Friedrichrode bei Gotha
im Schweizerhause, den 18ten September
1855.
Lieber Karl!
Deinen freundlichen Brief vom Freitag haben wir am Sonntag morgen in Gotha empfangen und danken Dir herzlich für Deinen treulichen Beirath bei den mancherlei Schwierigkeiten und Bedenklichkeiten, die sich unserem Reiseentschluß entgegenstellten. Doch sind wir nach Berathung mit Stavenhagen, welche der Oertlichkeiten und Herbergen in Thüringen sehr kundig sind, bei Friedrichroda verblieben, und glauben wir, nachdem wir nun hier 2 Tage zugebracht haben, mit dieser Wahl sehr zufrieden sein zu können. – Unsere Reise hierher ist recht glücklich von Statten gegangen; am Freitag um 10 Uhr Vormittags brachen wir von Berlin auf, übergaben in Potsdam unsere Kinder den Großeltern, verblieben auch dort den Mittag und fuhren um 5 Uhr nach Magdeburg ab, wo uns Trinkler am Bahnhof empfing und uns in seinem Haus eine sehr gastliche und angenehme Aufnahme bereitete. Um 11 Uhr den anderen Vormittag setzten wir die Reise über Halle nach Gotha bei sehr schönem Wetter fort, und wurden auf der ganzen Fahrt, indem uns der Schaffner wohl für ein junges Ehepaar hielt, in unserem coupé allein gelassen. In Gotha begrüßte | uns auch schon auf dem Bahnhof Stavenhagen; wir kehrten hier jedoch im Wirthshaus ein, wo wir jedoch nur das Nachtquartier hatten; im Uebrigen waren wir bei Stavenhagens, die sich uns sehr freundschaftlich erwiesen. Der Sonntag Vormittag wurde mit Spaziergängen in den sehr freundlichen Anlagen bei der Stadt und dem Schloß verbracht. Dazwischen lernte ich den ehemaligen Reichsminister Mohl, Professor in Heidelberg, kennen, welcher mit dem Direktor Bicken in Gotha, einem alte Gothaner, Stavenhagen besuchte; es war eine interessante Unterhaltung, bei welcher sich Mohl ebenso theilnehmend, als anspruchslos und liebenswürdig zeigte. Nach Tisch hatten Stavenhagens die große Freundlichkeit uns in unserem Miethswagen nach Friedrichroda zu begleiten, um uns im Schweizerhause bei der Frau Superintendentin, wo sie sehr gut bekannt sind und im Sommer öfter verkehren, zu installiren. Die Fahrt war sehr windig; doch auch durch die schöne Natur sehr belohnend; wir fuhren über Reinhardtsbrunn, wo wir ausstiegen und gingen dann zu Fuß nach dem Schweizerhause, welches am Berge am oberen Ende | des kleinen Städtchens sehr freundlich gelegen ist. Da alle früheren Gäste bereits abgezogen waren, so war Raum genug da, an welchem es sonst im Sommer sehr mangelt; wir konnten uns das freundlichste Zimmer mit Cabinet aussuchen, in der ersten Etage mit einem Balkon nach Morgen, vor dem das ganze Städtchen im freundlichen von waldigen Bergen eingeschlossenen Thale sich ausbreitet; es ist eine sehr liebliche Landschaft. Ebenso ist es im Hause sehr behaglich; die Stuben nett eingerichtet, die Betten vortrefflich; die Verpflegung sehr gut und reichlich in bürgerlicher Weise. Dem Hauswesen steht die alte Superintendentin Motschidtler vor, oberste über 70 Jahr alt, sehr rüstig und thätig, die sich in liebens würdiger Freundlichkeit bemüht, es ihren Gästen angenehm zu machen. Der Mittag wird unten gemeinsam verbracht; Frühstück und Thee am Abend erhält man auf der Stube.
Wenige Schritte von dem Schweizerhaus führt ein lieblicher Weg unter hohen Tannen nach Reinhardtsbrunnen, welches reich an den lieblichsten Schönheiten ist. Aber auch sonst sind alle Wege, die man nur einschlagen | mag, sehr belohnend und bieten die reichsten Abwechslungen dar. Ein köstlicher Tannenwald bedeckt das ganze Gebirge, welches unmittelbar hinter unserem Hause sich erhebt, und es ist allein schon ein großer Genuß, in diesem Walde spazieren zu gehen, durch welchen nach allen Richtungen hin angenehm geebnete Wege führen und wo an einzelnen Punkten Ruhebänke die überraschendsten Aussichten bezeichnen.
