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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 15. Juni 1855

Lieber Karl!

Viel Arbeit und manche sonstige Abhaltung haben mich in den letzten Tagen nicht dazu kommen lassen, Dir zu schreiben. Die Mutter war durch Eure lieben Briefe sehr erfreut; in ihrem Befinden ist eine wesentliche Veränderung nicht eingetreten. Allerdings war sie in der Woche nach Deiner Abreise2 mehr leidend und angegriffen; der Appetit sehr schlecht, öftere Diarrhoe und der Husten mehr beängstigend. Dagegen ist in dieser Woche manche Erleichterung eingetreten; das Fieber ist nicht wiedergekehrt und der Husten mäßig; doch läßt die Verdauung noch immer viel zu wünschen übrig.

Die Tante Fritz erwarten wir am nächsten Dienstag3 oder Mittwoch; wie ich Dir schon im letzten Brief4 schrieb, war ihr Verlangen nach der Schwester bei der Mutter so dringend geworden, und wurde sie bei unablässiger Beschäftigung mit dieser Angelegenheit durch die beabsichtigte Verzögerung so schmerzlich bewegt, daß es Unrecht gewesen wäre, wenn wir darin noch länger in irgend einer Weise entgegengetreten wären, und schrieben wir beide daher an die Tante Fritz unter Mittheilung der näheren Verhältnisse, daß sie, wenn es ihre Gesundheit und sonstigen Umstände gestatteten, und da sie doch die Absicht habe, zur Pflege der Schwester zu kommen und ihr dies Opfer zu bringen, nach dem Wunsche der Mutter schon in diesem Monat kommen möchte. Sie erklärte sich darauf umgehend bereit, sogleich abzureisen und wollte nur noch eine weitere Nachricht von uns abwarten. In Folge des weiteren Schriftwechsels wird sie nun vermuthlich am Montag5 oder Donnerstag6 abreisen, und am folgenden Tage hier eintreffen. Wir erwarten noch die letzte Nachricht.

Für die häuslichen Verhältnisse bei der Mutter erscheint es mir jetzt doch in zweiter Hinsicht recht erwünscht, daß die Tante Fritz einen Theil der Pflege der Mutter übernimmt und endlich die Marie Tanner in ihrer Aufgabe erleichtert, welche doch bei selbst angegriffener Gesundheit und bei den zunehmenden Bedürfnissen der Mutter sowohl bei Tag, als bei Nacht, anfängt mürbe zu werden und einiger Schonung bedürftig erscheint. Hoffentlich werden sich bei persönlichem Zusammenleben auch Alle untereinander zu einigem Verständniß vereinigen.

Vorhin ist Frau von Klitzing mit Röschen zurückgekehrt und will den Abend bei uns zubringen. Ich lasse daher dise Zeilen abgehen, damit Ihr nicht länger auf Nachrichten warten müßt. In meinem Hause ist, Gott Lob, alles wohl. Friederike bekommt ihr Brunnen bis jetzt ganz gut, und ich bade des Morgens täglich in der Spree bei den Haloren, was mich trotz der Hitze sehr erfrischt und belebt, während ich in der letzten Zeit etwas herunter und gedrückt war.

Herzliche Grüße von Friederike und den Kindern an Euch Alle
Dein
Immanuel