ich habe Dir noch meinen innigsten Dank auszusprechen für die liebevollen und tröstenden Worte, die Du mir bei dem unersetzlichen Verlust meiner zu Gott heimgegangenen theuren Mutter1 unterm 21. Juli geschrieben hast.2 Du selbst hast meinen Verlust, der ja auch Dich so nahe betrifft, tief mitempfunden und hast den hohen Werth der Seligen ganz verstanden. Sie hat bei Allen, die sie kannten, auch bei denen, die sie nur von ferne kannten, ein Andenken von Liebe zurückgelassen und ist mit ihrem Gott ergebenem Leben in unermüdlicher Thätigkeit und Aufopferung für Andere, aber auch in ihrem freudigen Leiden und seligen Sterben für Viele ein leuchtendes Vorbild geworden: Vor Allem für uns, ihre Kinder, deren ewiges und zeitliches Wohl ihr selbst am meisten am Herzen lag, wie sich dies noch so rührend in den letzten Abschiedsworten aussprach, die ich von ihr, als ich in der Woche nach Pfingsten3 sie zum letzten Mal besuchte, empfing: Unvergeßlich werden sie mir bleiben. Theure Erinnerungen anderer Art, die mir die Selige und ihre Umgebung hienieden beständig vergegenwärtigen, sind uns in diesen letzten Wochen zugekommen und schmücken zum Theil unsere Zimmer. Zuerst ihr wohlgetroffenes Bild, das auch Euch, wie die liebe Mutter schreibt, so hoch erfreut hat; dann eine Anzahl von Gemählden und Kupferstichen, die ich in ihrer Wohnung und Umgebung zu sehen, seit so lange gewohnt war; ferner reichliches Mobiliar, womit besonders unser großes Zimmer oben und die Gaststube daneben eine vollständigere Ausstattung erhalten haben; dazu Betten, Wäsche, Hausgeräth aller Art, was für die Wirthschaft willkommen ist. Zum Glück sind alle diese Sachen, durch Manuels und Friederikens Sorgfalt, wohlbehalten mit der Eisenbahn hier angekommen, und indem sie hier gleichsam eine neue Heimat gefunden haben, machen sie auch uns die Wohnung und die Häuslichkeit, die zum Theil nur wie eine Fortsetzung der elterlichen, mir seit meiner Kindheit lieb gewordenen erscheint, um vieles heimlicher. –
Manuel und Friederike sind nun seit vorgestern von Berlin abgereist, um zunächst Freunde in Thüringen zu besuchen und dann noch einen Aufenthalt im Gebirge zu machen und vielleicht zuletzt noch zu Euch nach Nürnberg zu kommen. Recht schade ist es, daß es sich für dies Mal mit einem Aufenthalt in Simmelsdorf nicht machen lassen wollte: wie gerne hätte ich den den lieben Geschwistern gegönnt! Doch wird es ihnen sicherlich auch in Thüringen gefallen, wenn nur das Wetter günstiger werden wollte, als es bisher, wenigstens bei uns, gewesen ist. Hier ist es seit einer Woche ganz abscheulich, immer Regen und Wind und eine Temperatur von 10 Grad. So sind wir für unseren Theil, da wir einmal nicht zu Euch nach Nürnberg kommen können, ganz zufrieden, in unsrem gemüthlichen Hause daheim zu bleiben. Einen Augenblick zwar, als das Wetter zu Anfang dieses Monats noch so schön und warm war, faßte Susi mit Lebhaftigkeit den Gedanken auf, noch auf 14 Tage nach Warnemünde zu ziehen. Allein dagegen waren doch auch manche Bedenken, die Sachen von Berlin wurden erwartet, und die Abende wurden länger und kühler, und jetzt wäre es drüben nicht zum Aushalten. Einen kurzen Ausflug jedoch haben wir uns noch vorbehalten. Zu Anfang October werde ich in Deputation der Universität4 zu den Tauffeierlichkeiten des Hofs – es ist vor einigen Wochen ein Prinz geboren5 – nach Ludwigslust reisen6; auf dem Rückwege will ich Susi in Schwerin empfangen und mit ihr dort einen oder zwei Tage verweilen, je nachdem das Wetter ist und sie es über sich vermag, die Sorge wegen der zurückbleibenden Kinder zu unterdrücken: nur Annchen dürfte vielleicht mitgenommen werden; die beiden andern aber müssen unter Lottens Obhut bleiben. Gottlob sind die Kinder ganz wohl, auch jetzt wieder Mariechen, nachdem es die Impfung und ein starkes Blutgeschwür auf dem Rücken, darauf noch ein kurzes, eigentlich nur eintägiges Unwohlsein mit Erbrechen glücklich überstanden hat. Ännchen läßt nicht ab, sich in aller