Innig geliebtes Susettchen! Seit drei Tagen bin ich nun schon in Erfurt u. habe noch nicht an Dich geschrieben. Wirst Du nicht am Ende von mir denken, daß ich auch wenig an Dich gedacht hätte? Doch, glaube mir, das ist nicht der Fall gewesen; denn ich denke um so mehr an Dich, als ich mich der widerwärtigen Eindrücke u. Stimmungen, die hier auf mich eindringen, gern erwehren u. mich an dem Lichtglanz Deiner Liebe, an dem „Süßteig Deiner Lauterkeit und Wahrheit“ mitten in dem „Sauerteig der Schalkheit und Bosheit“2 mit um so größerer Wonne erfreue. Diesen Sauerteig gewährten mir vor allem die inzwischen eingegangenen Nachrichten aus Mecklenburg über den dort erfolgten Rücktritt des Ministeriums3 u. die Ursachen desselben, welche mir den Blick eröffneten in ein nichtswürdiges Intriguensystem, von dem Du, liebes Menschenkind, keinen Begriff haben kannst. Ich halte es nicht für nöthig oder wünschenswerth, Dir einen Begriff davon beizubringen: genug, daß unser trefflicher Großherzog das Opfer davon geworden ist u. daß ich es nun doch einmal nicht bloß von Ferne gehört oder gelesen, sondern ganz handgreiflich gesehen, wie die Hinterlist und die Nichtswürdigkeit den Sieg davon getragen über die Aufrichtigkeit und Wahrheit. Das empört alle Redlichen und tödtet den letzten Funken des Vertrauens zu den Machthabern. Diese stürzen sich mit Blindheit ins Verderben und Niemand wird sie mehr retten können oder auch nur mögen! Auch das Erfurter Parlament wird nichts weiter thun können, als seine Ehre, nicht die der Regierungen, zu retten: die Sache selbst, zu der es berufen war, scheint mir völlig verloren, denn die deutschen Fürsten haben durch die Schreckenszeit von 1848 nichts gelernt: Verrath und Gewalt sind ihre Losung und sie werden, wenn die Zeit kommt, ihren Lohn empfangen.
Doch was schreibe ich Dir das, mein liebes Menschenkind, und warum soll ich Dich betrüben? Wir werden bald genug den Schiffbruch dieses Parlaments erleben und Du wirst das Geprassel davon bis Nürnberg hören. Ich werde zufrieden sein, wenn ich mich auf einer Planke davon schwimmend bis zu Dir rette und von Deinen liebenden Armen umfangen, dieses Unheil vergesse. Doch wer kann die verstrickten, selbstsüchtigen Pläne der Machthaber ermessen? Vielleicht wollen sie uns noch eine Weile zappeln lassen und hinhalten, wenn wir nicht ihrer hinterlistigen Cabinetspolitik mit Entschlossenheit einen Strich durch die Rechnung machen. Wie dem aber auch sei, ich meine kaum, daß es bis über diesen Monat hinaus oder spätestens länger als bis Pfingsten4 dauern kann. Jedenfalls möchte ich nicht ohne Noth den Anfang unseres Glücks, mein liebes Susettchen, länger als auf das Pfingstfest hinausschieben. Setzen wir diesen Termin fest, so machen wir uns nicht weiter von den schwankenden Aussichten oder von den zerschlagenen Hoffnungen Deutschlands abhängig. Schreibe mir, ob Deine liebe Mutter diesen Termin annehmen kann: ich meinerseits würde ihn einhalten, sei es nun, daß das hiesige Parlament noch länger dauern sollte, oder daß es schon so früh zu Ende gegangen wäre, daß ich zuvor noch meinem Berufe nach Rostock hätte folgen müssen; ich würde mir in dem einen, wie im anderen Falle Urlaub auf 14 Tage nehmen.
