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Karl Hegel an Susanna Maria Tucher, Erfurt, 26. – 27. April 1850

Als ich gestern Abend, wie es die hiesige Lebensweise mit sich bringt, um Mitternacht nach Hause kam, fand ich zu meiner innigen Freude, mein heiß geliebtes Susettchen, Deinen theuren Brief1, dessen Lesung mich mit Wonne u. Dank für Deine Liebe erfüllte u. mein sehnliches Verlangen nach Dir aufs neue verstärkte. – Vor Allem erfreute mich daher die zuversichtliche Aussicht, die Du mir eröffnest, daß wir zu Pfingsten2 an das Ziel unserer Wünsche oder vielmehr an den Anfang unserer neuen vereinigten Lebensbahn gelangen sollen; denn wenngleich auch das mir noch fast unerträglich lang erscheint, so habe ich selbst doch meine Wünsche bis zu diesem Termine bereits ermäßigt, ehe ich noch dachte, daß nicht die Dauer des Parlaments, sondern allein die Ausstattung eine solche Verzögerung nöthig machen würde. Darum will ich gern erkennen, daß ich der lieben Mutter in aller Weise zu danken habe, wenn sie nun doch nicht auf einem noch weiter hinausgesetzten Zeitpunkt bestehen will, der mich wirklich in Verlegenheit bringen würde – abgesehen von allen bloßen Wünschen. Denn das Parlament wird nun schon in wenigen Tagen, sicher vor Ende dieses Monats, zum Schluß kommen; und von meiner Seite stünde dann nichts mehr entgegen, sofort zu Dir zu eilen u. Dich, mein innig geliebtes Menschenkind, heimzuführen. Wie die Sache aber bei Euch steht, muß ich nun sehen, wie ich die noch bevorstehenden drei Wochen auf andere Weise hinbringe, und werde ich nicht umhin können, noch einmal ohne Dich nach Rostock zurüchzukehren, weil der Anfang der Vorlesungen3 da ist u. ich keinen genügenden Grund anführen kann, um schon von jetzt an, auf so lange Zeit als dann noch erforderlich ist, Urlaub von meiner Regierung zu begehren. Wirklich habe ich auch wenig Lust, mich vorher noch weiter in der Fremde umherzutreiben, ohne Dich, mit der mir das Reisen eine Lust wäre. Ich werde also von hier zuvörderst nach Berlin gehen, dort etwa zwei Tage bleiben, dann weiter nach Schwerin, wo ich mir den Urlaub auf 3–4 Wochen für die Zeit um Pfingsten erbitten will, und zurück nach Rostock, um dort noch die anderen vierzehn Tage abzuwarten, bis ich kommen darf, um Dich, meinen geliebten Engel in Susettchens Gestalt, abzuholen.

Ich konnte meinen Brief gestern nicht weiter fortsetzen, weil ich am ganzen Tage keine Zeit mehr dazu fand. Nach der Sitzung fand nämlich ein Mittagessen im Schützenhause statt4, an dem die größere Zahl unserer politischen Freunde – wohl über 200 – Theil nahm. Es waren da viele große und gefeierte Namen von Deutschland beisammen, u. es wurde manches schöne Wort über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von Deutschland gesprochen, welches die Hörer begeisterte. Vor Allem aber ergreifend war eine Rede von Gagern, worin er die ihm dargebrachten Huldigungen des Grafen Dyhrn in einer Weise ablehnte, welche ebensowohl seine aufrichtige Bescheidenheit als den Adel seiner Seele, die Tiefe seines Gemüths und die Größe seines Charakters erkennen ließ. Wenn er als Redner manchem Anderen, die wir unter uns zählen, nachsteht und in der gewöhnlichen parlamentarischen Debatte mitunter übertroffen wird, so erreicht ihn doch keiner in der Wirkung, die er auf die Gemüther der Menschen hervorbringt, wenn jene anderen Eigenschaften seines Charakters im vollen Lichte heraustreten. So zeigte er sich mir gestern zum ersten Mal u. so verstand ich zuerst, warum unsere Nation ihn eine Zeit lang auf die Spitze ihrer Hoffnungen stellte. Ein Stern erster Größe in wahrer parlamentarischer Beredsamkeit ist Riesser, von dem wir vorgestern eine seiner schönsten Reden hörten. Auch als Mensch zeichnet er sich durch unbefangene Liebenswürdigkeit aus u. wenn man es nicht wüßte, daß er Jude ist, so würde man es sicherlich nicht an irgend einem Zuge seines Benehmens oder seines Charakters erkennen. Ich saß gestern neben ihm und neben Duckwitz aus Bremen, den früheren Handelsminister des Reichs, einem anspruchslosen Manne, der die verdiente Hochachtung seiner Vaterstadt wie von Deutschland besitzt.

