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Karl Hegel an Susanna Maria Tucher, Rostock, 27. Februar – 5. März 1850

Liebes Susettchen! Heute also ist die Hochzeit von Kieser u. Auguste! Ich bin im Geiste dabei gewesen u. habe ihnen meine Segenswünsche mit auf den Lebensweg gegeben. Ich war mit Stannius zusammen, der als Rector der Universität morgen am Geburtstage unseres Großherzogs1 die Festrede zu halten hat; wir aßen ein Dutzend Austern u. tranken dazu einige Gläser guten Weins u. er mußte mit mir auf das Wohl des lieben Paares anstoßen, wobei ich nicht umhin konnte, meiner lieben Braut aus vollem Herzen zu gedenken. Liebes Susettchen! Wenn ich Dir nicht schon einmal eine Liebeserklärung gemacht hätte, ich würde Dir heute wiederum eine neue machen: doch ich unterlasse es, weil es, um einen früheren gelegentlichen Ausdruck von Dir zu gebrauchen, weil es „zwecklos“ wäre; obwohl ich ganz in der Stimmung bin, Dir meine Liebe ohne allen weiteren Zweck zu beweisen.

Meine süße Herzliebste! Heute war ein wundervoller sonniger Frühlingstag: ein zauberischer Schleier, von Duft gewebt, lag über der Landschaft u. dem breiten Strom, der in dem schönsten Hellblau, spiegelglatt, erglänzte. Einzelne Segel, vom sanften Winde getrieben, durchfurchten das Wasser. Auf dem Lande, den Spaziergängen am Strande u. auf dem Wall, war alles belebt von fröhlich lustwandelnden Menschen, im Hafen auf den Schiffen eine emsige Thätigkeit. Dann schon setzen sich diese zur Ausfahrt in Bereitschaft; da werden die Taue u. Strickleitern an den Masten befestigt, manche werden kalfatert2 u. frisch getheert, die Segel zurecht gemacht – damit Alles bereit sei, wenn die Fracht gefunden ist, und wenn die Wege zur See überall offen geworden sind. Zum Seerobbenfang zwar sind schon einige Schiffe in frühester Zeit nach Grönland aufgebrochen, denn sie durften zu diesem Geschäft nicht länger säumen: die andern aber warten noch der Abfahrt u. der Strom ist frei vom Eise. Zu Ehren des großherzoglichen Geburtstags waren heute auch die Flaggen u. Wimpel in allen Farben der verschiedenen seefahrenden Nationen aufgezogen u. spielten mit dem Winde.

Auch unsere Universität feierte den Geburtstag des trefflichen u. geliebten Landesfürsten durch eine Festrede, welche mein Freund Stannius als Rector hielt. Da er Naturforscher ist, so entnahm er den Inhalt u. eigentlichen Gegenstand seines wissenschaftlichen Vortrags aus diesem Gebiet: er sprach über das Nervensystem beim Menschen u. bei den Thieren, insbesondere über das Gehirn, in welchem man beim Menschen den Sitz der Seelenthätigkeiten zu finden gemeint hat, u. zeigte, daß es keinen nachweisbaren Zusammenhang zwischen der menschlichen Seele u. dem Gehirn oder dem gesammten Nervensystem gebe; streng sich in den Grenzen der Beobachtung haltend, überließ er es Anderen daraus die weiteren Schlußfolgerungen zu ziehen. Es folgt aber daraus, daß auch die strengste empirische Naturforschung in keiner Weise die Meinung derer bestätigt, welche in materialistischer Weise die Seele des Menschen mit seinem Körper entstehen u. vergehen lassen: zwar ist sie in vielfacher Weise gebunden an den Laib, den sie durchdringt u. der ihr zum Träger u. Organ dient, aber ihre eigenthümliche Substanz hat sie nur in sich selbst, in ihrem Selbstbewußtsein, worin sie frei u. unvergänglich ist, u. eine Seele, die liebt, mein Susettchen, hat ihr Dasein zugleich in der anderen Seele, die sich mit ihr vereinigt, u. ruht so auf doppeltem Grunde, zwiefach in sich befestigt.