Wir sind daher bis jetzt sehr befriedigt von unsrem Aufenthalt, um so mehr, als das Wetter heute und gestern sehr milde war. Auch ist es uns recht angenehm, hier im Hause ganz still und allein zu sein. Leider hat Friederike heute morgen doch wieder, wie es scheint wegen eines kleinen Diätfehlers, ihre Kolik gehabt, indessen ging sie am Nachmittag mit mir spazieren und ich hoffe, daß auch ihr der Aufenthalt zur Bekräftigung dienen werde. – Zur Lektüre haben wir eine ganze Bibliothek mit, so daß es uns auch bei schlechtem Wetter und am Abend an Unterhaltung nicht fehlt.
So eben haben wir auch aus Potsdam Briefe erhalten, welche uns über die Kinder gute Nachrichten bringen.
Friederike grüßt Euch herzlich, von mir herzliche Grüße der lieben Susette.
In treuer Liebe Dein Immanuel.
Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel)Immanuel HegelJurist/Konsistorialpräsident der Provinz Brandenburg11657072518141891 Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel) (1814–1891), Bruder Karl Hegels, studierte von 1832 bis 1834 und von 1835 bis 1836 Jura an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, von 1834 bis 1835 an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München, trat 1836 in den preußischen Staatsdienst ein und war als Verwaltungsjurist in verschiedenen Verwendungen des Königreichs Preußen, vor allem im Staatsministerium, tätig, wurde 1865 Präsident des Konsistoriums der Provinz Brandenburg, heiratete 1845 Friederike Flottwell (1822–1861) und 1865 Clara Flottwell (1825–1912), beide Töchter des oftmaligen preußischen Oberpräsidenten und Staatsmanns Eduard Heinrich Flottwell (1786–1865), war u. a. Vater des preußischen Verwaltungsbeamten und Politikers Wilhelm (Willi) Hegel (1849–1925), war 1856 Taufpate seines Neffen Georg Hegel (1856–1933).
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Friedrichroda50.861175,10.5639143Etwa 25 Kilometer südöstlich von Eisenach im Thüringer Wald gelegener heilklimatischer Kurort.
Privatbesitz
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Privatbesitz
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Stavenhagen, Friedrich Karl Leopold11722381617961869 Stavenhagen, Friedrich Karl Leopold (1796–1869), war 1848/49 Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung gewesen und seit dem Sommer 1849 pensionierter preußischer Generalmajor. Bevor er ab 1859 erneut als Parlamentarier politisch tätig wurde – Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses, Mitglied des Reichstages des Norddeutschen Bundes, Mitglied des Zollparlaments –, lebte er ein Jahrzehnt als Pensionär in Gotha.
Flottwell, Eduard HeinrichEduard Heinrich Flottwell11663107417861865Flottwell, Eduard Heinrich (1786–1865), preußischer Staatsmann, Minister und oftmaliger Oberpräsident, u. a. von 1841 bis 1844 Oberpräsident der Provinz Sachsen, 1849/50 Oberpräsident der Provinz Preußen, 1850 Oberpräsident der Provinz Brandenburg, Schwiegervater Immanuel Hegels (1814–1891).
Trinkler, Friedrich Theodor12069505718061871Trinkler, Friedrich Theodor (1806–1871), in Wernigerode geborener Ehemann Auguste Flottwells (1816–1844), der ältesten Tochter Eduard Heinrich Flottwells (1786–1865) aus dessen zweiter Ehe mit Auguste Schultz, geb. Lüdecke (1794–1862). Er war nach seinem Studium an der Universität Berlin und Tätigkeiten an Berliner Schulen von 1834 bis 1843 als promovierter Gymnasiallehrer Mitglied des Lehrerkollegiums des 1834 in Posen gegründeten Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums gewesen, wurde 1836 Oberlehrer und 1842 Professor. Ab 1843 war er – zuständig für die Realschulen – Regierungs- und Schulrat im Provinzial-Schul-Kollegium und in der Regierung zu Magdeburg und starb als Geheimer Regierungsrat.
