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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 24. August 1855

Lieber Karl!

In der letzten Zeit ist unsere Tätigkeit in der Auflösung der des Nachlasses und der Häuslichkeit der theuren Mutter im Ganzen schwach gewesen. Friederike war vom 14ten dieses Monats bis gestern in Potsdam gewesen; ich besuchte sie dazwischen drüben und hatte dabei reichlich zu arbeiten. Doch hat es an einigen Fortschritten und mancherlei kleinen Besorgungen nicht gefehlt. Nachdem wir die uns zugetheilten Meubel von Brennig1 haben aufpoliren lassen, sind mehrere derselben zu uns herüber geschafft und auch die Bilder aufgehangen worden. Letztere machen sich recht vortheilhaft. Das Schlesingersche Bild des Vaters2 hängt über meinem Schreibtisch. Uebrigens finde ich mich verpflichtet, den Rahmen zu diesem Bild allein zu bezahlen, da es doch zugleich ein Schmuck meiner Wohnung ist und Du ohnehin an den Verpackungs- und Transportkosten für Deine Sachen reichlich zu tragen hast. Der Schreibtisch der seligen Mutter steht in meiner Stube am Ofen und habe ich darin die Papiere und Briefschaften der Eltern im Ganzen geordnet untergebracht. Die Manuskripte des Vaters allein füllen die 3 großen unteren Schubladen. Die Absendung Deiner Sachen werden wir nun nächstens vornehmen, da uns Marie Tanner und Rosa wenigstens zeitweise jetzt verlassen werden. Marie Tanner ist von Pastor Biedermann in Pyritz, wo die Luise Fisoner sich aufhält, dringend gebeten worden, zur Pflege der Elise hinzukommen, welche ihrem Ende rasch entgegenzugehen scheint und sich sehr elend befindet. Wir konnten ihren Entschluß, der armen Elise Hülfe und Trost zu bringen, nicht entgegen sein, da ihre Gesundheit sich jetzt gebessert hat und nach dem letzten „Nein“ des Looses3 ihre Lage und ihre Stimmung es ihr zum Bedürfnis macht, eine Thätigkeit zu übernehmen. Sie reist schon morgen, wird aber jedenfalls nicht länger als bis Ende September bleiben, da sie dann sich gegen Knak verpflichtet hat, die Leitung des neu begründeten Siechenhauses zu übernehmen. – Rosa wünscht ihre Mutter bei Sorau zu besuchen und wird auch, sobald wir Deine Sachen abgesandt haben, auf kurze Zeit dorthin gehen. Ueber ihre weitere Zukunft hat sich noch nichts bestimmen lassen; von Neuwied bleibt Alles stille; dagegen hoffen wir, daß sie auch im Siechenhause ein Unterkommen finden werde.

Zunächst werde ich nun Deine Bilder von dem früher gedachten Vergolder Schulze4 verpacken lassen, inclusive der Stehuhr. Dazwischen packen wir dann die kleinen Sachen in die Schränke, Spinde etc., und wird der Transport zur Eisenbahn sich rasch bewerkstelligen lassen. Deine Anwesenheit dabei scheint in der That nicht erforderlich zu sein, wenn sie uns auch sonst sehr angenehm wäre und uns, abgesehen von der Mühe, besonders in der Verantwortlichkeit bei Verpackung etc. erleichtern würde. Doch steht das Opfer, das Du bringen müßtest, dazu in gar keinem Verhältniß, selbst wenn Du als Gevatter von Schwerin herüberfahren könntest. Ich kann daher nur wünschen, daß Du Dir deshalb keine Beschwerden und Unkosten machen möchtest, und wir wollen es, so gut es geht, fertig bringen. Mit der Eisenbahn ist es mir freilich etwas bange, ob ich mit Hülfe von Trinkgeldern so glücklich wie Dr. Veit sein werde. – Was den braunen Sopha anbetrifft, so haben wir denselben schon vom Tapezier Braun5 überziehen und fertig machen lassen.

Von Skalley habe ich 6 ein Darlehen erhoben, da es bei meiner Kasse zur Neige ging und der Alte gab mir gleich 50 thaler, damit ich auch zu meiner Reise Geld hätte. Was letztere anbetrifft, so kann ich jedenfalls nicht vor Mitte September loskommen und wünsche dann im Gebirge mich zu ergehen. So gern ich auch Euch in Rostock besuchen möchte, so ist es mir doch für meine Erholung und Bekräftigung ein dringendes Bedürfnis, mich in freier Natur zu bewegen, da ich wegen der späten Jahreszeit auf das Seebad verzichten muß. Vorläufig denke ich an den Harz; doch kann sich das wohl noch verändern. Vielleicht nehme ich auch Friederike mit wenn ihr Befinden es gestattet; mit diesem geht es jetzt leidlich, abgesehen von einer vorherrschenden Neigung zu Kopfweh; sie trinkt noch ihren Brunnen.

Am 15ten dieses Monats war der Geburtstag7 der Mutter Flottwell, der drüben8 festlich begangen wurde. Es verweilte zu dieser Zeit in der Familie auch mein Schwager Eduard aus Danzig mit seinen beiden Knaben. Derselbe hat jüngst seine Frau verloren; er ist jetzt Photograph und hat uns alle photographirt. Am vergangenen Sonntag9 war auch Trinkler aus Magdeburg mit seiner Marie drüben. Theodor und Hermann werden aus Gastein in der nächsten Woche erwartet; dem ersteren soll das Bad gut bekommen; ob aber die Sehkraft sich wieder herstellen wird?

Aus Nürnberg haben wir einen sehr lieben Brief von Tante Marie und Deiner Schwägerin Luise erhalten und gestern auch von Tante Fritz, welche sich über unser allerdings ungebührliches Stillschweigen die seltsamsten Skrupel gemacht, so daß wir sofort ihr beruhigend Nachricht geschrieben haben.

Damit Du nun nicht zu lange auf die Lithographie zu warten hast, sende ich Dir hiermit die gewünschten 6 Exemplare, und bin ich überzeugt, daß Dir das Bild auch eine wohlthuende Vergegenwärtigung des Verewigten sein wird.

Die herzlichsten Grüße der lieben Susette und Deinem Annchen; ich wünsche von Herzen, daß das Seebad ihr gut bekommen möge. Wirst Du nicht auch noch etwas zu Deiner Erholung unternehmen.

In herzlicher Liebe Dein Immanuel