Wenn ich mir denke, wie Sie diesen Brief öffnen und meines Namens Unterschrift erblicken würden, kann ich nicht umhin, mir zugleich Ihre Überraschung zu vergegenwärtigen, mich so unerwartet nach einer vergangenen halben Lebenszeit wiederzufinden, wenn ein Schluß auf Ihre Gefühle von den meinigen aus erlaubt ist, so werden Erinnerungen, die wenigstens ein Alter von zwanzig Jahren zählen, vor Ihnen lebendig werden, wie wohl unsere Bekanntschaft nur eine bald vorübergehende gewesen, und, wie ich vermuthe, bei Ihnen nicht halb den Eindruck zurückgelassen hat, den ich von Ihnen behalten habe.
Mit ist Ihrer Persönlichkeit damals so interessant und zugleich so rätselhaft erschienen – nach zwanzig Jahren darf ich Ihnen das wohl sagen – daß es wenige Menschen gibt, die ich so sehr wünschte noch einmal wiederzusehen. Seitdem bin ich Ihnen nur als Schriftsteller auf einem Gebiete begegnet, auf dem ich Sie damals am wenigsten künftig zu finden erwartet hätte. Und auch jetzt wende ich mir ! nur an den Tübinger Professor, bei dem ich das Recht einer alten Bekanntschaft erneuere, um ihn um eine Gefälligkeit zu bitten. Mein Anliegen ist kurz folgendes.
Unsere hiesige Universität, von der man im übrigen Deutschland nicht viel weiß, ohne daß ich es diesem gerade zum Vorwurf machen will – wünscht eine Lücke für altdeutsche Sprache und Literatur, aber auch, wenn möglich, in Verbindung mit den Fächern der schönen Literatur und neueren Literaturgeschichte überhaupt zu besetzen. Es sind hierzu unsere Namen in Vorschlag zu bringen, wobei die Facultät, deren Mitglied ich bin, unter Anderen auch auf den Tübinger Privat-Docenten Dr. Holland aufmerksam geworden ist. Soviel ich aus den Tübinger Carlions-Verzeichnissen1 ersehe, liest er gerade über die genannten Fächer, namentlich altdeutsche Literatur, aber auch über spanische, italienische, nebst Erklärung einzelner hierher gehöriger Schriftsteller. Da wir sonst von ihm nichts wissen, ist es mein Wunsch, durch Sie einige nähere Mittheilung über ihn zu erhalten. Also, seit wie lange er schon Privatdocent ist? wie er sich als solcher bewährt hat? ob und was er geschrieben hat? wie er seiner Persönlichkeit nach ist, als Mensch und College? wo er her ist? – er dürfte nach unseren Statuten kein Katholik sein, versteht sich auch kein Jude. – Wie bemerkt, es handelt sich vorerst nur um Vorschläge zu einer Stelle an der hiesigen Universität, deren Titel und Ausstattung selbst noch zweifelhaft ist; noch nicht um eine auch nur indirecte Anfrage, die an die Person selbst gerichtet wäre, weshalb Sie meiner Bitte um Nachricht auch noch keine weitere Bedeutung beilegen wollen. Wenn Sie mich aber in Erfüllung derselben doppelt verbinden wollen, so würden Sie mir die gewünschte Auskunft ungesäumt zukommen lassen, weil ich mit unseren Vorschlägen noch darauf warten will.
Und noch etwas. Schreiben Sie mir doch, ob Sie, wie ich selbst, glücklich verheirathet und Vater sind?2
Und somit empfehle ich mich fernerhin Ihrem freundschaftlichen Andenken. Es wäre doch auch möglich, daß wir uns auf dieser Welt noch einmal wiedersähen. Wie würde ich mich darüber freuen!