XML PDF

Maria Helena Susanna Hegel, geb. Tucher, an Karl Hegel, Berlin, 8. April 1850

ohne Anrede2

Laß Dir nur mit wenig Worten sagen wie es uns geht, damit Du Dir nicht unnöthige Sorge machst. Ich war in der Zeit in der Dich meine Gedanken nach Nürnberg begleiteten und während des lieben Osterfests3, das Du vereint mit Deiner geliebten Susette und unseren Lieben4 gefeiert hast, auf mein stilles Bettlein angewiesen. Der Rheumatisme5 machte mir den Hals und Rücken so unbeweglich, daß ich mich nicht allein aufrichten konnte – Daher war ich auch nicht im Stande Euch Alle Lieben in Nürnberg zu schreiben, so sehr mein Herz mich dazu drängte – aber um so ungetheilter waren meine Gedanken bei Euch. Das Glück Eures Wiedersehens hab ich freudig und tief mit Euch empfunden, nur hab ich nicht geahndet daß Du mit 3 Reisetagen, die 4 Tage Deines glücklichen Wiedersehens erkauft hast. Wie mir der Poststempel von Leipzig und Dein lieber Brief6 und dessen sonst so erfreulicher Inhalt bezeugt. – Ach es geht mir bei den Gedanken an die Lieben Seelen, die Ihr alle wiedergesehen das Herz über vor Rührung und Wehmuth. – – – Meiner guten Marie und Susette hab ich seit MariechensKranksein, an dem ich den innigsten Theil nehme, noch gar nicht geschrieben, laß daher diese Zeilen über Erfurt nach Nürnberg gehen. Denn ich bin in diesen Augenblick mit meinen schwachen Kräften nicht im Stande viel zu schreiben – weil ich als ein guter Haushalter, was ich nach der einen Seite hin mehr consumire, den Anderen entziehen muß – dießmahl nimmt mich Manuels Haushalt, der bei mir einquatirt ist in Anspruch. Die Lieben hatten einen beschwerlichen Weg, da sie wurden einerseits von denen die den 4ten April Morgens in ihre Wohnung einzogen, bedrängt, 7 den 3ten und 4ten in ihre neue Wohnung ziehen, die von den bisherigen Bewohnern erst den 5ten Abends verlassen wurde – so daß ihr ganzer Haushalt in 2 Zimmer zusammen und über einander gestellt werden mußte – und nun muß erst die gänzlich beschmutzte und verwohnte Wohnung die Wände Thüren und Fußboden restorirt und mit Oelfarbe gestrichen werden, so daß trotz aller Besorgnisse und Wiederstrebens doch kein anderer Ausweg blieb, als die Herberge der Mutter, in die sich die liebe Friederike und die drei süßenKinder samt Helena einquatirt haben – Manuel schläft als Wächter seines Haushalts in der neuen Wohnung kommt zum Frühstück, wo sie, während ich vom Bette aus mit Wonne zusehe, mit Gustli und Mariechen um den runden Tisch am Sopha sitzen – Morgens, wenn ich so ein Stimmchen nach dem Andern neben an höre und sie wie so rosig zum guten Morgen herein gebracht werden und dann das liebe Geplaudere und – das selige Vergnügtseyn dieser engelhaften Stimmchen ist für mein großmütterlich Herz nach so langer Entbehrung eine viel größere Freude und Erheiterndes als Anstrengung, wofern es die guten besorgten Manuel und Friederike immer fürchten – Friederike sagt mir sie hätte auch vor Dir ein böses Gewissen – Ich halte mich daher bei allen so ruhig wie möglich und unterliese es daher auch an Dich zu schreiben, da mir wenn alles still ist, die vollkommenste Ruhe zur Erholung noth thut. Da auch die von Friederike gemiethete Köchin erkrankt ist, und sie sich erst nach einer Andern umsehen muß, ist ihr wie mir die gute Elise die meine Mathilde unterstützt und überall aushilft wo Hilfe noth thut, eine leise Gehilfin –

Ich bin nun wieder den größten Theil des Tags auf dem Sopha oder meinem behaglichen Geburtstagsstuhl – der Rheumatisme plagt mich nicht mehr so sehr, aber das alte Gebrechen bleibt dasselbe und leider haben auch die Bäder nichts geholfen und habe damit schon wieder aufgehört –

Die Veränderung des Ministeriums in Mecklenburg Strelitz8 wird Dich auch nahe berührt haben –

Laß bald wieder etwas von Dir hören mein lieber Sohn. Für heute bin ich nicht im Stande mehr zu schreiben. Sende aber durch Dich die herzlichsten Liebesgrüße Deiner geliebten Susette und unseren Leuten in Nürnberg.

In treuester Liebe
Deine Mutter