In den letzten Tagen hat die Schwäche der theuren Mutter fortschreitend zugenommen, und ihre Züge sind so eingefallen, da sie schon von der Hand des Todes berührt erscheinen. Heute Nachmittag hat sie auf ihr dringendes Verlangen noch das heilige Abendmahl in Gemeinschaft mit uns empfangen, und daraus für die letzten Lebensstunden neuen Trost und neue Kraft geschöpft. Da Knack verreist ist, so wurde der alte Goßner darum gebeten, der in seiner kräftigen Weise ihr seinen Zuspruch und seinen Segen gab. Nach Böhms Meinung kann sich der Kampf möglicher Weise noch einige Tage fortsetzen; doch ist es ebenso möglich, daß ihr Ende sehr bald und plötzlich eintrete; er ist jedoch überzeugt, daß ihre Seele im sanften Schlummer ohne heftigen Kampf hinübergehen wird; ihre Natur kann keinen Widerstand mehr leisten; die völlige Entkräftung wird ihrem Leben ein Ende machen. Ihr Athem ist zwar beschwert, doch ist dies nicht mit qualvoller Beängstigung verbunden. Im Ganzen war ihr Zustand in der letzten Zeit ziemlich erträglich; nur ist jetzt leider durch die große Schmerzhaftigkeit des wund gewordenen Sitzknochens am Rückgrat eine qualvolle Beschwerde hinzugetreten und es wird von den lieben Pflegerinnen alle Sorgfalt darauf verwendet, daß dieselbe vermieden und ihrer Zunahme vorgebeugt werde. Auch ist es ihr greulich, daß sie nur mit Anstrengung sprechen kann; man muß sich nahe zu ihr hinbeugen, um sie verstehen zu können. Dagegen ist ihr Gehör nicht geschwächt und ihr Auge, wenn auch der Blick meist sehr weit und gebrochen erscheint, klar und kräftig.
Für uns alle ist vor Allem der Frieden, der in ihrem Gemüthe herrscht, tröstlich und erhebend. Sie erwartet zugleich den Tod, als einen Friedensboten, der ihr die Erlösung bringt; darauf sind ihre Gedanken gerichtet in voller Freudigkeit und kindlicher Ergebung, ohne alle Trübung und Unruhe. Alle sonstigen Sorgen hat sie abgethan und läßt sich ihre Stille und ihren Frieden dadurch nicht mehr stören. Ihr Bewußtsein ist dabei vollständig klar, und in ihrem Gedächtnis sind eine große Zahl von Bibelversen und Liedern lebendig, die sie bezeichnet und sich vorspricht oder vorlesen läßt.
Auch in anderen äußeren Dingen trifft sie mit einer Bestimmtheit, wenn sie darauf etwa ihre Aufmerksamkeit hinwendet, Anordnungen, welche uns in Erstaunen setzen und uns die Ueberzeugung geben, daß bei aller Schwäche doch ihr Verstand noch in vollster Klarheit geblieben ist. Heute Vormittag sah sie noch meine Kinder und gab ihnen ihren Seegen. Es ist für mich unendlich rührend und bewegend, ihren freundlichen Liebesblick zu empfangen, wenn ich an ihrem Bette sitze; er hat die ganze Fülle ihrer treuen Mutterliebe, und ihrer Seegenswünsche. Wie traurig ist es für Dich, lieber Karl, daß Du dies nicht mit mir theilen kannst, und in der Ferne nur den Schmerz und die bange Unruhe über diese Leidenstage der theuren Mutter tragen mußt. Ich empfinde mit Dir, wie schwer es ist, in solchen Tagen getrennt zu sein. Doch kannst Du Dich auch getrösten, noch die letzten Tage mit ihr verlebt zu haben1, und selbst wenn es Deine Verhältnisse gestatteten, daß Du jetzt noch zu uns eiltest, so möchte ich es nicht für unbedenklich halten, der guten Mutter in diesem letzten Augenblicke noch das schmerzliche Wiedersehen zu bereiten. Sie nimmt auch selbst an, daß Du für dieses Leben von ihr Abschied genommen, und sprach sich darüber aus, daß Dir nicht geschrieben werden möchte, noch herzukommen, um von ihr von Neuem Abschied zu nehmen. Ob Du es möglich machen kannst, wenn Gott sie abgerufen hat, mit mir gemeinschaftlich ihre leibliche Hülle zur Ruhe zu bestatten, vermag ich nicht zu beurtheilen und möchte Dich darin auch nicht bedrängen; doch würde es mir freilich wirklich sehr lieb sein.
Die gute Tante Fritz, welche wieder ganz wohl ist, widmet sich in Gemeinschaft mit der lieben trefflichen Marie mit liebevollster Hingebung der Pflege der theuren Mutter und wir müssen es als eine glückliche Fügung jetzt dankbar preisen, daß sie zu unserer Hülfe gekommen ist. – Friederike verweilt am Tage mal drüben und sucht sie darin zu unterstützen.
Herzliche Grüße der lieben Susette.
P. S. Die Anlage2 schicke an die …3: Die Mutter hat sich ihrer noch erinnert, und will ihr noch für ihr Täschchen, die sie ihr zurückgelassen, ein paar Thaler, die darin liegen, schicken.