Liebenswürdigkeit glücklich zu entwickeln und das zarte Luischen zeigt bei reichlichem Regen doch auch wieder um so lieblicheren Sonnenschein. Damit ich auch von meiner guten Frau noch etwas sage, obwohl sie wohl selbst von sich Nachricht gegeben hat, so wird allgemein bemerkt, daß ihr das Seebaden recht zuträglich gewesen ist; sie sieht frischer aus und fühlt sich auch kräftiger als zuvor. Mit häuslichen Dingen war sie in der letzten Zeit viel beschäftigt, mit Einmachen, Einräumen usw. Jetzt versorgen wir uns schon, so gut es geht, für den Winter. Man ist allgemein recht besorgt wegen der immer zunehmenden Theuerung. Diese betrifft alle Artikel des gewöhnlichen Verbrauchs, die seit 2–3 Jahren durchschnittlich um ⅓, theilweise noch mehr, im Preise gestiegen sind. Besonders das Brennmaterial ist jetzt schwer zu haben, da der Torf, auf den wir zum großen Theil angewiesen sind, bei dem nassen Sommer nur in viel geringerer Menge als sonst gewonnen worden ist, und die dadurch entstandene größere Nachfrage nach Holz auch dieses bedeutend vertheuert hat. Auch die Kartoffeln, unser wesentliches Nahrungsmittel, sind zwar nicht mißrathen, aber spärlicher und kleiner, und gegen das vorige Jahr wieder um die Hälfte des Preises aufgeschlagen. Am besten berathen scheinen unter diesen Umständen unsere großen Gutsbesitzer, welche mit dem Geld buchstäblich nicht mehr zu bleiben wissen, weil sie nur noch schwer Hypotheken finden und andere Papiere zu kaufen nicht gewohnt sind: der Zinsfuß für jene ist je nach der Sicherheit 3 und 3 ½, höchstens 4 pro Cent. Wenn gleich ich nun nicht in der glücklichen Lage eines Gutbesitzers bin, dem die liebe Natur fast umsonst zu gewähren scheint, was wir mit immer schwererem Gelde erkaufen müssen, so habe ich doch vor einiger Zeit Gelegenheit gefunden, mich an einer Art von Bodengewinn zu betheiligen. Es hat sich nämlich eine Actiengesellschaft gebildet zur Ausbeutung eines Braunkohlenwerks in unserem Lande, zu Malliß, unweit Dömitz und der Elbe. Meine Collegen Schultze und Karsten, aufgefordert, derhalben zu untersuchen, gaben ein sehr günstiges Erachten darüber ab und betheiligten sich selbst mit einer Anzahl Actien, was mir gleichfalls Lust machte, einige solche zu zeichnen. Da ich aber bei dem eben nicht günstigen Stand der Curse meiner Werthpapiere nicht geneigt war, deren zu verkaufen, so sprach ich mit Susi und stellte ihr vor, ob sie nicht einen Theil ihrer Altersgelder daran setzen wollte, um uns davon für unsere Kinder eine recht ausgiebige Rente – nach einem freilich allzu sanguinischen Plan werden über 20 pro Cent versprochen – zu verschaffen. Sie war damit vollkommen einverstanden, und so habe ich bereits die von Dir gütigst an die Brüder Flottwell auf meine Rechnung ausbezahlten ersten 80 thaler oder 140 GGulden dazu verwandt. Dein freundliches Anerbieten, in diese 140 Gulden schon die 40 Gulden erst am 1. November fälliger Zinsen mit einrechnen zu wollen, kann ich nur mit Dank annehmen. Nun schreibt mir Manuel vom 13. dieses Monats, daß ihm Vater Flottwell noch 122 thaler gegeben, welche Du ferner für seine Söhne in Gastein ausgelegt hast, wovon er (Manuel) auch Dich bereits benachrichtigt und Dich gebeten habe, diese 122 thaler auf mein Conto zu bringen; denn er selbst kann das Geld gerade zu seiner Reise brauchen. Ich bedarf dessen zwar für jetzt noch nicht, gewiß aber zu Weihnachten, wo eine neue Einzahlung auf die erwähnten Actien erforderlich sein wird: bis dahin werde ich das Geld ohne Zweifel von Manuel empfangen. Einstweilen findet das Unternehmen, welches erst im nächsten Jahre bis zum Winter hin in vollen Betrieb gesetzt werden kann – denn es sind erst noch Bohrversuche zu machen, eine Dampfmaschine zur Entwässerung herzustellen und eine gute Fahrstraße von ¼ Meile bis zum Fluß (der schiffbaren Elde, welche bei Dömitz in die Elbe fließt) zu erbauen – bei den Capitalisten so guten Glauben, daß bereits 7 pro Cent Agio für die mit 20 proCent eingezahlten Actien geboten werden.
