Nürnberg, 1. April 1850.
2. Feiertag Morgens
Geliebte Mutter!
Unser lieber Manuel hat seinen sehr willkommenen Brief, welcher gestern Nachmittag hier ankam, so zuversichtlich hieher geschickt, als er gewiß glaubte, daß ich meinen Vorsatz, die Feiertage bei meinem geliebten Susettchen zubringen zu wollen, ausgeführt haben würde. Die mir zu diesem Besuch gegönnte Zeit ist freilich nur sehr kurz; denn von den siebentägigen Ferien gehen 3 Tage für die Reise ab, so daß für Nürnberg nur 4 Tage übrig geblieben sind, von Donnerstag Mittag an bis heute Mittag, wo die Stunde der Trennung bereits wieder gekommen ist. Aber ich danke es doch dem Himmel, daß ich dise Tage von Erfurt abkommen konnte, da uns Beiden, Susettchen und mir, die Zeit der Trennung sonst wohl zu lang geworden wäre. Meine Ankunft war vollkommen überraschend, wenn gleich sehnlich herbeigewünscht; ich konnte vorher keine Nachricht geben, weil ich selbst erst am Tage vor meiner Abreise den Entschluß zu dieser fassen konnte. Hier habe ich Alles, mit Ausnahme von Mariechen, die noch im Bette liegt aber täglich sichtlich in der Besserung fortschreitet, wohl auf gefunden. Meine Besuche beschränkte ich natürlich auf die nächsten Verwandten, die Tante Fritz, bei der außer Antonia auch Helena an einem bösen Finger krank danieder liegt, Lina und
Friedrich, die Großeltern, das junge Kieser‘sche Ehepaar, wo wir einen vergnügten Abend zubrachten; noch gingen wir zu Wiß und zum General Haller (der früher als Obrist in Bamberg stand), um seine Schwester Laura Fürer, die zum Besuch bei ihm ist, zu sehen. | Diese befindet sich im besten Wohlsein und läßt besonders Manuel angelegentlichst grüßen. Gleichzeitig mit uns waren da zum Besuch (nach der Kirche) die Geuder’schen, Gottliebine und ihr Mann, So So, und die Schwester Luise Geuder, welche beide Frauen sich mit vieler Liebe nach Dir erkundigten, sich der früheren Zeiten, da ich ein Kind war und von ihnen gepflegt wurde, erinnerten und mir die herzlichsten Grüße für Dich auftrugen. Aber auch Fürers habe ich nicht versäumt. Fanny ist sehr leidend, doch so, daß sie ausgehen kann. Sie will im Mai ins bairische oder salzburgische Gebirg gehen und zur Nervenstärkung eine Radicalcur beginnen, welche sich, einen Winterauffenthalt in München eingerechnet, noch über den folgenden Sommer hinaus fortsetzen soll; die Entfernung von den Ihrigen scheint mit zur Kur zu gehören.
Charfreitag so wie gestern am ersten Feiertag Morgen waren wir in der Jakobskirche bei Pirkheuer. Gestern Mittag kamen zum Besuch Hofmanns aus Erlangen und Hans von
Raumer, welche Gottlieb von meinem Hiersein benachrichtigt hatte, herüber und blieben über Mittag bis zum Abend. Der Abend wurde bei Lina und
Friedrich zugebracht und Hans von Raumer, der ehrenwerthe Schleswig-Holsteinische Soldat und früherer Frankfurter Deputirter hat uns erst heute morgen verlassen.
