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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 6. Juni 1853

Lieber Karl!

Die gute Mutter hat es sich nicht versagen können, Dir zu Deinem Geburtstage2 in gewohnter Weise ein Päkchen zu bereiten und Dir damit eine Geburtstagsfreude zu machen. Die Weste und das Halstuch hat Friederike ausgesucht und hofft, da beides auch den Beifall der Mutter gefunden, daß sie Dir gefallen werden. Wir begleiten die Sendung mit unseren herzlichsten Grüßen und innigsten Wünschen zum Beginn Deines neuen Lebensjahres und erbitten von Gott, daß Er Dich und die Deinigen in Seinen Schutz nehmen und auch Seinen Frieden geben möge!

Du wirst hoffentlich mit dem lieben Annchen glücklich in Rostock eingetroffen und dort von Susette froh beglückt empfangen worden sein. Wir gedenken mit herzlicher Freude der Tage, die wir mit Dir verlebt haben, und auch unsere gute Mutter lebt dankbar und freudig bewegt in dieser Erinnerung fort. Leider hat sich ihr Befinden nicht ganz so gut gehalten seit Deiner Abreise, wie in der vorigen Woche. Es hat sich einmal das Fieber wieder eingestellt, und zugleich ein starker Durchfall; doch ist letzterer gestern nicht wieder gekommen, und da sie sich an der warmen Luft am offenen Fenster jetzt erquicken kann, so hoffen wir, daß sie dies auch erfrischen und kräftigen werde.

Wir haben unsere Briefe nach Nürnberg – Friederike schrieb an die Tante Marie und ich an den Onkel Siegmund – abgehen lassen und in Betreff der Tante Fritz uns so, wie wir es unter einander und mit der Mutter besprochen hatten, ausgelassen. Indessen ist es uns gestern doch sehr zweifelhaft geworden, ob wir dabei werden stehen bleiben können. Die Mutter beschäftigt sich unablässig mit dieser Angelegenheit und ist dergestalt von dem Verlangen nach dem baldigen Wiedersehen mit der Schwester erfüllt und bewegt, daß wir die Befriedigung dieser Sehnsucht nicht zu lange werden hinausschieben können. Sie glaubt, daß sie es sonst nicht mehr erleben werde und wünscht sehnlichst, noch vor ihrem Ende eines ihrer Geschwister zu sehen. Die anderen Rücksichten und 3 treten gegen dieses Gefühl in den Hintergrund und wir halten uns unter diesen Umständen nicht für berechtigt, auf eine Verzögerung des Besuchs der Tante Fritz hinzuwirken, um so weniger, als ein solches Gegenstreben auf den Gemüths- und Gesundheitszustand leicht nachtheilig einwirken könnte. Ich habe gestern Abend darüber ausführlich mit Marie Tanner gesprochen, welche gleichfalls diese Ansicht theilt, und auch in anderer Beziehung die Anwesenheit der Tante für erwünscht hält, und keine Störung des häuslichen Zustandes dabei besorgt. Wenn daher die Mutter heute und morgen noch bei diesem Wunsche verbleibt, so werden wir nach Nürnberg schreiben, daß die Tante schon Anfang Juli kommen möchte, welchen Termin die Mutter selbst bezeichnet hat.

Die herzlichsten Grüße der lieben Susette; Marie und Willi senden dem lieben Annchen die zärtlichsten Küsse.

In treuer Liebe
Dein
Immanuel