Was die 1000 fllorin Eisenbahn Obligationen betrifft, welche von meiner seligen Mutter auf mich übergegangen sind, so bitte ich Dich, diese ferner unter Deine Obhut zu nehmen. Die Auswechslung gegen …7 alte Staatsschuld, welche Du wegen der passenderen Verfallzeit der Zinsen empfiehlst, würde mir ganz lieb sein, wenn die Cursdifferenz nur unbedeutend wäre. An Capitalien habe ich aus der Hinterlassenschaft meiner seligen Mutter sonst noch empfangen: 1700 thaler in einer Gutshypothek und 175 thaler in Eisenbahn- und Staatspapieren, mit Hinzurechnung jener 1000 florin8 im Ganzen 2350–2400 thaler, woraus sich meine Jahres Einnahme um circa 100 thaler verbessert. –
Susi läßt für heute bestens grüßen und wird nächster Tage selbst schreiben. Augenblicklich hat sie einen Brief an Lina unter Händen. Ich grüße die liebe Mutter und alle Kinder herzlichst und wünsche, daß ihnen der Muggendorfer Aufenthalt recht wohl bekommen sein möge. Mit großer Freude habe ich vernommen, daß der Gebrauch des Bades Dir so wohl gethan hat, und wünsche ich von ganzem Herzen, daß die Affection9 des Halses für immer gehoben sein möchte. Den lieben Großeltern bitte ich mich in aller Verehrung und Liebe zu empfehlen. Ihre getreue Haushälterin wünschte ich wohl wieder ein Mal bei uns zu haben, wenn sie bei Euch zu entbehren sein wird. Vermuthlich wird die gute Luise, unsere besondere Freundin, sie zunächst ablösen. Ich danke ihr noch für die warme Einladung nach Simmelsdorf, welche uns freilich nur als ein liebenswürdiges Phantasiestück erschien: denn mit drei Kindern ist solche Reise immer schwer und mit einem halbjährigen ist sie ohne Noth gar nicht zu wagen; das bringt eine so heißblütige leichte Jugend noch wenig in Anschlag. Ich grüße herzlichst meine liebe Lina und ihren Friedrich, Ferdinand und seine liebenswürdige Schwäbin10. Ich grüße ferner von ganzem Herzen und mit innigster Dankbarkeit für ihre uns bewiesene Liebe meine gute Tante Fritz und die Ihrigen, insbesondere Kieser und die liebe Auguste. Ich grüße endlich den ganzen Kreis meiner lieben Anverwandten, die ich so gerne wieder einmal in der Nähe begrüßte, und empfehle mich ihrem freundlichen Andenken wie Deiner und der lieben Mutter elterlichen Liebe, als
P. S.
Lieber Vater, mit herzlichen Grüßen will ich noch in dieser kleinen Beilage11 vermelden, daß ich des von Manuel an mich für Deine Rechnung bezahlten Geldes zum Betrage von 122 thaler, welche Du an die Brüder Flottwell in Vorschuß gegeben, früher benöthigt gewesen bin als ich dachte, da unerwartet eine Einzahlung von 150 thaler auf die Bergwerks Actie eingetreten ist. Diese 122 thaler bitte ich Dich von Susi‘s Altersgeldern abzurechnen, etwa mit 200 Gulden vom Capital, den Rest von 13 ½ Gulden von den Zinsen. Die Gasteiner Reise hat, nebenbei gesagt, für die Brüder Flottwell den Erfolg gehabt, daß der Augenleidende Theodor zwar im Übrigen gestärkt, an seinem eigentlichen Übel aber um nichts gebessert ist, dagegen der gesunde Hermann eine dort gemachte Bekanntschaft mit einem reichen Fräulein von Franzius aus Danzig bis zur Verlobung fortgesetzt hat. – Uns geht es hier, wie Susi des Ausführlichen berichten wird, Gottlob Allen wohl, und sind auch die Kinder noch frei von Husten, der sonst in der Nachbarschaft überall stark grassirt. Unser kurzer Ausflug nach Schwerin ist ebenfalls ganz gut gelungen, da er vom Wetter begünstigt war, und Schwedens nahmen uns sehr freundlich bei sich auf. Auguste Schweden wird nächstens zum Besuch zu uns kommen, da wir einmal keine von den Schwestern aus Nürnberg haben können. – Tausend Grüße an die liebe Mutter, Kinder und Eltern d. i.: unsere lieben Großeltern. Mögest Du Dich, lieber Vater, recht gesund erhalten!