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Karl Hegel an Johann Gustav Droysen, Rostock, 13. April 1853

Verehrter Freund!

Vor einigen Tagen ist Leist von uns geschieden; ein unersetzlicher Verlust für die hiesige Universität, wie für mich persönlich. Bald wird man auch in Jena noch mehr als es schon jetzt der Fall sein mag, seinen Werth erkennen. Er ist ein durch und durch gediegener Mensch, und als Gelehrter wird er wenn ich nicht sehr irre, in nicht langer Zeit eine der ersten Stellen in seiner Wissenschaft einnehmen. Und auch seine Frau achte ich kaum minder hoch; sie besitzt eine seltene Bildung und Belesenheit und, was noch seltener, verbunden mit echt weiblichem Wesen und den schönsten Eigenschaften des Herzens. Gewiß, es gibt nicht viel so zwei Menschen, wie diese, und was man an ihnen hatte, empfindet man erst recht, wenn man sie verloren. – Sie sind vorerst nach Göttingen und werden vermuthlich in 8 Tagen schon bei Ihnen sein. Empfangen Sie sie, wenn ich bitten darf mit meinem Gruße.

Sie sehen, wie uneigennützig ich damals war, als ich Ihnen die gewünschte Auskunft über meinen Freund gab und so wieder Willen die Hand zu seiner Abberufung von hier bot. Ich darf um so dreister Sie jetzt um einen Gegendienst ersuchen, der, wenn zwar ähnlicher Art, darum noch nicht den ähnlichen Erfolg erwarten lassen darf. Mein Anliegen ist folgendes. Es ist hier eine ordentliche oder außerordentliche Professur für altdeutsche und neuere Litteratur überhaupt zu besetzen. Die Facultät hat dazu Vorschläge zu machen und mir ist die Sache vornehmlich in die Hand gegeben. Es kommen dabei von andererwärts sehr tüchtige Männer in Betracht; von Ihnen möchte ich aber über Mehrere, die in Ihrer Nähe waren, respective noch sind, einige Auskunft erhalten. Natürlich ist davon gegen diese selbst um so weniger etwas zu erwähnen, als es sich vorläufig nur um Priorisierung oder Stellung unserer Vorschläge Seitens der Facultät an die Regierung, nicht um eine auch nur indirecte Anfrage handelt.

Liliencron scheint sich hauptsächlich mit altnordischer Sprache und Litteratur beschäftigt zu haben, doch gewiß auch mit alt- und mittelhochdeutscher? Würden außer Vorlesungen, die sich auf dieses specielle Fachstudium beziehen, auch solche allgemeineren und weiteren Inhalts, wie deutsche Literaturgeschichte überhaupt oder über andere neuere Literatur von ihm zu warten sein! Wie hat er sich als Docent bewährt? und wie hoch beläuft sich seine Einnahme in Jena? – Dieselben Fragen, doch mit den nothwendigen Modificationen erlaube ich mir in Beziehung auf Hettner und den nach Breslau berufenen Heinrich Rückert zu wiederholen. Hettner hat sich wohl nicht besonders mit alter deutscher Sprache und Litteratur abgegeben, auch nicht darüber gelesen? Sonst wäre wohl Liliencron nicht nach Jena berufen worden. Heinrich Rückert ist mir nur durch seine „deutschen Annalen“ bekannt. Doch sehe ich, daß er außergeschichtlichen Vorlesungen auch solche über mittelalterliche deutsche Literatur gehalten hat. Wie hat er sich als Docent gemacht?

Haben Sie doch die Güte, verehrter Freund, mir über die drei Genannten Auskunft zu geben, und doppelt würden Sie mich verbinden wenn es sofort geschehen könnte, weil die Vorschläge darauf warten sollen. Noch bemerke ich, daß Keiner der Vorzuschlagenden Katholik sein dürfte, was jedoch von keinem der Erwähnten zu vermuthen steht. Unsere Statuten lassen nur Lutheraner zu. –

Freundschaftlichst
der Ihrige
Carl Hegel.