Weißt Du, mein Herzliebster, wann ich mich am Meisten nach Dir sehne? Es klingt wohl vielleicht lächerlich, als ob die Sehnsucht sich an gewisse Zeiten bände, aber doch ist mirs so, und dieser Sehnsuchtstag ist mir der Sonntag. Wenn ich des Morgens in mein liebes Jakobskirchlein gehe, wenn besondere Stellen in der Predigt mich mehr ergreifen, wenn nach der Kirche Viele das freundliche Wetter benützend, ihren Weg vor die Stadt richten, um ungestört das Eben Gehörte zu überdenken, überhaupt während des ganzen friedlich stillen Ruhetags begleitet mich überall der Gedanke, der Wunsch, daß Du, mein Liebster bei mir wärst; ich wollte dann gerne die ganze Woche in Erinnerung und Hoffnung fröhlich sein. Doch, vergieb, mein Liebster, ich will nicht undankbar sein und nicht mehr klagen, da die selige Zeit unsrer Vereinigung doch nicht so sehr fern ist, und ich weiß ja, daß Du dieses Ziel auch herbeisehnst und will Dir und mir also die Wartezeit nicht erschweren; aber heute war eben wieder so ein lieber, stiller Sonntag und ich mußte Dir sagen, wie mir zu Muthe ist. Meine süße Herzens Lina ist auch noch einsam, und so trösteten wir uns Beide miteinander auf einem langen Spaziergang, den wir zusammen nach dem Essen machten. Meine Lina ist ein wahrhaft rührendes Wesen in ihrer Liebe zu mir; sie ist so glücklich, daß ich sie jetzt besser zu verstehen vermag, als sonst, wo mir die Wonne einer völlig befriedigten Liebe fremd war, und es scheint fast, als ob wir jetzt noch inniger verbunden wären, als je. Doch fürchte nicht, daß ich die Trennung von ihr nicht ertragen könnte, oder zu schwer finden würde; wie meine Lina ihre völlige Befriedigung in ihrem Friedrich findet, so fühle ich auch, daß Nichts mir unentbehrlich ist, um glücklich zu sein als Deine Liebe, mein theuerster Karl.
Heute, mein Geliebter, muß ich mir die Freude versagen, Dir mehr als einige Worte zu schreiben, da mein Mariechen seit heute Morgen unwohl ist, und sich diesen Abend recht leidend fühlt. Da ist es ihr denn einigermaßen eine Erleichterung, wenn die liebe Mutter oder ich ihr die Hand auf den Kopf legen, was ihre Nerven zu beruhigen scheint. Hoffentlich geht es ihr bald wieder ganz gut, und ist dieses Unwohlsein nicht der Anfang zu einer ernsten, längeren Krankheit.
Mit unsrer lieben Patientin geht es leider noch gar nicht besser; der Arzt erklärt es für eine Unterleibs Entzündung und hat heute Blutegel verordnet, doch bis jetzt, doch schon spät am Abend, fühlt sie keine Besserung. Ich bin eigentlich nicht ängstlich, aber heute Abend mußte ich sehr wider Willen in eine langweilige Damengesellschaft, und alle Anwesenden erkundigten sich so angelegentlich nach unsrer Kranken, und äußerten sich so besorgt, daß ich unwillkührlich auch besorgt wurde; doch mit Gottes Hilfe wird es sich ja zum Besten wenden. Ich wäre so gerne zu Hause geblieben, um die liebe Mutter in der Krankenpflege abzulösen, aber die lästigen, geselligen Rücksichten ließen keine Entschuldigung zu, um so mehr, als die liebe Mutter sich für ihre Person hatte entschuldigen lassen; man quält sich doch recht mit so vielen ausgebreiteten, geselligen Beziehungen, die sich, wenn man immer an einem Orte bleibt, durch mehrere Generationen oft vererben, und sonst gar keinen Werth haben, oder Genuß bieten. Ich denke mirs oft wirklich ganz schön, frei von allen frühern, selbst von manchen verwandtschaftlichen Rücksichten, mir meinen geselligen Umgang nur auf Grund gegenseitiger Übereinstimmung suche zu können. Es fällt mir oft ein, was wir in der „Professorin“1 miteinander lesen, wie Reinhard zum Lorle sagt, daß er sie ganz aus ihrem heimathlichen Laden heraushebe zu einem neuen Leben, so mein Einzig-Geliebter, lösest Du mich los von manchen beengenden Verhältnissen, um mich in einem andern Laden zu verpflanzen, in dem ich hoffentlich recht bald und recht fest Wurzel fassen werde.
Mein Herzliebster! theuerster Karl! Obwohl ich heute meinen lieben, erwarteten Brief nicht erhalten habe, kann ich doch mein Briefchen an die gute Mutter nicht absenden2 ohne Etwas für Dich, der Du jetzt in Berlin bist, beizulegen. Ich wollte zuerst nur ein kleines Blättchen mit einem herzinnigen Gruß Dir senden, aber die, während der letzten Tage geschriebenen Zeilen möchten doch auch zu Dir, dem sie angehören, und so soll denn wie gewöhnlich meine lange Epistel zu Dir gelangen, als Sonntagsgast und Liebesgruß aus dem Herzen Deines Liebchens, das Dir bald ganz angehören wird. Heute bist Du von Rostock abgereist, um nicht mehr allein zurückzukehren; weißt Du, mein Liebster, daß es mir jetzt scheint, als wäre unser Ziel viel näher gerückt, als wärst Du ganz direkt auf dem Wege, um mich zu holen. Wie viel liegt aber noch dazwischen und wie lange mag es vielleicht dauern, bis wir in unsre gemeinschaftliche, künftige Heimath einziehen? Doch mag es kommen wie es will, ich habe eben dasselbe Gefühl von Sicherheit, jetzt im Angesicht dieser ungewissen und unklaren Zukunft, wie es mich oft beseelte, während der schönen Tage unsres Zusammenseins, wenn ich, von Dir gehalten und umschlungen mich Eins mit Dir fühlte, ein Ganzes, dem alle übrigen Lebensverhältnisse Nichts anhaben könnten. Meinen nächsten Brief werde ich Dir wohl nach Erfurt schicken, da bist Du dann viel näher bei mir, es ist3 mir das ein lieber Gedanke.
Wie sehr wünsche ich, daß Du die liebe Mutter ziemlich wohl antreffen möchtest, denn das ist wohl Alles, was wir für jetzt hoffen dürfen, da vor Gebrauch eines Bades wahrscheinlich keine vollkommene Genesung zu erwarten ist. Wenn sie nur kräftig genug ist, um so bald als möglich eine Badereise zu unternehmen! Gott gebe seinen besten Segen dazu.
Meine liebe Lina erwartet morgen ihren Friedrich zurück, gerade an seinem Geburtstage; ich freue mich herzlich mit ihr, wenn ich mir auch nicht verwehren kann, sie ein wenig zu beneiden. Ist das nicht verzeihlich, mein Liebster?
Mit unsrer lieben Patientin bessert es sich nur sehr langsam und immer kehren die heftigen Schmerzen wieder, doch ist der Arzt, Gottlob, nicht besorgt.
Nun, Gott befohlen, mein Liebster! Er schenke und erhalte Dir die Freudigkeit zu Deinem neuen Beruf, und lasse Euer Wirken gesegnet sein.
P. S. Ich wollte zuerst Deinen Brief in den der lieben Mutter einschlagen, da ich jetzt aber einen großen Bogen für Dich nahm, soll dieser Brief das Couvert bilden, sei so gut, das Inliegende der theuren Mutter zu übergeben.