebrauch eines wirksamen Bades, wie etwa Teplitz, das unserer seligen Großmutter in ähnlichem Fall so gut gethan hat, und bitte nur Gott, daß die liebe Mutter so weit erstarken möge, um eine Reise ins Bad unternehmen zu können. Manuel schreibt, daß Böhm, ihr Arzt, wenig Hoffnung giebt zur baldigen Besserung. –

Manuels politische Mittheilungen bestätigen die Erwartung, daß auf dem Erfurter Parlamente der Verfassungsentwurf des drei König Bündnisses1 unverändert zur Annahme werde vorgelegt werden, indem nur noch in Rücksicht auf die einstweilige Unvollständigkeit des Bundesstaats provisorische Bestimmungen hinzukommen sollen. Unter dieser Voraussetzung kann das Parlament nur sehr kurz dauern, da weitere Ausführungsgesetze vor der vorgenommenen Revision nicht wohl berathen werden können; die Revision aber bleibt dem künftigen Parlamente vorbehalten.

Zu den Anordnungen, welche ich hier noch vor meines Abreise nach Erfurt in Mitte März treffen will, gehört auch die vorgängige Beschaffung derjenigen Documente, welche bei unserer Verbindung von Seiten der bairischen, bürgerlichen oder kirchlichen, Behörde verlangt werden möchten, worüber ich Deinem lieben Vater ein paar Worte in Einlage2 schreiben will. – Einiges Hausgeräthe habe ich bei zwei hiesigen Tischlern bestellt, welches bis vor meiner Abreise gleichfalls fertig wird: die zwei egalen Kleiderschränke für uns beide, von weichem Holz aber hübsch angestrichen, gedenke ich auch hier machen zu lassen, und ebenso auch den Weißzeugschrank, der wohl ebenso groß wie ein Kleiderschrank sein muß und mit einer Reihe von Fächern zum Lagern der Wäsche versehen – nicht wahr? mein Susettchen; – schreibe mir doch, wenn Du dabei noch etwas Besonderes wünschest und will ich mit dieser Bestellung noch bis zu Deinem nächsten Brief warten. – Ich habe Dir wohl schon geschrieben, daß es nicht meine Absicht ist, ohne Dich, meine theure Geliebte, noch einmal von Erfurt hierher zu kommen.

Gestern Abend war ich in einer jener großen Soireen, welche hier regelmäßig in einigen Privathäusern des Winters, außer den zahlreichen öffentlichen Bällen u. Gesellschaften, stattfinden. Es war ein sogenannter tanzender Thee, wie der unsinnige französische Ausdruck heißt, bei dem die Jugend die Nacht hindurch tanzt, die Mütter zusehen, die Männer rauchen u. Karten spielen oder, sich langweilend, herumstehen. Um Mitternacht wird an einer Reihe von Tafeln gegessen und gegen 2 Uhr geht das Tanzen wieder an u. dauert bisweilen bis 5 Uhr Morgens. – Diese Gesellschaften sind mir so widerwärtig, daß ich sie am liebsten ganz vermeide; wenn ich aber nicht umhin kann, eine Einladung der Art anzunehmen, wie gestern die von dem Advocaten Dr. Bolten, der mir derhalb vorher einen feierlichen Besuch machte, so ergeht es mir dann nach Umständen sehr verschieden. Sicher ist nur, daß ich nicht tanze, was ich schon viel früher unterließ, als da es sich den Jahren nach von selbst verstand; denn wenn ich sonst ein großer Freund von jeder Art körperlicher Bewegung war und noch bin, wenn ich nacheinander das Schwimmen, Turnen, Fechten, Reiten mit Leidenschaft getrieben habe, so war ich doch zum Tanzen immer nur unlustig und ungeschickt – nur der Contretanz gelang mir ehemals wohl. Also was mache ich in besagten Soireen? Ich heule mit den Wölfen, rauche eine Cigarre und spiele ein paar Robber Whist bis zu Tisch commandirt wird, wo man sich mit den Damen unterhält, während eine Reihe von Speisen und Getränken vorübergeführt wird. Dann freue ich mich, wenn’s zum Aufbruch kommt, und lasse tanzen, was tanzen will, um ins Bett zu fahren, was gestern oder vielmehr heute erst um 2 Uhr geschah. – Die Gesellschaft bestand aus circa 100 Personen und die Bewirthung geschah mit ungeheurem Aufwand, so daß ein in dergleichen Dingen Erfahrener die Kosten mindestens auf 200 Thaler berechnete. – Das ist wohl gewiß, mein liebes Susettchen, daß wir solche Gesellschaften niemals geben werden, selbst nicht, wenn wir die Mittel dazu hätten, da sie doch im Grunde nur eine sehr rohe Art und Weise der Geselligkeit vorstellen.

