Wir haben etwas gezögert, an Euch zu schreiben, um Euch über das Befinden der lieben Mutter eine bestimmte, und mit Gottes Hülfe auch eine beruhigende Nachricht geben zu können. Im Ganzen vermag ich dies jetzt zu thun, nachdem wir in der letzten Zeit wieder viele Sorge überstanden haben. Die gute Mutter wurde nemlich vor etwa 14 Tagen von einer heftigen Grippe befallen; ihr Husten steigerte sich extensiv mit einem furchtbaren Auswurf, der sie sehr erschöpfte; auch hatte sie Fieber und zugleich war ihre Verdauung gestört, so daß sie durch starke Auftreibung des Leibes sehr belästigt wurde. Diese Uebel bei ihrer ohnehin schon sehr geschwächten Lebenskraft und ihren gewöhnlichen vielfachen Leiden und Beschwerden mußten ihren Zustand wohl bedenklich erscheinen lassen; namentlich war der zuweilen mehrstündige Husten bei ihrer schwachen Lunge und ihrer Kurzathmigkeit recht qualvoll, so daß öfters Momente kamen, wo sie glaubte, es nicht mehr überstehen zu können. Wir mußten natürlich Böhms Hülfe in Anspruch nehmen, welcher jedoch eine augenblickliche Gefahr nicht erkannte; das Fieber nahm auch bald wieder ab und ihr Zustand wurde ruhiger auch der Husten hat endlich in den letzten Tagen sich erheblich gemindert, und es ist nur eine große Schwäche zurückgeblieben, in welcher ihr Ruhe ein dringendes Bedürfniß ist. Sie hat jetzt in der Nacht längeren ruhigen Schlaf und schlummert auch am Tage viel, da jede Beschäftigung sie bald übermüdet. Natürlich hat sie in dieser Zeit das Bett nicht verlassen und es werden ihre Kräfte sich auch wohl nur langsam wieder erholen, schwerlich jedoch das ohnehin geringe Maaß wieder erreichen, welches vorher vorhanden war. – Sie war in dieser Zeit in der vollen Erwartung und Gewißheit ihres nahen Endes, dem sie auch schon seit längerer Zeit lebensmüde mit wahrer Sehnsucht entgegensieht, da sie in dem lebhaften Gefühl ihrer großen Hinfälligkeit und Bedürftigkeit auch mit besonderen Schmerzen die Abnahme und Schwäche ihrer geistigen Kräfte wahrnimmt und empfindet. Sie beschäftigte sich viel mit vielfachen Dispositionen und ließ denselben von mir oder von Friederike niederschreiben; es war ihr eine Beruhigung für manche Personen und Dinge noch eine bestimmte Fürsorge zu treffen.
Du wirst nach diesen Mittheilungen geneigt sein, uns darüber Vorwürfe zu machen, daß wir Euch nicht früher Nachricht gegeben haben. Indessen mußten wir nach unseren eigenen Wahrnehmungen und nach dem Urtheil von Böhm eine unmittelbare und dringende Gefahr nicht erkennen, so qualvoll und bemittleidenswerth der Zustand auch war und so sehr die gute Mutter selbst ihr nahes Ende erwartete. Da es auch bald eine bessere Wendung nahm, so mußten wir voraussehen, daß die Krankheit einen langen Verlauf nehmen würde. Ich konnte Dich jedenfalls nicht zu dem Zwecke herzukommen auffordern, um noch den letzten Segensgruß der Mutter zu empfangen, und wenn auch nicht abzuläugnen, daß ihr Zustand in gesteigertem Maaße besorglich war, so würdest Du, im Falle Du wärest herübergefahren, hier 8 und 14 Tage vielleicht verweilt haben, und genöthigt gewesen sein, die Mutter ebenso zu verlassen, wie Du sie angetroffen. Dabei war sie der größten Ruhe sehr bedürftig und Du würdest sie wenig haben genießen können, während Deine Anwesenheit bei ihrer ganzen Gedankenrichtung und Gemüthsstimmung sie sehr erregt haben würde. – In den Feiertagen war schon so wenig eine unmittelbare Gefährlichkeit der Krankheit, daß wir es wagen konnten, nach Potsdam hinüberzufahren, wovon wir allerdings zu jeder Tageszeit leicht zurück gerufen werden konnten.
Es versteht sich von selbst, daß ich Dir sogleich Nachricht geben werde, sobald eine unmittelbare dringende Gefahr eintreten sollte. Dagegen mag ich Dir in der Ferne nicht durch fortlaufende Berichte über die einzelnen geringeren Vorgänge und Veränderungen in dieser so betrübenden Leidensgeschichte eine Qual bereiten, da Ihr doch keine Hülfe bringen könnt. Doch werde ich so oft ich schreibe Dir jedesmal, wie bisher wahrheitsgetreue Mittheilungen machen und der guten Mutter ist es immer wohlthuend, in Euren Briefen einerseits den herzlichen Ausdruck Eurer liebevollen Theilnahme, andrerseits erheiternde Nachrichten von Euch und Euren Kindern zu finden; denn ihr sorgliches Interesse für Alle Einzelnen, was Ihrem Gemüth theuer ist, ist in aller Schwachheit sich immer gleich geblieben. Ich möchte aber hierin die Andeutung einschalten, daß es bei der allerdings vorhandenen Reizbarkeit sie etwas unangenehm berührt, wenn in den Briefen von den fernen Lieben zu lebhafte Hoffnungen Ihrer Besserung und Genesung ausgesprochen werden, da ihr selbst diese Hoffnungen gar zu fern liegen. – Ihre Stimmung ist übrigens jetzt sehr ruhig, und ihres freudigen Glaubens getrost erwartet sie ihren Heimgang in stetiger Hoffnung.
Dabei wollen wir es aber feststehen lassen, daß Du zu Pfingsten1 mit Annchen zu uns kommst, wenn ich Dich nicht früher rufe, was freilich in Gottes Hand liegt. Indessen hat die liebe Mutter eine wunderbare Lebenskraft und ich hoffe wohl, daß sie sich wieder mehr bekräftigen werde. Freilich ist ihr die Sehnsucht nach Erlösung nicht zu verdenken.
An der sorgsamsten Pflege fehlt es ihr, Gott sei Dank nicht, und dies kann Dir, wie uns, eine große Beruhigung sein. –
An dem lieben Brief Susettes hat sie sich sehr erfreut, und sendet Euch und Eurn Kindern die innigsten Grüße. – Auch von Nürnberg erhielt sie mehrere Briefe, die allerdings etwas veraltet waren, durch den Vetter Louis von Schwarz, der sich in Geschäften hier einige Tage aufhielt. Tante Fritz hat die feste Absicht, im Sommer auf längere Zeit hierher zum Besuch und zur Pflege der Mutter zu kommen. Doch müßte die Mutter sich sehr erholen, wenn diese Pflege ihr statt einer Beunruhigung eine Annehmlichkeit sein soll. Doch wollen wir uns deshalb nicht zu früh Sorgen machen. – Friederike wird bald der lieben Susette Weiteres schreiben; mit ihrem Befinden geht es leidlich; ebenso mit den Kindern. – Heute ist ganz Potsdam bei uns2, alle ganz wohl und in gewohnter Lebendigkeit.