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Karl Hegel an Susanna Maria Tucher, Rostock, 9. Mai 1850

Liebes gutes Susettchen, meine einzig Geliebte! Mit froher Stimmung begrüßte ich schon beim Erwachen den heutigen festlichen und schönen Morgen in der Vorahnung, daß mir nahe und große Freude bevorstehe. Und siehe da! es wird mir Dein Brief1 gebracht, der mir die Erfüllung meines sehnlichsten Wunsches verheißt. Ich fühle mich vom innigsten Dank gegen Gott, gegen Deine lieben Eltern und vor allem gegen die liebe Mutter bewegt, die meine Bitte erhört hat und mit liebevoller Bereitwilligkeit alle anderen Rücksichten dagegen zurückstellt. Der heutige schöne und festliche Tag ist mir eine günstige Vorbedeutung für den schönen Festtag, mein geliebtes Susettchen, dem wir beide mit froher Bangigkeit entgegensehen und von dem uns heute nur noch ein kurzer Zwischenraum von anderthalb flüchtigen Wochen trennt. Meine Seele überspringt mit Jubel diese kurze Spanne Zeit u. versetzt sich schon jetzt zu Dir, um Dich mit heißer Liebe zu umfassen. Aller Schmerz und Kummer der jüngsten Zeit verschwindet mir in diesem Gefühl des Verlangens, Dich zu besitzen: Wer weiß, welche neue Stürme uns im engeren Kreise des Familienlebens oder im weiteren des Vaterlandes in der nächsten Zeit bevorstehen! Die allgemeine Unsicherheit, in der wir uns befinden, mahnt uns, das Sichere und Ewige zu ergreifen und festzuhalten: eilen wir daher, mein liebstes Susettchen, unseren Bund der Liebe unauflöslich zu befestigen! In anderthalb Wochen also nenne ich Dich, so Gott will, mein geliebtes Weib, und ich werde Dir gewiß alle Liebe und Treue, die ich Dir vor Gott geloben will, für alle Zeit halten und Dich, wie einen heiligen Schatz, behüten und ehren.

Die betrübenden Nachrichten, die Du mir im Eingang Deines Briefes mittheilst, haben mich bei alle dem schmerzlich ergriffen. Du bist von Besorgniß erfüllt für Deine liebe Schwester, für Deine geliebte Jugendfreundin. Alles, was Dich bekümmert, theilt meine Liebe mitleidend mit Dir, und der Schmerz des Verlustes, den ich selbst noch zu tragen u. zu überwinden habe, macht mich doppelt empfänglich und empfindlich für neu aufkommende Besorgnisse. Möge der gütige Himmel deren Grund von uns abwenden und uns die frohe Stimmung unsrer Hochzeitsfeier nicht weiter verkümmern, als es schon hinlänglich geschehen ist, um auch die ernsteste Seite des Lebens, in dem wir für uns einen neuen Abschnitt beginnen, nicht außer Acht zu lassen! –