Mohl, Robert11858317417991875Mohl, Robert (1799–1875), in Stuttgart geborener Staatswissenschaftler, der 1848 Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung und 1848/49 Reichsjustizminister der Provisorischen Zentralgewalt in Frankfurt am Main war. Nach seinem Studium an den Universitäten Heidelberg, Göttingen und Tübingen sowie nach Promotion und Habilitation wurde er 1824 außerordentlicher und 1827 ordentlicher Professor der Staatswissenschaften in Tübingen, 1847 in Heidelberg.
Motschidtler (Mot[h]schiedler), Friedrich Carl Ludwig113858931417681851Motschidtler (Mot(h)schiedler), Friedrich Carl Ludwig, aus Friedrichroda, seit 1839 Superintendent in Georgenthal.
Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher
Susanna Maria Hegel, geb. Tucher116146891918261878Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher (1826–1878), häufig „Susette“ genannt, Tochter Johann Sigmund Karl Tuchers (1794–1871) und Maria Magdalena Tuchers, geb. Grundherr (1802–1876), Ehefrau Karl Hegels (1813–1901); siehe auch: Tucher, Susanna Maria.
Gotha50.9494849,10.7014435Haupt- und Residenzstadt des Herzogtums Sachsen-Coburg und Gotha, die 1847 Anschluß an das Eisenbahnnetz fand, etwa 220 Kilometer nördlich von Nürnberg am Nordhang des Thüringer Waldes gelegen.
ThüringenLand zwischen Harz im Norden und Fränkischem Bergland im Süden sowie den Städten Eisenach im Westen und Altenburg im Osten.
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
Potsdam52.4009309,13.0591397Garnisons- und Residenzstadt des Königreichs Preußen an der Havel, etwa 30 Kilometer südwestlich von Berlin gelegen.
Magdeburg52.1315889,11.6399609Hauptstadt der preußischen Provinz Sachsen an der Elbe und Sitz des Regierungspräsidiums Magdeburg, etwa 150 Kilometer westlich von Berlin gelegen.
Halle51.4825041,11.9705452Universitätsstadt an der Saale, nordwestlich von Leipzig gelegen, 1680-1701 kurbrandenburgisch, dann Stadt des Königreiches Preußen.
Heidelberg49.4093582,8.694724Alte Universitätsstadt am Neckar, seit 1803 zum Großherzog Baden gehörend und mit Eisenbahnanschluß seit 1840. Circa 90 Kilometer südlich von Frankfurt am Main gelegen, war die Stadt mit ihrer malerischen Schloßruine einer der Hauptorte der Romantik.
Reinhardsbrunn50.86645995,10.557483437451236Im südöstlich von Eisenach und südwestlich von Gotha gelegenen Ort Reinhardsbrunn nahe Friedrichroda befand sich mit dem im 11. Jahrhundert gegründeten Benediktinerkloster das Hauskloster der Landgrafen von Thüringen, auf dessen Ruine 1827 ein Schloß errichtet wurde.
Schloß (Gotha)Schloß Friedenstein in Gotha wurde zwischen 1643 und 1654 unter Herzog Ernst I., dem Frommen, von Sachsen-Gotha (1601-1675), als frühbarocke Anlage anstelle der 1567 geschleiften Burg Grimmenstein errichtet.
Gothaer ParteiGebildet von den ehemaligen liberalen Mitglieder der Frankfurter Nationalversammlung von 1848/49, die sich nach dem Scheitern der Paulskirchen-Verfassung vom 26. bis 28. Juni 1849 im thüringischen Gotha, der Residenzstadt des Herzogtums Sachsen-Coburg und Gotha, mit dem Ziel versammelten, einen engeren, „kleindeutschen“ Zusammenschluß von Staaten des Deutschen Bundes zu erreichen.
Schweizerhaus (Friedrichroda)In den Jahren 1852/53 errichtetes elegantes Pensionshaus mit Restaurant im Lauchagrund in Friedrichroda zur Beherbergung von Badegästen, das sich von der Einfachheit der anderen Unterbringungsmöglichkeiten des thüringischen heilklimatischen Kurortes unterschied.