So hat sich in diese wenigen Tagen vieles Liebe und Gute zusammengedrängt; wie wünschte ich Dir, liebste Mutter, daß Du ebenfalls bald wieder einmal Dich der lieben Seelen, wie Du sie ja zu nennen pflegst, hier in Nürnberg erfreuen könntest. Von der Mutter Marie und ihrem Sigmund, von den Großeltern und allen schon Genannten sind mir | die innigsten Grüße an Dich aufgetragen und die fortwährenden Erkundigungen nach Dir beweisen mir ihre tiefe Theilnahme für Dich. Leider mußte ich nun von Manuel erfahren, daß Du in den letzten Tagen wieder ganz bettlägerig warst und von rheumatischen Schmerzen geplagt. Gewiß ist die üble Witterung daran schuld gewesen, welche auch mir die Reise nicht angenehm gemacht hat. Ich fuhr im Schlitten durch den Thüringer Wald, wo namentlich bei Oberhof haushoher Schnee lag: Nachts war es 8 Grad Kälte, wobei ich allein im Postwagen saß und nicht wenig fror. Dazu war die Reise über Gotha und
Coburg nach Lichtenfels, wo Eisenbahn und Postzüge nicht zu einander passen, mit unangenehmem Aufenthalt verbunden, so daß ich die Erfahrung machte, wie ich viel besser über Leipzig gereist wäre. Daher nehme ich nun auch den Rückweg über Leipzig, wiewohl ich nach den neuren Fahrplänen vom 1. April nun in Hof über Nacht bleiben muß und so erst morgen Abend um 10 Uhr in Erfurt ankomme (auf dem Wege über Coburg würde ich zu derselben Zeit hier abreisen, die Nacht im Postwagen zubringen und doch erst morgen Abend in Erfurt eintreffen).
Von Erfurt aus werdet Ihr weiter von mir hören. Meiner vorigen Meinung nach glaubte ich dort etwa bis zum Ende Mai verweilen zu müssen; wenn nach der neueren Proposition des Verwaltungsraths an den Verfassungs-Ausschuß die Grundrechte noch suspendirt bleiben, so wird auch die Revision sehr abgekürzt und könnte das Parlament schon in diesem Monat zum Ende kommen. – Ich berichtige hier noch Deine Schuld zur Kieser’schen Hausschenke mit 10 Gulden 45 kreuzer. – Die Mutter Marie glaubt mit der Ausstattung von Susettchen kaum vor Mitte Mai fertig werden zu können.
Recht sehr verlangt mich danach, bald von Dir in Erfurt zu hören, daß es Dir besser geht. Manuel und
Friederiken wünsche ich, daß sie den Umzug glücklich überstehen. Tausend Grüße an sie. – In Erfurt wird es sich wohl so machen, wie Manuel erwartet. – Herzliches Lebewohl innig geliebte Mutter
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Nürnberg49.453872,11.077298In Franken an der Pegnitz gelegene ehemalige Reichsstadt, seit 1806 Stadt des Königreichs Bayern.
Privatbesitz
.
Privatbesitz
1000
Neuhaus
, Helmut (Hg.): Die Brautbriefe Susanna Maria von Tuchers an Karl Hegel. Aus der Familiengeschichte der Nürnberger Patrizierfamilie Tucher von Simmelsdorf 1848/50, (= Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte, Bd. 97), Wien, Köln 2022.
Neuhaus
, Brautbriefe Susanna Maria von Tuchers an Karl Hegel
2022
Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel)Immanuel HegelJurist/Konsistorialpräsident der Provinz Brandenburg11657072518141891 Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel) (1814–1891), Bruder Karl Hegels, studierte von 1832 bis 1834 und von 1835 bis 1836 Jura an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, von 1834 bis 1835 an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München, trat 1836 in den preußischen Staatsdienst ein und war als Verwaltungsjurist in verschiedenen Verwendungen des Königreichs Preußen, vor allem im Staatsministerium, tätig, wurde 1865 Präsident des Konsistoriums der Provinz Brandenburg, heiratete 1845 Friederike Flottwell (1822–1861) und 1865 Clara Flottwell (1825–1912), beide Töchter des oftmaligen preußischen Oberpräsidenten und Staatsmanns Eduard Heinrich Flottwell (1786–1865), war u. a. Vater des preußischen Verwaltungsbeamten und Politikers Wilhelm (Willi) Hegel (1849–1925), war 1856 Taufpate seines Neffen Georg Hegel (1856–1933).