Mein theures Susettchen! Gestern vollzog unsere Universität ihre neue Rectorwahl für das nächste Jahr: Stannius wurde wieder gewählt3 u. gab seinen besonders befreundeten Collegen, Leist, Bruns und mir, darauf ein stattliches Souper4, wobei auch die Frauen zugegen waren. Wir waren sehr heiter beisammen u. auch Deiner wurde, wie gewöhnlich, in zarter Weise gedacht.

Schon rückt die Zeit heran, wo ich mich zur Abreise nach Erfurt rüsten, meinen Umzug ausführen muß. Die Abreise habe ich vorläufig auf den 14. festgesetzt, um den 15. in Schwerin zu bleiben, am 16. in Berlin einzutreffen u. am 17. den Geburtstag der lieben Mutter5 persönlich mitzufeiern; worauf ich dann am 18. nach Erfurt abgehen u. daselbst am nämlichen Nachmittag ankommen. Eine Wohnung habe ich mir dort schon bestellen lassen. Wie lange ich dort vorläufig bleibe – ein Punkt, der uns Beide sehr nah interessirt – wird auf den Gang der Verhandlungen, so wie auf den ganzen Zustand der Dinge, der jetzt noch gar nicht abzusehen ist, ankommen. Es scheint mir jetzt sehr möglich, daß das vorläufige Geschäft des Parlaments schon vor dem 1. Mai vollendet sein wird u. daß darauf bis zur vorbehaltenen Revision eine Vertagung eintritt, um die Organisation der Regierungsbehörden des Bundesstaats einzurichten. Was könnte uns dann noch abhalten, mein süßes Susettchen, in so gelegener Zwischenzeit gleichfalls unsern schönen Liebesbund zu einer bleibenden Vereinigung zu gestalten? Dann wollen wir zusammen den Bundesstaat revidiren und nach glücklich vollbrachtem Werk fröhlich in die neue Heimat einziehen; mag aber auch das Werk nicht glücklich zu Stande gekommen sein, so bleibt uns wenigstens unser stilles Glück gewiß!

Mein süßes Liebchen! Gestern Abend um ½ 10 erhielt ich schon Deinen lieben Brief6, aus dem mich der volle Hauch Deiner Liebe anwehte, der mich mit Entzücken voll Dankes gegen Dich u. den Himmel erfüllte. Wie beglückt mich Deine Ungeduld nach meinem Brief, den Du ohne unsere Schuld einen Tag später, als sonst, erhieltest u. den Du erst drei Stunden nach seinem Eintreffen lesen durftest! Deine Freude über den endlichen Empfang desselben hat Dich selbst bei der Beschreibung der Hochzeitsfeierlichkeit, von welcher Du nur eben kamst, kaum einen Augenblick verweilen lassen, so daß ich wirklich fast ganz darum gekommen bin und Dich noch nachträglich um einige nähere Mittheilung über den Hergang bitten muß, um meiner herzlichen Theilnahme daran genug zu thun. Nur die Ankunft der lieben Gäste hast Du mir gemeldet, aber nichts davon, wie u. wo der Tag selbst gefeiert wurde, wer das liebe Paar eingesegnet hat, wie es sich verhielt usw. Ich denke, Du wirst das vielleicht schon im nächsten Brief nachbringen u. dann auch noch ainiges Weitere über die eingegangenen Hausschenken u. was sonst an einem solchen Familienereigniß noch drum u. dran hängt, hinzufügen. Gerne würde ich mir daraus ein Bild oder eine lebendige Vorahnung von unserem Hochzeitstage, der auch Dir dabei vorgeschwebt hat, entnehmen.