Heute morgen stelltest Du Dich, mein süßes Susettchen, wieder als mein liebster Sonntagsgast ein.3 Wie freue ich mich, daß Du durch Deinen lahmen Arm doch nicht länger auf die Stube gebannt warst, daß Du bei der Taufe zugegen sein konntest, wo Dich Linchens Kleiner so ganz nach meinem Geschmack, wie ein Liebesbote, begrüßte, daß Du sogar eine Maskerade besucht hast, wo Du mir zu Liebe der natürlichen Eitelkeit so wenig einräumtest, um in der Gestalt eines alten Mütterchens selbst Deine Tanzlust zu überwinden. Liebes Susettchen! Du bist ein heroischer Engel! Was mich betrifft, so gestehe ich meine menschliche Schwäche, daß ich es kaum ertragen hätte, Dich in solcher Verkleidung zu sehen; dennoch danke ich Dir für den neuen Beweis Deiner Liebe, den Du mir durch Deine Enthaltsamkeit geben wolltest. Du weißt aber auch, daß ich nicht pedantisch bin, und so wird es mich recht sehr freuen, wenn Du bei der bevorstehenden Hochzeit eine passende Gelegenheit finden solltest, auch wieder ein bischen Tanzlust zu genießen – denn ich glaube nicht, daß Du sonst noch viel dazu kommen wirst. – Schone nur ja recht Deinen Arm, damit kein hartnäckiges Übel daraus entsteht, wie es bei dieser Art Rheumatismus öfter geschieht. Ob nicht kalte Waschungen das Beste dafür wären? Vergiß bei Leibe nicht in Deinem nächsten Brief zu schreiben, wie es damit steht. Es ist mir recht peinlich4, daß Du so lange schon gehemmt warst.

Über das Hochzeitgeschenk sind wir nun wohl einig, wenn Dir mein Vorschlag – also entweder ein Trinkglas in der Form eines Pokals, aber nicht schwerfällig, damit es für den gewöhnlichen Gebrauch gern benutzt wird, oder eine schöne Caffetasse – lieber jedoch das erstere u., wenn es sein kann, mit meinem Namenszuge: wenn Du aber nichts Anständiges u. Geschmackvolles der Art findest, so wähle nach Deinem Geschmack das Bessere – Du kannst gern 7–10 Gulden dran wenden – und überreiche es ihm dann in meinem Namen mit meinem innigen Glückwunsch und der Versicherung meiner aufrichtigen Freundschaft. –

Grüße Deine theuerste Mutter (an den lieben Vater ist das Beiliegende5 gerichtet) u. die lieben Geschwister. Grüße auch die lieben Großeltern, Friedrich und Lina, meine Theuren, die liebe Tante Fritz und Angehörigen, insbesondere die liebe Auguste, der ich zu ihrem Hochzeitsfeste allen Segen des Himmels wünsche – vergiß nicht zu schreiben, was für Nachrichten von Onkel Benoit eingegangen sind u. wo er sich gegenwärtig befindet – grüße mir auch die liebe Tante Beyerlein, die sich so freundlich gegen uns bewiesen hat, und endlich, mein einziges Susettchen, grüße ich Dich von ganzer Seele, als meine innigst Geliebte,

Dein Karl.