Ein unerwarteter Anlaß bestimmt mich, eine lange und sündhaft unterbrochene Correspondenz mit diesen Zeilen wieder aufzunehmen. Ein Berliner Freund meines Freundes und Hausherrn Fallenstein schreibt diesem so eben, Deine Mutter habe uns die Unterlassung eines Besuches bei unserem letzten Berliner Auffenthalt als eine Aufkündigung unserer früheren Beziehungen zu der Familie Hegel1 ausgelegt. Ich hoffe nicht, daß dies ein Familienbeschluß ist, an dem auch Du, der mich länger kennt, irgend einen Anheil hättest. Deine Mutter, an die ich mich mit unveränderter Achtung zurückdenke, hat völliges Recht unsere Besuchsverzögerung übel zu nehmen, obgleich wir sie ihr einmal erklären und vorläufig entschuldigen ließen.
Ich hatte in Berlin bei der Masse der vorgefundenen Arbeit für nichts Sinn als für diese meine Aufgabe; ich brauchte die Abende für die heimgenommenen Bücher, am Tag war ich auf der Bibliothek; meine Frau mußte Theater und Museen allein besuchen; außer bei den nächsten alten Freunden versparte ich mir alle Besuche und alle neuen Bekanntschaften auf eine letzte Zeit des Auffenthalts, wo ich nachgeholt hätte was ich Alles versäumte, wenn mich nicht nachher der Amtstermin Hals über Kopf und vor vollendeter Arbeit nach Heidelberg gerufen hätte. Ich sah auf diese Weise alle die Celebritäten wie Ritter Böckh Cornelius perge nicht, die ich sonst immer besuchte. Auch Freund Flender2 nicht, der die obige Nachricht an Fallenstein schickte und so auch nicht Deine Mutter. Die Antwort ist leicht, ein verlornes halbes Stündchen hätte sich immer finden lassen; aber man bedenkt dann nicht, wie viele ganze Stunden durch unwillkommene Besuche im Hause unrettbar verloren gingen; und man kennt mich dann nicht, der ich halbe Dinge nicht mag, und ohnehin durch eine verdrießliche Arbeit in verdrießlicher Stimmung war. Du wirst Dir das, wenn ich nicht irre, erklären und ich bitte Dich es Deiner Mutter erklärlich zu machen, in der ich um Alles nicht ein bitteres Gefühl veranlaßt haben möchte. Du weißt recht wohl, daß ich eine Frau nur gar zu leicht verfehlen kann, daß ich aber dem Wesen nach semper idem bin, und grade im Punkte freundschaftlicher Treue nicht der schlechteste.
Formlos war es mehr als dieses Berliner Stück, daß ich Dir damals, als Du mitten im Glücke durch einen unerwarteten Unglücksfall erschreckt wur- dest und wir um euren Besuch kamen, nicht gleich schrieb und Dir unsere Theilnahme und unser doppeltes Bedauern ausdrückte; aber ich denke mir nicht, daß mich dieß bei Dir in irgend ein zweifelhaftes Licht gestellt hätte. Meine anderen Freunde alle haben mir wenigstens meine Schreibunarten immer zu Gute gehalten.