Ich habe den Kieserschen Hochzeitstag, wie oben erwähnt ist, schon einen Tag früher, als er wirklich stattfand, in Gedanken mitgefeiert. Doch ist mir nun auch der wirkliche Tag, der 28. Februar, doppelt willkommen, weil er bei weitem der schönste u. lieblichste war von allen, die uns das Jahr bisher noch geschenkt hat: wohl paßte er so recht zu der seligen Gemüthsstimmung, in der ich mir die beiden, die er beglückt hat, denke. –

Deines lieben Vaters Brief7 hat mich recht erfreut u. ich bitte Dich, ihn mit meinem herzlichen Gruß auch meinen innigen Dank dafür zu sagen. Wenn ich darin zum Schluß einen wahrhaft väterlich gemeinten Rath angedeutet finde, so stimmt derselbe gewiß auch ganz mit meiner Sinnesweise zusammen. Sei überzeugt, mein liebes Susettchen, daß ich mir am wenigsten in einem unruhigen politischen Treiben gefalle und daß ich mich in dasselbe seit dem März 1848 bis zum September vorigen Jahres nur gezwungen durch den Notstand unseres Landes u. den Ruf unserer Regierung begeben habe. Manche wollten damals den Retter des Landes8 in mir erblicken, weil ich allein es wagte, dem übermächtigen u. überwältigenden Sturm der Zeit mit dem Muthe der Wahrheit Trotz zu bieten, und wenn sie auch meine geringen Verdienste zu hoch angeschlagen haben, so kann ich es doch nicht bereuen, daß ich dem bedrängten Lande, welches meine zweite Heimat geworden ist, alle meine Kräfte eine Zeit lang gewidmet habe, doch meine Neigung, wie mein Talent, gehört meinem wissenschaftlichen Beruf an, und wenn nicht eine ähnliche Aufforderung, wie jene, mich aus demselben herausreißt – was kaum zu erwarten ist, – so werde ich gern allein dabei verweilen und an der gegenwärtigen Politik mich nicht weiter betheiligen, als das ihr nahe verwandte Studium, welches ich mir erwählt habe, mir wünschenswerth oder nöthig erscheinen läßt. Insoweit aber für dieses die lebendige Politik die beste Lehrmeisterin ist, werde ich mich ihr auch künftig nicht entziehen, ohne darum in eine falsche, mir fremde Fährte zu gerathen, welcher ich schon einmal glücklich entgangen bin.

Was nun weiter die zärtliche Sorgfalt der bairischen Behörde für ihr theures Landeskind betrifft – und gewiß bist Du ein so liebenswürdiges Kind, daß Baiern und Mecklenburg sich mit Recht um Dich streiten u. daß Mecklenburg, das sich um Deine Papiere so wenig wie um Deine Herkunft bekümmert, Dich kaum zu besitzen verdient! – also mein liebes Susettchen, ich werde noch ein förmliches Attest des hiesigen Magistrats über Deine Aufnahme hierselbst beibringen u. mit Nächstem einsenden, damit auch in Nürnberg unsere kirchliche Proclamation ungesäumt stattfinden kann, wie sie hier gestern bereits zum zweiten Male erfolgt ist. Ich suchte wegen des Attestes schon heute einen unserer Bürgermeister auf, der sich über mein Verlangen sehr verwunderte, weil es Niemand hier in den Sinn gekommen wäre, meine künftige liebe Frau zu beanstanden, aber sich auch sofort bereit erklärte, mir in der nächsten Rathssitzung das verlangte Attest ausstellen zu lassen.

Bei Absendung Deiner lieben Briefe dürftest Du wohl in der Post-Expedition sagen lassen, daß man erwarten müsse, wenn die Briefe rechtzeitig abgegeben würden, daß sie auch rechtzeitig u. nicht, unter einem späteren Postzeichen, erst später befördert würden: sonst verdiente die Versäumniß eine ernstliche Rüge wegen Vernachlässigung des Dienstes. Wenn mir das hier passirte, würde ich einen großen Spektakel machen – freilich aber auch erst den Beweis sicher stellen. –

Unter den lieben Grüßen, welche mir Dein Brief bringt, vermisse ich einen von Frau Tante Beyerlein, der Du wohl meinen Gruß bestellt hast? Grüße sie wiederum u. die liebe Lina, die immer noch ohne ihren Friedrich ist u. Dir so innig verbunden bleibt, grüße das liebe junge Ehepaar Kieser; grüße endlich die lieben Eltern und theuren Geschwister, so wie die ehrwürdigen Großeltern.

Lebe wohl, meine innig Geliebte, theuerste Susette.

Dein treuer Karl.