Du wirst schon aus der Zeitung erfahren haben, wie unnöthig ich mich zu meiner Zurückkunft en 3. April fand nur eine unbedeutende Sitzung statt, worauf das Volkshaus wieder auf 8 Tage vertagt wurde, um dem Verfassungs-Ausschusse weitere 8 Tage (bis Dienstag) zu seinen Arbeiten Raum zu geben. Auch die Fractionssitzungen am Abend können nicht eher statt finden, als bis der Ausschußbericht vorliegt. Es bleibt mir nichts weiter zu thun, als Zeitungen nachzulesen, was ich in Nürnberg trotz Deiner gefälligen liebevollen Zuvorkommenheit zu sehr versäumt habe, Berichte nach Hause zu schreiben, und mit den hier anwesenden interessanten Männern zu verkehren, was freilich das Beste u. lehrreichste von allen Geschäften ist. Doch sind auch diese Geschäfte bisher nicht ganz in meine Willkür gestellt gewesen. Denn vorgestern kam mein alter Freund Wunderlich, Professor in Halle, hier an, dem ich mich gern die anderthalb Tage, da er hier war, ausschließlich widmete. Er ist ein Mensch von seltener Trefflichkeit u. erprobter Freundschaft für mich. Nachdem wir uns früher schon unter annähernden Umständen gekannt hatten, lebten wir mehrere Jahre in Rostock zusammen; er heirathete dort, lebte sehr glücklich mit seiner Frau, die ihn mit mehreren Kindern erfreute, ging nach Halle, wo sie starb. Er hat sein Unglück mit starker Willenskraft, die ihm wie wenigen Menschen eigen ist, getragen und überwältigt; aber es nagt ihm an der Seele, wenn er gleich nicht den Schein davon haben will, Gestern Abend hat er mich verlassen, wird aber noch einmal zum Besuch herkommen.
hierher beeilt habe. Am Mittwoch, dNoch sollte ich Dir von meiner Reise erzählen. Abgesehen davon, daß sie mich von Dir hinwegführte, war sie viel angenehmer und bequemer, als die Hinreise über Coburg. Das Wetter war schon gelinder, wenn gleich ich von Culmbach an wieder ganz in die Schneeregion überging, die sich bis ins sächsische Vogtland fortsetzte. Von Leipzig an bis hier war nirgends mehr Schnee zu sehen und ich glaube, daß das Klima hier milder ist als bei Euch. In Hof, wo ich gegen 9 Uhr ankam, übernachtete ich gut im Brandenburger Haus; doch wurde ich bereits um 4 ¼ Uhr geweckt, um um 6 Uhr wieder weiter zu rutschen; den folgenden Weg machte ich im October u. zu Weihnachten zur Nachtzeit, dies Mal sah ich bei Tage das großartige Werk der Göltzschtalbrücke bei Reichenbach, über welche die hier auf kurzer Strecke noch unterbrochene Eisenbahn geführt werden soll. Es wird sein, als wenn der Dampfwagen durch die Wolken ginget, denn die Brücke führt zwischen den Gipfeln zweier hoher Berge über das Thal und ruht auf vier übereinander gestellten hohen Bogenpfeilern. Um 3 Uhr Nachmittags kam ich nach Leipzig u. hatte unterwegs gute Gesellschaft aus Sachsen, ein Mitglied der dortigen Regierung unter Andern, mit welchem ich viel politisirte. Darauf war ich um 4 Uhr in Halle u. langte glücklich um 10 Uhr hier wieder an.
Die schönen Tage in Nürnberg, mein herziges Menschenkind, sind mir vergangen wie ein wonniger Traum. Da ich sonst gar nicht mehr träume, nämlich wenn ich schlafe, so erscheint mir dieser wachende Traum doppelt reizend. Übrigens ist Deinem Scharfblick
nicht entgangen, daß unsere Liebe nicht mehr, wie das erste Mal, den zauberischen Reiz der Neuheit hatte, dafür aber um so mehr die Sicherheit der Gewohnheit annahm, womit dieses zweite Wiedersehen nur auf die bleibende Vereinigung vorbereiten sollte. Was sonst der Brautstand, wenn die Liebenden sich fortwährend nahe bleiben, mehr in die Länge zieht, haben wir in die kürzeren Momente unseres vorübergehenden Wiedersehens zusammengefaßt. –An die liebe Mutter habe ich unseren Brief5 in Leipzig auf die Post gegeben und noch keine Antwort darauf erhalten. Deinen letzten lieben Brief6 an mich habe ich hier zum Empfang vorgefunden. Noch bitte ich Dich, meine süße Liebe, um Verzeihung daß ich nach unserem Abschied Deinen letzten Auftrag nicht mehr ausgerichtet: Dein lieber Vater wird Dir gesagt haben, wie es zugegangen u. wie sehr ich es bedauert habe. Schreibe mir doch, wie Du den Nachmittag zugebracht hast u. ob Deine Freundin Dich noch abgeholt hat. Grüße die lieben Eltern von Herzen, ebenso Deine Geschwister – Mariechen geht es doch wieder ganz wohl? – auch die Großeltern, Lina u. Friedrich.
Lebewohl mein süßes Menschenkind u. lieber Engel; laß Dich keine Schulterschmerzen anfechten, doch fahre fort zu lieben den, der Dich von ganzer Seele liebt,