Grundherr, Adolf108003427718481908Grundherr, Adolf (1848–1908), in München geborener vielseitiger bildender Künstler, vor allem Maler und Graphiker. Sein Vater war der königlich bayerische Offizier Sigmund Grundherr von Altenthann und Weiherhaus (1797–1873). Nach dem Abitur am Münchener Maximilians-Gymnasium im Jahre 1868 studierte er an der Universität München zunächst Rechtswissenschaften, wechselte aber 1871 an die Nürnberger Kunstgewerbeschule und ein Jahr später an die Münchener Kunstakademie, um sein ganzes Leben der Kunst zu widmen.
Kieser, Heinrich-18131893Kieser, Heinrich (1813–1893), in Stuttgart geborener Herzoglich-Leuchtenbergischer bzw. Fürstlich-Eichstättischer Bergmeister in Obereichstätt an der Altmühl im ehemaligen Hochstift Eichstätt, dem Königlich Bayerischen Oberbergamt in München unterstehend, um 1850 „Leuchtenbergischer Bergmeister in Nürnberg“, später als Bergamtsvorsteher im Königlich Württembergischen Bergamt, Leiter des Zentral-Eichungsamtes und Kollegialmitglied der Zentralstelle für Gewerbe und Handel, 1880 Erhebung zum Ritter der württembergischen Krone.
Fürer von Haimendorf, Eleonore, geb. Haller
-17891877 Fürer von Haimendorf, Eleonore, geb. Haller (1789–1877), wurde „Laura“ genannt und war eine Tochter Johann Sigmunds IV. Haller (1756–1820) sowie Nichte Johann Georgs VI. Haller. Im Jahre 1829 wurde sie von Ihrem Ehemann Karl Sigmund Christoph von Fürer (1785–1852) geschieden.
Fürer von Haimendorf, Emma Sophie Rosalie Anna, verh. Liberda-18131869Fürer von Haimendorf, Emma Sophie Rosalie Anna (1813–1869), deren Rufname wohl „Fanny“ war, war mit Valentin Liberda (1803–1844), einem Professor der Philosophie in Iglau, verheiratet; sie war eine Schwester Mathilde Rosalie Sophie Anna Fürers von Haimendorf (1815–1873).
Pürkhauer, Albert Franz-18061858Pürkhauer, Albert Franz (1806–1858), wurde nach seinem Studium der evangelischen Theologie an den Universitäten Erlangen und Berlin 1835 Pfarrer an der Heilig-Geist-Kirche und 1841 an St. Jakob in Nürnberg.
Hofmann, Charlotte, geb. Lameyer
Charlotte Hofmann, geb. Lameyer-1883Hofmann, Charlotte, geb. Lameyer († 1883), Ehefrau Johannes Christian Konrad Hofmanns (1810–1877), des ordentlichen Professors der evangelischen Theologie an den Universitäten Rostock und Erlangen.
Hofmann, Johannes Christian KonradJohannes Hofmann11870611X18101877Hofmann, Johannes Christian Konrad (1810–1877), in Nürnberg geborener evangelischer Theologe und Gymnasiallehrer, 1841/42 außerordentlicher Professor der Theologie an der Universität Erlangen, ordentlicher Professor an den Universitäten Rostock (1842–1845) und Erlangen (1845–1877).
Raumer, Johannes (Hans)11636497118201851Raumer, Johannes (Hans) (1820–1851), ein Sohn des Mineralogen und Naturhistorikers Karl Ludwig Georg von Raumer (1783–1865), u. a. von 1827 bis 1865 ordentlicher Professor der Mineralogie an der Universität Erlangen. Er studierte Bergwissenschaft und Rechtswissenschaft an den Universitäten München, Berlin und Erlangen, war rechtskundiger Magistrat der Stadt Dinkelsbühl, engagierte sich stark für den Verbleib des Herzogtums Schleswig bei Deutschland und war 1848/49 Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung.
Erfurt50.9777974,11.0287364Am Südrand des Thüringer Beckens gelegene, ehemals kurmainzische Stadt, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts an Preußen fiel.
