Mein geliebtes Susettchen! Ich hätte Deinen lieben letzten Brief1 schon gestern beantwortet, wenn ich nicht durch einen neuen Besuch meines Freundes Wunderlich aus Halle, der zwei Tage bei mir wohnte, daran verhindert worden wäre. Der Freund verließ mich gestern Mittag in Erfurt, drang aber in mich, daß ich ihn noch bis Cösen, welches zwischen Weimar und Naumburg liegt, begleiten sollte u. ich gab seiner dringenden Bitte nach, fuhr auf der Eisenbahn2 zwei Stunden bis Cösen – es war herrliches Frühlingswetter u. die Bäume fangen schon an zu grünen; – dort ist das freundliche Thal der Saale von einer doppelten Bergkette eingefaßt, welche auf der Innenseite mit Weinstöcken bepflanzt ist; wir bestiegen die Rudelsburg, eine alte wohlerhaltene Ritterburg, von welcher aus man einen schönen Blick über das ganze Thal bis in die weite Ferne gewinnt, gingen an dem Ufer des Flusses, einen anmuthigen Wiesenpfad entlang, zurück nach Cösen, ruhten da ein wenig auf einem schönen freien Platze aus u. setzten dann unseren Weg fort nach der alten Schulpforte, wo mein Freund, ein Zögling dieser berühmten Schule, seine Jugenderinnerungen auffrischte, u. weiter nach Naumburg, wo wir uns endlich trennten, indem uns die Eisenbahn in entgegengesetzter Richtung, ihn nach Halle, mich nach Erfurt – ich kam um ½ 12 Uhr in der Nacht an – zurückführte.
Du hast Recht, mein Herzens Susettchen, daß ich mir Unrecht that, als ich Dir sagte, daß wohl auch ein Tag verginge, ohne daß ich an Dich dächte: Als ich dies sagte, muß entweder mein Gedächtniß schwach gewesen sein, oder ich hatte mich nicht so darauf beobachtet, wie jetzt. Denn meine genauere Beobachtung ergiebt vielmehr, daß kaum eine Stunde vergeht, wo meine Gedanken nicht bei Dir sind, und es macht dabei keinen Unterschied, ob ich bei der Arbeit oder im Parlamente sitze, ob ich spazieren gehen oder mich mit meinen Freunden über die Politik unterhalte: immer tritt mir Dein liebes Bild dazwischen vor die Augen; besonders aber, wenn ich andere junge Frauen oder Mädchen sehe, wozu sich mitunter bei Tische oder Nachmittags auf dem Spaziergange u. auf dem Steiger, wo wir öfters den Caffe trinken, die Gelegenheit bietet. Denn je länger das Parlament dauert, um so zahlreicher findet sich auch der liebenswürdigere Theil des Menschengeschlechts ein, u. wenn ich diesen hier erblicke, kann ich den Wunsch nicht unterdrücken, daß ich gleichfalls schon mein liebenswürdiges Anhängsel – verzeih‘ den geringfügigen Ausdruck, Du weißt doch, daß Du meine Hauptsache bist – mir zur Seite sehen möchte. Und um so passender wäre dies, als die Geschäfte des Parlaments sich dergestalt vertheilen, daß auf die Arbeitstage immer wieder mehrere Ruhetage, wie eben jetzt, folgen, wo man sich so eines lieben Menschenkindes ungetheilt erfreuen könnte.
Das Parlament ist heute größtentheils nach Weimar u. Cösen ausgeflogen. Ich bin zu Hause geblieben, weil ich die Fahrt bereits gestern gemacht u. ich habe nicht Ursache, dies zu bereuen, da, abgesehen von dem schöneren Wetter des gestrigen Tages Gervinus überrascht wurde. Mit ihm war ich dann zu Mittag u. auf dem gewöhnlichen Spaziergang am Nachmittag zusammen, kam um 7 Uhr nach Hause u. fand da auf meinem Tische einen Brief von – Manuel. Zur abermaligen Bestätigung der alten Erfahrung, daß Glück und Unglück nicht allein kommet, sondern zum Glück das Glück und zum Unglück dasselbe, las ich hier gleich zu Anfang, daß das Befinden meiner lieben Mutter in den letzten Tagen so gute Fortschritte gemacht hat, daß sie es wagen konnte mit Elisens Hülfe die Treppe hinunter und in den Garten zu gehen, wo sie eine Zeit lang die frische Luft einsog und darauf ebenso wieder die Treppe hinaufstieg; und doch hatte sie nur kurz zuvor einen ziemlich heftigen Anfall von Grippe u. Husten zu überstehen gehabt. Das ist mir eine große unerwartete Freude, für die ich dem Himmel von ganzem Herzen danke und die mir eine weitere gute Hoffnung zur völligen Wiederherstellung der lieben Mutter gewährt. Ich weiß, liebes Susettchen, daß Du mit mir hieran den innigsten Antheil nimmst. –
ich heute morgen durch den Besuch meines lieben FreundesUnsere Sitzungen dauerten vom Donnerstag, den 12. April bis gestern Freitag fort u. wurde in denselben das Hauptgeschäft des Parlaments, die Annahme u. Revision der Verfassung, vom Volkshause erledigt; das Staatenhaus ist bis heute ebenso weit gekommen, so daß jetzt nur noch die besonderen, auf das Reichsgericht bezüglichen, Vorlagen für die fernere Berathung übrig bleiben. Wenn keine unerwartete Verzögerung eintritt, werden alle Geschäfte des Parlaments in 14 Tagen erledigt sein. Recht sehr freute mich daher, mein einziges Menschenkind, Deine letzte Mittheilung, welche mir die Hoffnung giebt, daß auch unsere Vereinigung dann nicht länger als um weitere 14 Tage hinausgeschoben werden dürfte. Denn nach Rostock möchte ich ohne Dich nicht wieder kommen, u. würde ich mich eher dazu entschließen (falls mir auf so lange Urlaub ertheilt würde), wenn es länger dauern sollte, nach Paris oder sonst wohin zu reisen, bloß um die Zwischenzeit nicht unnütz zu verliegen. Aber ich hoffe noch, es wird sich so einrichten lassen, u. die liebe Mutter wird gewiß ein Übriges dazu thun, daß wir unsere Hochzeit zu Pfingsten3 feiern können, daß ich an einem Pfingsttage in mein neues Leben eintrete, gleichwie ich an einem Pfingsttage zuerst das Licht dieser Welt erblickte.4 Wozu noch viele Vorbereitungen und Zurüstungen? je einfacher die Feier im Familienkreise sein wird, um so erwünschter wird es uns sein, mein liebes Susettchen, weil wir uns dann ihrer rechten Bedeutung umso ungestörter bewußt werden können; und die verwünschte Ausstattung kann ja nachkommen, sobald sie kann; auf die Reise nehmen wir sie fürs erste doch nicht mit. – Schreibe mir doch, wie es mit der kirchlichen Proclamation steht? wenn wir die Aussicht auf Pfingsten festhalten wollen, so müßte sie spätestens am nächsten Sonntag den Anfang nehmen.
