Je mehr mich die Berliner Nachrichten, das „Gerede“ wie Du es nennst, früher beunruhigt und verdrossen hatten, desto mehr drängt es mich, Dir auf Deinen lieben Brief vom 30 des Monats1 zu sagen, wie sehr er mich gefreut und beruhigt hat durch die Zerstreuung jener Nebel, die mir (so lange ich in Ungewißheit darüber war) vielleicht um so drückender waren, als ich mich freilich völlig nicht schuldfrei wußte. Es ist nun gut; laß deine Familie wissen, daß wie gegen Dich so auch gegen sie ich ganz unverändert der gleiche bin und bleiben werde.
An dem Tage wo Dein Brief geschrieben ist erlitt ich hier einen großen Verlust durch den Tod des alten Fallenstein (dem Du wohl kaum begegnet bist?), meines Hausherrn seit 6 Jahren. Es war eine Spätfreundschaft zwischen uns geworden wie sie selten ist, und wie sie unter den Verhältnissen und zwischen Charakteren unserer sehr verschiedenen Beschaffenheit kaum hätte möglich scheinen sollen. Er war ein alter Haudegen aus den Befreiungsjahren, in alle Extravaganzen jener Zeit eingetaucht die mir schon in meiner Jugend, im Knabenalter, viel Abstoßendes durch ihre karikirte Erscheinung hatten; später ein Stockpreuße, als ich ihn kennen lernte (1845) noch ein blinder Verehrer des Königs von Preußen. In der Deutschen Zeitung hatten wir noch unsere liebe Noth mit seinen Moderantismen; seit 1848 schuppte sich des 60jährigen Mannes Haut völlig und mit Macht, und es hatte für mich etwas Erschütterndes, in dem loyalen, stärksten, wie ihn erst sein König und dann seine besten Freunde (wie Bodelschwing) Stück um Stück abhanden kamen. Es war ein mächtig Stück Zeitgeschichte in einer Exemplification an einer einzelnen Persönlichkeit erlebt. – Er war mir für meine Arbeiten ganz unschätzbar, und hatte in dieser Beziehung die seltsamsten Gaben. Leidenschaftlich, jähzornig, unduldsam im persönlichen Verkehr, vom härtesten Kopfe, ein Ausdruck von übermännischer Kraft und Art (ich pflegte ihn oft meinen König Lear zu nennen), war er, wenn ich ihm meine historischen Arbeiten vorlegte, wie von einer feinstweiblichen Empfänglichkeit, ging auf die entlegensten Ideen ein und verstand jede kleinste Nuance, vom bejahen wie verneinen gleich entfernt, einen Kritik übend und aus dem Geiste und Sinne des kritisirten Arbeiters selbst.
Wie viel liegt doch in einem solchen persönlichen Austausch. Ich kann nicht umhin, unwillkürlich unseres früheren Zusammenseins hier in Heidelberg zu gedenken, wohin sind die schönen Zeiten gekommen! Von der Seite denke ich oft und immer wieder mit dem größten Verdruß daran zurück, daß Beseler nicht 1849 den Ruf nach Göttingen angenommen hat. Ich hatte ihm wiederholt so sehr zugesetzt; er trug sich mit thörichten Hoffnungen auf Preußen, die wenn sie sich erfüllen sollten ihn doch wahrlich auch in Göttingen gefunden hätten. Wäre er da, wo würde ich jetzt, lose wie ich hier geworden bin, dorthin wieder rückgesiedelt sein; dann hätten wir den Braunschweiger Beseler nahe, Dich doch nicht so weit ab, und die Jugendgeschichten hätten sich unterweilen noch einmal wiederholen können.
Bei dieser Gelegenheit will ich Dir versprechen, wenn wir noch einmal (was leicht geschehen mag) nach England gehen, Dich es möglichst lang voraus wissen zu lassen; dagegen versprich mir ein Anderes: uns zu sagen wenn Du und die Deinigen einmal nach Nürnberg gehen. Wir waren da noch nie, und würden uns doch sehr freuen, mit euch zusammen dahin zu kommen. Ist es irgend vereinbar mit meinen Arbeiten, so treffen wir dann einmal dort zusammen; Victorie würde sich groß darauf freuen. Sie hat mit freudiger Theilnahme Deine häuslichen Nachrichten gelesen. Was würde das für ein Austausch von süd- und norddeutschen Studien geben!
Meine Einleitung hast Du nun wohl nachträglich noch erhalten?
Engelmann versichert ein Exemplar durch Buchhandel abgeschickt zu haben (schon früher). Daß Du die Anwendung des historischen Gesetzes, den ins Politische streifenden Theil nicht billigst, kommt vielleicht daher, daß Du (von meinen politischen Meinungen unterrichtet) sie zu viel in dem Buch gesucht hast, wo ich nur Historiker und nicht entfernt ein Partheimann sein will. Historisch nehme ich meine Aussichten in einem sehr regen und breiten Sinn, weil man für die Gestaltungen aus keinem noch so sicheren Gesetz einen sicheren Schluß machen kann. Man hat eine Masse Stellen demokratischer Färbung auf meine Aussichten in die Zukunft gezogen, die in der That nur Ansichten von dem schon längst Bestehenden oder Werdenden sind, dessen Bedeutung die Menschen zu wenig aufschlagen, weil noch monarchische Formen und reactionäre Momente den Geist zeitweilig verderben, der die Geschichte regiert in unseren Zeiten. Daß Du dagegen mit Shakespeare zufriedener warst ist mir lieb und werth zu hören. Es wird das einzige meiner Bücher bleiben, das, viel Liebe und Beifall finden wird. Man könnte dem Menschengeschlecht gut werden darum, daß es Friede und Liebe so lieb hat. Wie viel schöne Sachen habe ich für das Buch schon zu hören bekommen; es ist eben auch das einzige, das in die Hände der Frauen (von meinen Schreibereien) gekommen ist. Merkwürdig und unverhofft war mir, daß es selbst unter den Schauspielern einige empfängliche Geister getroffen hat. Schade daß man nicht immer so im Frieden mit der Welt bleiben kann. Wie viel Haß und Anfechtung werde ich mit meinem 19. Jahrhundert erleiden! Aber nützlicher wird solch eine Arbeit vielleicht grade durch den Sauerteig, der dadurch eingerührt wird.
Webers grüßen wieder. Sie sind beide, alle drei, auch die Mutter Becher, fast ganz unverändert, man möchte finden kaum älter geworden in so vielen Jahren, sehr glücklich, mit 5 Kindern und eignem Haus, nahe beim Hörnchen. Du mußt es doch zu machen suchen, einmal wieder her zu kommen. Die Anreise nach Nürnberg ist doch am Ende jetzt sehr was geringes.
Die herzlichsten Grüßen von Haus zu Haus. Laß doch gelegentlich wieder von Dir und den Deinen etwas hören.