Bamberg49.8916044,10.8868478Alte Bischofsstadt in Franken, etwa 60 Kilometer nördlich von Nürnberg an der Mündung der Regnitz in den Main gelegen.
München48.1371079,11.5753822Haupt- und Residenzstadt des Königreichs Bayern an der Isar in Oberbayern.
Erlangen49.5928616,11.0056Mittelfränkische Universitätsstadt, etwa 20 Kilometer nördlich von Nürnberg gelegen, seit 1810 Stadt und Universität des Königreichs Bayern.
Thüringer WaldDeutsches Mittelgebirge an der Nordgrenze des Königreichs Bayern.
Oberhof50.7067756,10.7257435Hochgelegener Ort des Herzogtums Sachsen-Coburg und Gotha im Herzen des Thüringer Waldes, etwa 180 Kilometer nördlich von Nürnberg gelegen.
Gotha50.9494849,10.7014435Haupt- und Residenzstadt des Herzogtums Sachsen-Coburg und Gotha, die 1847 Anschluß an das Eisenbahnnetz fand, etwa 220 Kilometer nördlich von Nürnberg am Nordhang des Thüringer Waldes gelegen.
Coburg50.258112,10.964463Residenzstadt des Herzogtums Sachsen-Coburg und Gotha, auf halber Strecke circa 120 Kilometer nördlich von Nürnberg und 110 Kilometer südlich von Erfurt gelegen, mit oberhalb der Stadt liegender Festung.
Lichtenfels50.14568,11.06382Zwischen Bamberg und Coburg im Obermaintal gelegener Ort, circa 100 Kilometer nördlich von Nürnberg.
Leipzig51.3406321,12.3747329Am Zusammenfluß von Weißer Elster, Pleiße und Parthe gelegene Universitäts- und Messestadt in Sachsen.
Hof50.3219015,11.9178807Seit 1810 Stadt im Königreich Bayern, an der Saale im Vogtland gelegen und seit der Mitte des 19. Jahrhunderts Knotenpunkt der bayerischen Ludwig-Süd-Nord-Bahn und der Sächsisch-bayerischen Eisenbahn, zentral für die Nord-Süd- und die Ost-Westverbindungen.
Jakobskirche, Jakobskirchlein, Jakobikirche (Nürnberg)Die auf das 12./13. Jahrhundert zurückgehende Jakobskirche wurde bis 1532 vom Deutschen Orden genutzt. Im Zuge der Durchsetzung der lutherischen Reformation in Nürnberg wurde sie auf dem bis 1806 katholisch gebliebenem exterritorialen Gebiet des Deutschen Ordens im Jahre 1810 evangelische Pfarrkirche.
PropositionVorschlag, Angebot.
Verwaltungsrathssitzung (Erlangen)Der Verwaltungsausschuß bzw. Verwaltungsrat war das für die nichtakademischen Belange zuständige Gremium der Universität Erlangen, das in regelmäßigen Abständen tagte.
Verfassungs-AusschußDas „Volkshaus“ des Erfurter Unionsparlaments richtete am 26. März 1850 drei Ausschüsse ein: neben dem „Ausschuß zur Berathung des Gesetzentwurfes betreffend die Einrichtung des Reichsgerichts“ und dem „Ausschuß zur Berathung des Gesetz-Entwurfs über das Verfahren wegen Untersuchung und Bestrafung des Hoch- und Landesverraths gegen das Reich“ den „Ausschuß zur Prüfung der Verfassungsvorlagen“, kurz: „Verfassungs-Ausschuß“ genannt, dem 21 Abgeordnete aus den sieben „Abtheilungen“ angehörten und dem Ernst von Bodelschwingh (1794-1854) vorstand. Seine umfangreichen Beratungen waren ab 12. April Hauptgegenstände der Plenarsitzungen. Die Ergebnisse der Beratungen wurden dem Verwaltungsrat mitgeteilt, als die Union Ende April 1850 politisch schon gescheitert war.
HausschenkeHochzeitsgabe, Hochzeitsgeschenk.