Daß ich so auch dieses Jahr ohne Dir zu schreiben habe hingehen lassen, selbst als ich Dir das corpus delicti schickte keinen Begleitbrief beilegte, wird Dich am wenigstens wundern. Ich kann nicht leugnen, daß mich die Prozeßgeschichte mit langem und tiefem Ekel erfüllt hat, der mir außer meiner Arbeit Alles verleidete. Ich habe doch das Ähnliche schon einmal durchgemacht in Hannover; dort konnte ich aber wissen, daß ein schlechtes Prinzip, nicht schlechte Individuen mich verfolgten, und wir machten uns damals alle aus dem Handel eine Ehre. Hier aber war alles Cliken und Clonkenwirthschaft, die mir die Anmuthung aller Welt, ich solle mich diesen Chicanen mit allen ihren Folgen bis zum Ende aussetzen, oft ganz unbegreiflich machten, wiewohl ich zuletzt einsah, daß ich mich der Welt hätte fügen müssen. Das Drum und Dran war dann noch ärger als die Sache selbst; das Benehmen von Collegen und soi disant Freunden, zum Schluß noch das des Advocaten, der sich während der Führung des Prozesses als ein Pinsel und zum Ende als ein Schurke bewährte, das soll einer Alles aushalten! Für Alles hätte die öffentliche Wirkung der Sache entschädigen können, obgleich ich auch da unsere großen nationalen Unarten an einigen Symptomen wieder zu finden meinte. Jeder hätte sich gefreut mich verurtheilt zu sehen, auch die es gut mit Deutschland und mir meinten, statt daß jeder, wie das in England unstreitig der Fall gewesen wäre, gespannt hätte sein sollen, ob wir noch freie Gerichte haben. – Ich bin denn nun an dem eigentlichen Opus selbst, eine weitausstehende und undankbare Arbeit, was das Historische angeht, das mir doch immer das wichtigste bleibt; politisch ist es freilich eine starke Waffe, ich kenne keine stärkere, und wünsche mir nur Kraft und Gesundheit, sie nutzbar machen zu können.3
Aber genug endlich von mir, und laß mich nun wünschen, daß Du uns etwas und Vieles, ja so zu sagen Alles mittheilst, was Dich angeht, was Du indessen erlebt und wessen Du Dich erfreut hast. Von Deinen Vaterfreuden und Deiner Vaterrolle haben wir doch mancherlei Schönes in Berlin erfahren und haben uns lebhaft hineinversetzen können.4 Schade nur daß uns die Bekanntschaft Deiner lieben Frau fehlt um uns das Bild vollkommen zu machen. Für Dich, wie ich Dich kenne, scheint mir mehr als für viele andere die Spitze des menschlichen Glücks in den häuslichen Dingen zu liegen, und jede Nachricht die mich darin bestärkte erfreute mich auch für Dich doppelt und dreifach. Daß dieß nicht die geistigen Freuden der Fortbildung aus sondern einschließt, versteht sich von selbst, und ich werde mit Begierde hören womit Du jetzt beschäftigt bist; von Allem weiß ich nichts. Von dem Einen der mir früher zuweilen etwas von Dir mittheilen konnte, von Beseler, habe ich auch lange nichts gehört; weiß nur daß es ihm gut geht und daß er im übrigen die Politik quittirt zu haben scheint. Sein Bruder, den er unlängst in Braunschweig besuchte, schrieb mir zuletzt von ihm: er erkenne seinen (des Bruders) neueren politischen Standpunkt an, ohne sich übrigens im geringsten auf den ähnlichen Stellen zu wollen. Der Braunschweiger Beseler macht mir Sorge. Er ist ganz in die Ungeduld und die aufzehrende Erwartung und Spannung aller Flüchtlinge gefallen, wartet heute und morgen auf Umschlag aller Ding und versäumt dadurch für das heute und morgen sicher zu wirken, wie es für das Ganze, sei es auch nur für das Nächste, für sich und die Familie. Ich befürchte außerordentlich, daß er sich innerlich mit seinen fiebrigen Hoffnungen und äußerlich und materiell mit seinem Mangel an einer festen Fürsorge aufreiben wird; dabei ist er für jeden Rath und jeden Stachel unempfänglich und empfindlich.
Meine Frau grüßt Dich sehr herzlich und unbekannter Weise Deine Frau auch, deren Bekanntschaft wir irgend einmal bald machen müssen. Die meinige ist neuerdings viel in Musik beschäftigt; heute eben sind wir im Begriff nach Frankfurt zu gehen um da diesen Abend ein Händelsches Oratorium aufführen zu sehen, das wir uns rühmen dürfen aus unserem kleinen Singkranz zum erstenmal in Deutschland einzuführen. Du kannst denken was das für sie für ein Stolz ist!
Sei so freundlich uns Böses mit Gutem zu vergelten und uns bald einige Zeilen zu schreiben.