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Karl Hegel an Maria Helena Susanna Hegel, geb. Tucher, Nürnberg, 9. Juni 1850

Theuerste Mutter!

Morgen Mittag endlich wollen wir das liebe Nürnberg verlassen, nachdem wir den guten Eltern noch die letzten schweren Tage der Trübsal, so viel an uns war, erleichtern helfen. Am Donnerstag, den 6. Juni wurde der brave Gottlieb von seinen Freuden, den Bubenreuthern, zu Grabe getragen; acht von diesen trugen das Leichentuch und acht die Fackeln. Außer den Bubenreuthern waren auch die andern Landsmannschaften der Studentenschaft von Erlangen zahlreich vertreten. Es wurden viele Thränen von den jungen Leuten vergossen, einige konnten kaum das laute Schluchzen zurückhalten. Ein junger Theolog von dem Corps der Bubenreuther Burschenschaft hielt dem abgeschiedenen Freunde eine ergreifende Abschiedsrede. Zu der Beerdigung waren auch Wilhelm und Frida von Leitheim wieder eingetroffen. Der liebe Vater wollte anfangs selbst zu Fuß die Leiche des Sohns begleiten; wir hielten ihn durch unsere Bitten davon ab und ich vertrat seine Stelle in dem Zuge, geführt von W. von Tucher und Ferdinand Grundherr; nach mir folgte der Onkel Wilhelm, geführt von Friedrich Grundherr und Kieser. Der Vater fuhr mit Susetten hinaus und war am Grabe; auch Lina und viele andere Frauen waren nach hiesiger Sitte dort. Da der Zug in der Mittagshitze um 2 Uhr vom Hause abging durch die ganze Stadt bis zum Johanniskirchhofe, so hatten die Begleitenden auch äußerliche Beschwerde zu leiden. Die Burschen sangen zuletzt dem verlorenen Freunde den Abschiedsgesang, wobei die sogenannten Chargirten ihre Schläger kreuzweise über den Sarg hielten; sie zerrissen den Eichenkranz, den sie auf diesen gelegt, und warfen ihm ein Jeder die Blätter in die Gruft nach.

Vor der Beerdigung war die Leiche im Apollosaal ausgestellt, angethan mit dem schwarzsammetenen Röckchen des Bubenreuther Corps1; nebenbei im Freien versammelte sich die Begleitung; nur die nächsten Anverwandten kamen hinauf in die Wohnung. – Die lieben Eltern, insbesondere die herrliche Mutter, haben eine bewundernswürdige Fassung bewahrt. Einige Stunden vor der Beerdigung gingen wir mit den Kindern zusammen zu der verwesenden Hülle des Verstorbenen hinunter und die liebe Mutter las mit lauter Stimme  und verklärtem Blick ein Gebet vor, wozu der Vater einige tief empfundene Worte hinzufügte. Alle, die zu trösten und mit zu klagen kamen, waren verwundert über die Mutter, die selbst vielmehr als die Tröstende erschien.

Am Abend war der Familienkreis im Garten zusammen mit dem Kreis der nächsten Verwandten; am folgenden Abend ging die liebe Mutter mit uns, und auch Mariechen durfte dabei sein, zu Kiesers, bei denen die Leitheimer2 wohnten; wir waren sogar heiter und saßen bis nach 10 Uhr bei Tisch. Gestern haben wir, Susette und ich, unterstützt von andern hülfreichen Händen unsre Sachen noch völlig in die zwei Fässer und eine Kiste verpackt; die liebe Mutter fügte noch ein Fäßchen mit Schmalz hinzu; und diese vier Stück sind so eben vom Fuhrmann abgeholt worden, um per Eisenbahn nach Berlin spedirt zu werden. –

So eben kommen wir aus der Jakobikirche. Morgen (Montag) Mittag reisen wir von hier ab, wollen Dienstag3 in Dresden eintreffen, dort zwei oder auch drei Tage bleiben und am Freitag4 oder Sonnabend bei Euch Ihr Lieben, ankommen. Susettchen freut sich unendlich drauf, Dich, theuerste Mutter, wiederzusehen, und trägt mir die innigsten Grüße an Dich und meine Berliner Geschwister5 auf. – Von Dresden gebe ich Euch wohl noch einmal Nachricht über die Zeit unsrer Ankunft.

Herzliche Grüße von den lieben Eltern. Manuels und Friederikens Briefe haben wir vorgestern Nachmittag empfangen6, als wir beim Caffee im Garten saßen – an meinem Geburtstage7, wo wir auch Eurer viel gedachten. Gestern war Linens Geburtstag8: Mittags waren die Leitheimer und Tante Fritz zum Essen bei uns; Friedrich und Lina kamen später und blieben zum Abendessen. – Heute Nachmittag kommen wir noch einmal zum Abschied auf dem Glockenhof zusammen.

Nun lebe wohl theuerste Mutter, herzliche Grüße an Manuel und Friederike. Auf baldiges frohes Wiedersehen.

In inniger Liebe
Dein Karl.