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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 3. September 1855

Lieber Karl!

Heute Vormittag habe ich nun Deine Sachen zur Eisenbahn spedirt und ich wünsche von ganzem Herzen, daß sie wohlbehalten bei Dir ankommen mögen; an Geld und guten Worten habe ich es auf der Eisenbahn nicht fehlen lassen; ich vertheilte 1. Anliegend sende ich Dir den Schlüssel zum Schreibsekretär, in welchem Du die anderen Schlüssel findest; die beigefügten Bemerkungen geben über Einzelnes der Verpackung näheren Aufschluß; im Uebrigen müßt Ihr Entdeckungsreisen machen und besonders alles mit Nachsicht beurtheilen.

Für 40 th war eine Meubelwagen nach Rostock nicht zu beschaffen; es wurde an 60 th gefordert; da verblieb ich dann bei der Eisenbahn: Schreibe mir doch bald, wie die Sachen angekommen und was Du an Fracht hast erlegen müssen. Wir haben heute Morgen auch mit dem Meubelwagen unsere letzten Sachen herüberschaffen lassen, so daß jetzt die Wohnung der lieben Mutter drüben fast ganz leer ist, bis auf die Sachen der Rosa, und die fürs Siechenhaus und die verschiedenen Hausarmen bestimmten.

Rosa wird nun zu ihrer Mutter nach Kunzendorf voran gehen und dort den Winter bleiben; die Mutter bedarf ihres Beistandes und sie kann auch dort etwas verdienen. Nicht weit davon liegt Gnadenberg, wo sie sich dann in der Brüdergemeinde umsehen kann, ob sich da ein weiteres Unterkommen finden wird. Auch entwickelt sich später das Siechenhaus wohl in solcher Weise, daß sie dort auch eine Aufnahme finden und dabei noch nützlich sein kann.

Von Marie Tanner kam gestern die Nachricht, daß Luise Fisoner nach schwerem Kampf am 31sten vorigen Monats in Pyritz gestorben ist.

Es naht sich nun auch der Termin, da ich auf Urlaub gehen kann; das wann steht fest, daß ich hinaus muß, denn ich bedarf nothwendig der Stärkung, Ruhe und Erholung; ich möchte so angegriffen, wie ich jetzt bin, nicht in den Winter hineingehen; worin es liegt, weiß ich eigentlich nicht recht; doch mögen es wohl nur die Nerven sein. – Damit verbindet sich der Wunsch, mit meiner Frau zusammen ins Gebirge zu ziehen, da ihr vielleicht ein solcher Aufenthalt heilsam sein kann, und es mir bei dem eingetretenen Herbst wohl sehr einsam und langweilig sein würde, wenn ich mich irgend wo allein niederlassen wollte. Da ist nun Friederike auf den Gedanken gekommen, daß wir nach Simmelsdorf gehen sollten, wenn Deine Schwiegereltern die nächsten Wochen dort zubringen; an Unterhaltung würde es uns nicht fehlen; namentlich wäre sie geborgen, wenn sie nicht ganz wohl ist und das Haus hüten müßte und ich kann in Berg und Thal mich ergehen. Unstreitig wäre das am Schönsten und besten. Ich mache mir aber in der That nur Sorge darum, die Gastfreundschaft Deiner lieben Eltern so oft und so viel in Anspruch zu nehmen und bitte Dich daher lieber Karl, mir ganz aufrichtig Deine Meinung darüber zu sagen. Sonst hatte ich bisher immer gedacht, mir am Harz oder in Thüringen ein gemüthliches Plätzchen auszusuchen.

Dabei jedoch ist mir Deine liebenswerte Aufforderung, daß wir noch in diesem Herbst mit unsren Frauen auf halbem Wege zusammenreffen möchten, so nahe getreten, und hat das Verlangen, disen Plan auszuführen, in mir so rege gemacht, daß ich Dir das Anerbieten mache, mit Euch in Schwerin beim Beginn meines Urlaubs zusammenzutreffen. Wenn auch Friderike mit mir nicht weiter reisen sollte, so würde sie doch diese Tour unternehmen und ich sie dann nach Berlin zurückbringen. Später wie den 15ten dieses Monats möchte ich nicht gern reisen, glaube aber auch kaum, daß ich früher mich losmachen werde. Indessen kommt es nicht auf einen Tag an, wenn die Ausführung davon abhängt. Wann ist nun aber Eure herzogliche Taufe?2 Ich würde den Aufenthalt in Schwerin auf circa 2 Tage berechnen.

Die Kinder sind, Gott sei Dank, recht wohl. Mutter Flottwell war in dieser Woche mehrere Tage bei uns, da der Vater auf Dienstreise war und Clara bei 3 in Schlesien zum Besuch ist. Die Brüder aus Gastein werden jetzt täglich von uns erwartet.

Marie und Willi übergaben mir die beiden anliegenden Briefe4 an Annchen; Willis erste Versuche als Briefversender sind allerdings sehr schwach; er wird nun in disem Herbst in die Schule gebracht werden.

Die herzlichsten Grüße der lieben Susette und mit den treuesten Wünschen

Dein
Immanuel