Gervinus ist noch immer hier, aufgesucht von seinen zahlreichen Freunden, die in gleicher Gesinnung mit ihm für die deutsche Sache gestrebt haben und ihm vielfache Anregung verdanken. So kann ich seiner nur selten habhaft werden bei Tische oder auf dem Nachmittagsspaziergange, wo wir mehrere Male auf dem Steiger zusammengetroffen sind. Doch war ich an zwei Abenden dieser Woche mit ihm, mit Beseler u. Wunderlich, der seinetwegen wiederum von Halle herüberkam, bei Dahlmann’s zusammen. Frau Dahlmann, die mir von jeher ihre besondere freundschaftliche Theilnahme gezeigt hat – sie ist eine Frau von vielem Geiste und anregender Lebendigkeit – wünschte Dein Bild zu sehen und brachte ich ihr es an einem dieser Abende mit. Es wäre mir lieber gewesen, ich hätte Dich selbst mitbringen können, mein liebes, gutes Susettchen. –

Der allgemeinen Erwartung nach wird das Parlament am nächsten Dienstag, 30. April, geschlossen das ist auf unbestimmte Zeit vertagt werden. Nachdem der Reichstag seine Aufgabe gelöst hat, wird es nun an den Regierungen sein, die Ausführung des Bundesstaats durch die Einsetzung der Bundesregierung anzubahnen. Zur Vereidigung des Bundesvorstands, d. i. des Königs von Preußen, auf die Verfassung wird das Parlament, wenn nicht ein anderer neu gewählter Reichstag, wieder einberufen werden. Es ist auch die Rede davon, daß das gegenwärtige Parlament, mit dem die Regierungen alle Ursache haben zufrieden zu sein, obwohl es zunächst nur zur Vereinbarung der Verfassung berufen war, weiterhin zum ordentlichen Reichstag erklärt werden soll. In diesem Falle wäre ich als Mitglied des Volkshauses auf vier Jahre gewählt. Da aber alles dieses noch sehr ungewiß u. selbst im Rathe der Regierungen noch unbestimmt ist, so lassen sich daran noch keine persönlichen Aussichten, Pläne oder Entschlüsse anknüpfen. –

Morgen am Sonntage wird eine große Zahl von Abgeordneten unserer Partei – es sind bereits über 100 angemeldet – eine gemeinsame Fahrt nach Eisenach unternehmen u. werde auch ich daran Theil nehmen. Ich wünsche nur, daß das Wetter günstig sein möchte; für heute läßt es sich kalt und unfreundlich an. –

Wenn am Dienstag geschlossen wird, so reise ich am Mittwoch nach Berlin. Diesen Brief mein liebes Susettchen, wirst Du am Montag erhalten u. kann ich daher nicht wohl mehr hier eine Antwort darauf von Dir erwarten; darum bitte ich Dich, mir Deinen nächsten Liebesbrief nach Berlin abzusenden u. zwar wo möglich ihn am Dienstag Vormittag auf die Post zu geben; ich antworte Dir dann von Berlin aus.

Da ich nun doch nach Rostock zurück gehen muß, so wäre es wohl ganz gelegen, wenn das schon öfter besprochene Bier während der Zeit meines dortigen Aufenthalts ankommen könnte. Allein es fragt sich, ob es nicht auch noch um die Zeit, wenn Deine –– Ausstattung nach Rostock abgehen soll, versandt werden könnte. Der liebe Kieser wird das am besten beurtheilen können u. stelle ich es daher seinem Ermessen völlig anheim, ob er die Gefälligkeit haben will, mir das Fäßchen sofort zu schicken (unter meiner Adresse in Rostock – Mecklenburg) oder ob er meint, daß gar keine Gefahr dabei sei, dies noch um vier Wochen aufzuschieben.

Von meiner lieben Mutter habe ich noch keine weitere Nachricht, auch bin ich noch nicht dazu gekommen, wieder an sie zu schreiben. – Sehr leid that es mir zu vernehmen, daß die liebe Lina unwohl gewesen; hoffentlich ist das nun vorbei! Grüße sie u. Friedrich herzlichst: ebenso unsere lieben Eltern, Großeltern u. Geschwister.

Lebe wohl, meine süße Liebe, mein theuerstes Susettchen. Gedulden wir uns noch ein paar Wochen, da es so sein muß, in der frohen Aussicht auf die ersehnte Vereinigung. Denk‘ an mich, meine einzig Geliebte.

Dein Karl.