Ich bin gestern Abend noch in den Gasthof beim Bahnhof gegangen, um Gervinus dort zu treffen, und sende Dir jetzt noch einen Morgengruß, mein herzliebstes Susettchen. – Die Sitzungen sind seit Freitag bis zum Dinstag ausgesetzt, u. Mittwoch5 ist wieder ein Feiertag, nämlich ein Bettag. Da die Sitzung am Dienstag ohne erhebliche Bedeutung ist u. mit gutem Gewissen versäumt werden könnte, so war ich in der Versuchung, diese Tage in Berlin zuzubringen, wohin man von hier aus in einer einzigen Nacht gelangt. Doch ich habe es unterlassen, theils um noch länger mit Gervinus zusammen zu sein, theils weil ich erwarte, daß ich vor meiner Hochzeitsreise6 noch einige Tage dort verweilen werde. Die Parlamentssession hat in den vergangenen 8 Tagen von Freitag, dem 12. April an den Höhepunkt des Interesses erreicht: aber an diesem Freitag u. am Sonnabend fand die Hauptdebatte im Volkshause über die Annahme der Verfassung im Ganzen statt. Der Feldzugsplan ward in unserer Fraction an jedem Abend vorher festgestellt, nachdem man sich in dieser selbst über die vorliegenden Fragen vorher geeinigt hatte. Die Gegner aus den drei anderen Fractionen7 konnten unsrer Partei, außer dem einzigen Stahl, kaum einen Redner entgegenstellen, der der Aufgabe völlig gewachsen war. Zugleich war man unsererseits entschlossen so schnell als möglich zum Ende zu kommen. Die Sitzungen dauerten lang, von morgens 10 Uhr bis Nachmittags 4 u. 5 Uhr; dann ging man zum Essen u. hatte nur wenig Zeit sich in der frischen Luft zu erholen, da die Fractionssitzung zur Vorbereitung auf den folgenden Tag schon um 7 Uhr wieder den Anfang nahm u. bisweilen bis über 11 Uhr in der Nacht fortdauerte. Nach solchen Anstrengungen sind mir die jetzt eingetretenen Ruhetage wirklich sehr wohltuend. –
In meiner mecklenburgischen Heimat wird sichs vielleicht doch noch besser machen, als ich anfangs fürchtete. Das neue Ministerium, welches der Großherzog ernannt hat u. an dessen Spitze der Graf Bülow aus Preußen berufen worden8, gehört nicht gerade der äußersten reactionären Partei an, sondern steht etwa in der Mitte zwischen dieser u. dem bisherigen; u. ich glaube immer noch, daß es dem Großherzog, wie er es aufs neue in seiner Ansprache verheißt, ernstlich um einen gedeihlichen Fortschritt im Innern zu thun ist. –
Von Herzen grüße ich die lieben Eltern u. Geschwister. Das schöne Frühlingswetter, welches Ihr im Garten unmittelbar aus der Hand der Natur genießet, wird sicherlich auch zu Mariechens schneller Wiederherstellung viel beitragen. Die liebe Mutter bitte ich noch besonders um Verzeihung wegen meines etwas ungestümen Drängens, welches jedoch in den Verhältnissen zumeist Entschuldigung finden wird. Grüße Deine Freundinnen Lina u. Luise von Deinem Liebsten. Von ganzer Seele grüße ich Dich viel tausendmal meine innig geliebte Susette. Ich fühle es immer mehr, daß Du ein Theil von mir selbst bist, u. ich verlange sehnlichst nach Dir mit einem Herzenszuge, der beständig in meinem Innersten bohrt u. mir eine süße Qual bereitet. Ist es bei Dir auch so, mein süßes Liebchen? Doch fassen wir uns noch ein paar Wochen in Geduld, u. die Qual wird sich ganz in Wonne der Liebe auflösen9. So leb denn wohl, mein Herzenskind!