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Immanuel Hegel und Karl Hegel an Maria Helena Susanna Hegel, geb. Tucher, Nürnberg, 27. Mai 1850

Liebe theure Mutter!

Nun sind wir in dem alten lieben Nürnberg angekommen und erquicken uns in der köstlichen Morgenluft beim herrlichsten Sonnenschein an dem schönen Grün des Gartens. Siegmunds1 haben es nicht anders thun wollen: wir mußten bei ihnen wohnen, wo es uns freilich auch am wohlsten ist. Die liebe Tante weiß in ihrer unermüdlichen Thätigkeit, Umsicht und Fassung alles zu vereinigen, und die widersprechendsten Gefühle mit wundervoller Ruhe und Klarheit gleichzeitig zu tragen. Leider ist der Zustand von Gottlieb noch immer sehr bedenklich, da das Fieber noch nicht aufgehört hat, und die Tante widmet sich unausgesetzt seiner Pflege. Mit Mariechens Befinden geht es dagegen, Gott sei Dank, recht gut; sie war heute Morgen beim Frühstück und bewegt sich auch beim freundlichen Sonnenschein im Garten; es ist ein liebliches inniges Wesen, welches mich sehr an die selige Tante Luise erinnert hat. Ueber Susette haben wir uns beide sehr gefreut; sie sieht recht gut aus, ist frisch und lebendig, und mit aller Wärme ihres Herzens drückt sie ihre Liebe und ihr Glück aus. Wie würdest Du Dich freuen, wenn Du Deinen Sohn Karl als zärtlichen Liebhaber an ihrer Seite sähest! Wie würde es Dir überhaupt wohl sein bei den lieben Nürnbergern! es geht einem das Herz in ihrer Mitte auf; jeden Augenblick müssen wir hier an Dich denken und Dich herwünschen. Doch hast Du auch liebliche Freuden zu Hause, das drückt uns Dein lieber Brief aus, den wir gestern Abend hier vorfanden, und der uns eine große Beruhigung gewährte. Die lieben Kinder! oft sehnen wir uns nach ihnen und wie werden wir uns freuen, sie wieder an unser Herz zu drücken!

Unsere Reise hat uns viele reiche Genüsse gewährt, und wir waren im Ganzen vom Wetter recht begünstigt. Friederike, wenn sie auch sich zuweilen nach den Kindern langen mochte, ist doch immer recht heiter gewesen und hat sich den herrlichen Eindrücken der schönen Natur mit voller Freude hingegeben. Den ersten Abend kamen wir um 7 Uhr  in Gotha an; in Halle hatten wir Karl, als unglücklichen Eisenbahn-Reisenden zurücklassen müssen; die Fahrt über Weimar, Erfurt war sehr schön. – Stavenhagens trafen wir im Park, als wir eben zu ihnen gehen wollten. Sie begrüßten uns sehr herzlich. Da sie uns auf der ferneren Reise noch über Eisenach bis Liebenstein begleiten wollten, so blieben wir bei ihnen in Gotha bis zum andern Mittag und machten hier am Vormittag sehr anmuthige Spaziergänge um diese außerordentlich freundlich gelegene Stadt. Von Eisenach aus, nahmen wir einen Fuhrmann, gingen wir über die Wartburg, durch das romantische Annathal nach der hohen Sonne, und fuhren noch am Abend bis Liebenstein. Nach einem Gewitter war Regen eingetreten, und konnten wir daher bei dieser Fahrt nicht viel sehen. Desto schöner war es am andern Morgen in Liebenstein, und wir machten hier einen sehr genußreichen langen Spaziergang beim herrlichsten Sonnenschein auf den Liebenstein und nach Altenstein durch die köstlichen Buchenwaldungen und mit den schönsten Aussichten auf die anmuthige Landschaft. Am Mittag um 12 Uhr trennten wir uns von Stavenhagens, welche nach Gotha zurückfuhren, während wir mit Extrapost, da unsere Zeit sich sehr verkürzt hatte, die Reise durch das abwechselnde freundliche Werrathal über Meiningen nach Hildburghausen fortsetzten, wo wir übernachteten. Am andern Morgen fuhren wir sehr zeitig aus und kamen nach einer recht belohnenden Wagenfahrt nach Coburg um 10 Uhr. Hier machten wir einen schönen Spaziergang nach der Festung, wo sich eine herrliche Aussicht nach allen Seiten darbietet. Um 2 Uhr fuhren wir per Postwagen nach Lichtenfels, und nach einer Rast von 2 Stunden beendigten wir die Reise beim schönsten Wetter über Bamberg und Erlangen. In Nürnberg empfingen uns auf dem Bahnhof Karl mit Susette. Siegmund und Onkel Gottlieb; letzterer war auch mit Thekla am Mittag angekommen; beide sahen sehr wohl aus. Wilhelms2 kommen heute Mittag. Die Rosenhayn ist schon da; wir wollen sie noch heute Vormittag besuchen. –

Küsse meine lieben Kinder: Gott möge Dich und sie bewahren! Die herzlichsten Grüße dem theuren Freund Schilling3, auch Nordenflycht4 und der lieben Klitzing, auch der lieben Elise. Lebe recht wohl, theure Mutter, wir schreiben Dir bald wieder. Von ganzem Herzen Dein

Immanuel.

Karl Hegels Postskriptum

Mir bleibt nur ein kleines Plätzchen, herzliebste Mutter, um Dich innigst von Susettchen und mir zu grüßen. – Gestern Mittag trafen die lieben Neuburger ein, Gottlieb und Thekla mit ihrem Söhnchen Augustin und wurden von Susettchen und mir auf dem Bahnhof empfangen und in die Wohnung von Friedrich und Lina geführt, wo wir mit ihnen zu Mittag aßen, während Susettchen an Linens Stelle die liebenswürdige Wirthin vertrat, da die Wirthe auf einen Tag nach Henfenfeld mußten. Gestern Abend empfingen wir ebenso mit den beiden Onkeln unsere lieben Geschwister aus Berlin – es war eine große Freude und herzlichster Empfang; inzwischen war auch Tante Sophie gekommen. Die letzten werden die Leitheimer sein, die erst heute Abend ankommen. Wir wollen heute Abend auf dem Schloßzwinger sein. Die Trauung ist auf morgen Nachmittag 4 Uhr festgesetzt. – Gott behüte Dich, liebste Mutter und gebe uns seine Segen zum feierlichen Morgen!5

P. S. Lebe wohl, liebste Mutter. Die Einlage6 gab mir die Tante Fritz. – Es ist heute ein herrlich schöner Tag: möchte auch der morgende so sein!