Die gute Tante Fritz ist am vergangenen Mittwoch1, Vormittag, glücklich hier eingetroffen; sie war in einer Tour von Nürnberg durchgefahren, hatte in Leipzig nur wenige Stunden geruht und war dessen ungeachtet ganz frisch. Wir freuten uns über ihr gutes Aussehen, und ich finde, daß sie der seligen Großmutter in deren höherem Alter ähnlich geworden ist, wenn diese auch wohl noch einen kräftigeren Ausdruck und vollere Züge hatte. – Sie hat unsere liebe Mutter freilich sehr verändert gefunden und sich ihrer Pflege mit ganzer Liebe hingegeben. Das erste Wiedersehen war sehr herzbewegend; doch stellte sich bei der Mutter bald ihre gewohnte Stimmung wieder her und auch die gute Tante sorgte mit größter Sorgfalt für die Ruhe der Kranken. Der Tante ist es dabei sogar aufgefallen, daß sie das theilnehmende Interesse an allen Einzelheiten in dem Nürnberger Leben und Verwandtenkreis bei ihr in viel geringerem Maaße, als sie es erwartet, gefunden, wie wir es auch nicht sonst in Abrede stellen können, daß ihre Erinnerung und überhaupt die Kraft ihres Geistes und Gemüths in ihrem traurigen Leidenszustand sehr geschwächt ist.
Wir mußten nun unter den jetzigen Umständen die Ankunft der Tante als eine höchst glückliche Fügung begrüßen, da Marie den wachsenden Erfordernissen und Anstrengungen der Pflege, bei ihrer eigenen Kränklichkeit nicht mehr gewachsen ist. Die Schwäche nimmt täglich zu und damit werden auch ihre Leiden namentlich der Husten quiekender und angreifender. Ihre Verdauung ist auch fortdauernd sehr gestört; sie nimmt nur wenig zu sich und wird von dem Wenigen durch Auftreibung des Leibes belästigt. In den letzten Tagen war auch der Hals sehr affizirt2 und konnte sie nur leise sprechen. Es ist ein Bild des Jammers und wir können in diesem Zustand von Gottes Barmherzigkeit nur ihre baldige Erlösung erflehen. Doch ist ihre wunderbare Naturkraft immer noch eines erstaunlichen Widerstandes fähig. Abgesehen von der Qual des Hustens scheint sie auch nach ihrer Versicherung ihr körperliches Leiden nicht so schwer zu empfinden, und in ihrem Gemüthe tröstet sie sich, indem sie einzelne tröstliche Sprüche der Heiligen Schrift in sich bewegt, der Liebe und der Barmherzigkeit des Heilandes, der auch als treuer Hirte sie auf seiner Schulter trägt und ihr die ewige Seligkeit verheißen hat. Dieser Trost und Frieden ihres Glaubens ist für uns alle ein Trost und eine erhebende Stärkung bei dem Anblick der leidenden und kümmerlichen Hülle, die sie noch zu tragen hat.
Eine weitere Prüfung ist augenblicklich dadurch hinzugetreten, daß die gute Tante durch eine Erkältung sich einen heftigen Katarrh zugezogen; sie hatte schon am Sonntag3, als sie bei uns zu Mittag war, einen heftigen Husten und eine starke Heiserkeit und hat sowohl heute, wie gestern das Bette hüten müssen. Doch ist es nach Böhms Versicherung nur ein starker Katarrh, so daß wir hoffen, sie werde vielleicht schon morgen wieder aufstehen können. Für sie ist es eine schwere Prüfung, die sie aber mit großer Geduld und Ergebung erträgt, wie sie überhaupt durch ihre große Herzensgüte und anspruchslose und hingebende Liebe unser ganzes Herz gewonnen hat. Es ist wahrhaft rührend die beiden Schwestern in den 2 Stuben nebeneinander liegen zu sehen, und wir wollen nur wünschen, daß Marie und Rose sich aufrecht erhalten.
Von dem Unwohlsein der Tante bitte ich Euch nach Nürnberg nichts zu melden, weil dis dort zu großer Beunruhigung gereichen würde, und wir doch die Hoffnung haben, daß dies bald vorübergehen werde.
Susettes lieber Brief ist heute morgen angekommen und auch die Mutter hat sich an den guten Nachrichten von Euch und dem Wohlbefinden der lieben Kinder sehr erfreut. Sie sendet Euch ihre herzlichsten Grüße und Seegenswünsche.
Friederike wird in diesen Tagen Euch bald wieder Nachricht geben.
Eine ernste Sorge macht uns jetzt auch mein Schwager Theodor, dessen Augenleiden sehr bedenklich ist und welcher sich jetzt hier in die Graefesche Klinik begeben hat, um, da die anderen früheren Kuren nichts geholfen, die Zittmannsche Kur zu gebrauchen.
Gott sei Dank, daß in meinem Hause Alles wohl ist.