Ich muß mich in meinem letzten Briefe nicht deutlich genug ausgedrückt haben, wenn Du zu glauben veranlaßt wurdest, daß Deine Antwort mich noch in Schwerin antreffen könnte. Ich hielt mich dort nur anderthalb Tage vom Sonnabend Nachmittag bis Sonntag Abend auf u. kam Montag früh mit der Post2 hier an. Daß ich hier noch einmal per Post ankommen würde, hatte ich ebenso wenig gedacht, als daß ich noch einmal ohne Dich hier ankommen sollte. Auch für meine Freunde war das keine geringe Überraschung und Enttäuschung. Fast schämte ich mich, ihre Erwartung so getäuscht zu haben und den Grund, warum ich so ledig ankäme, immer wiederholen zu müssen. Auch ist das Provisorium, in welchem ich mich in der neuen Wohnung und sonst befinde, sehr wenig ansprechend und gemüthlich. Um mir’s zu erleichtern, laden mich die Freunde der Reihe nach zu Tisch zu sich ein, weil auch der gewöhnliche Mittagstisch im Wirthshause mir aus anderen Gründen verleidet ist. Dennoch ist mir’s nicht unlieb, sondern in einer Beziehung erwünscht, noch vor Deiner Einführung hierher zurückgekehrt zu sein, weil ich im Hause noch Manches vorher einrichten kann, was uns nachher beiden zur Last gefallen wäre und die wohnliche Einrichtung nach unsrer Ankunft verzögert hätte. Mein Wirth kommt mir hierbei mit der größten Bereitwilligkeit entgegen u. hat es auch in der Zwischenzeit nicht an sich fehlen lassen. Er hat einen neuen Herd aus Eisen angeschafft, einen Waschkessel daneben einmauern lassen, in den Wohnzimmern neue Öfen gesetzt. Nun lasse ich noch Dein Wohnzimmer neu tapezieren, weil mir die vorhandene, wenn auch sonst noch wohl erhaltene blaue Tapete nicht zusagt, und werde demnächst, wenn das geschehen ist, von der oberen Etage, wo ich jetzt noch provisorisch hause, in die untere herunterziehen, um, wie Du gewünscht hast und wie es gewiß viel vertraulicher ist, neben Dir, mein geliebtes Susettchen, nicht über Dir zu wohnen. Schon stehen die beiden Kleiderschränke, sowie auch der Weißzeugschrank, glänzend polirt von außen und inwendig mit blauem Papier sauber verklebt an ihrem Ort. Die Gardinen habe ich bereits mit der lieben Mutter in Berlin ausgewählt, weiße mit Blumen gestickt; hier lasse ich die Rouleauxstangen anfertigen. In Berlin habe ich auch schon über einen Möbelwagen accordirt3 – er kostet 45-50 Thaler – und die Möbel werden wir uns dort zusammen aussuchen; die Auswahl in den dortigen Magazinen ist unermeßlich. Auch habe ich dort Visitenkarten für die liebe „Susette Hegel geb. von Tucher“ bestellt, die ich für unsere Nürnberger Besuche mitbringen werde.

Unser Quartier, hoffe ich, wird Dir bei bescheidenen Ansprüchen gefallen; es ist mir trotz dem, daß die Einrichtung noch fehlt, doch schon recht heimelich darin, und ich betrachte es mit Entzücken, wenn ich an das künftige Glück, welches uns darin aufgehen soll, denke. In diesem Vorgefühl sehe ich es vielleicht mit günstigeren Augen an, als es in Wirklichkeit, verdient.

Wann erwartest Du mich nun wohl, mein einziges Menschenkindchen? Um die Vorbereitungen nicht zu stören, darf ich wohl nicht zu früh kommen; auch muß ich auf Manuel Rücksicht nehmen, dessen Zeit beschränkt sein wird. Doch dürfte ich wohl nicht später als Sonnabend Abends eintreffen? Wie die Züge seit dem 1. April gehen, werde ich nicht wohl Mittags ankommen können, wenn ich nicht eine zweite Nacht (außer in Leipzig) noch in Hof zubringen will. Ich erwarte hierüber die Weisung Deiner lieben Mutter, der ich Deinen Beistand zu den Vorbereitungen nicht früher als nöthig entziehen will. Schreibe mir hierüber, mein liebes Susettchen, nach Berlin die Antwort. Dort gedenke ich schon am Mittwoch Abend zu sein, wenn ich Mittwoch Morgens hier abreise. Denn bis dahin ist endlich auch unsere Eisenbahn bis Rostock eröffnet; am nächsten Sonntag ist die Eröffnung.4 Von Berlin aus erhältst Du meinen letzten Brief zur Benachrichtigung über unsere Ankunft. – Ich sehe unserem Wiedersehen mit dem ungeduldigsten Verlangen entgegen und muß der lieben Mutter aufs neue meinen innigsten Dank dafür aussprechen, daß sie auf dem späteren und für sie gelegeneren Termin nicht bestanden hat. Wenn ich hier noch weitere 8 Tage über die Pfingsttage5 hinaus hätte warten sollen, ich hätte mich wahrlich wie auf der Folter befunden.

Sage den lieben Eltern die herzlichsten innigsten Grüße von mir, der sich mit Freuden ihren liebenden Sohn nennt. Grüße das liebe Mariechen, an dessen Befinden ich den innigsten Antheil nehme. Unterlasse ja nicht, theure Susette, mir in dem nächsten und letzten Briefe zu schreiben, wie es ihr und wie es Deiner Freundin Luise geht. Grüße Kiesern bestens, ich lasse ihm danken für die gefällige Besorgung des Biers, welches ich wohl selbst noch in Empfang nehmen und dann nach meiner Abreise durch Freund Stannius abzapfen lassen werde. Grüße Lina u. Friedrich u. die lieben Großeltern allerbestens. – Ich umarme Dich tausendmal meine einzige Geliebte.

Auf ewig
Dein Karl.