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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 13. Oktober 1855

Lieber Karl!

Von Friedrichroda sind wir glücklich heimgekehrt und freuen uns jetzt zu Hause zu sein, da nunmehr das stürmische Herbstwetter eingetreten ist. Bis zum letzten Tage hatten wir sehr angenehmes, mildes und freundliches Wetter, so daß wir täglich Vor- und Nachmittags die schönsten Spaziergänge unternehmen konnten, zu denen sich dort stets eine reiche Abwechslung darbietet. In der letzten Woche färbte sich das Buchenlaub stärker, was den Bergen und Thälern einen neuen Reiz verlieh. Von unserer Superintendentin1, die mit wahrhaft mütterlicher Theilnahme für uns gesorgt hatte, schieden wir mit Thränen; es war uns in ihrem Hause recht wohl geworden und wir hätten nicht leicht irgendwo ein so vortreffliches und angenehmes Unterkommen finden können. So haben wir in allen Beziehungen mit dem vollsten Dank für diesen glücklichen und befriedigenden Aufenthalt Abschied genommen, und fuhren am Sonnabend den 6ten October früh nach Gotha, wo wir bei Stavenhagens ansprachen und ein dejeuner2 einnahmen. Die Nacht rasteten wir bei Trinkler in Magdeburg und fuhren am Sonntag Vormittag nach Potsdam, wo wir auf dem Bahnhof von den Kindern mit Jubel begrüßt wurden. Diese haben sich, Gott sei Dank, in dieser ganzen Zeit recht wohl befunden, und im großelterlichen Hause der besten Pflege erfreut. Die Großeltern sind besonders stolz auf die sichtlichen Fortschritte, die Clärchen in dieser Zeit gemacht hat. Wir blieben dann in Potsdam noch bis Montag Nachmittag, da wir endlich in unsere Matthäuskirchenstraße3 zurückkehrten. Im Hause fanden wir auch alles in schönster Ordnung und wurden hier von der guten Marie Tanner empfangen. – Uns beide finden Alle wohlaussehend und wir selbst müssen die Erfrischung und Bekräftigung, die wir erfahren, anerkennen. Am meisten werde ich mich freuen, wenn es bei Friederike recht vorhält, was ich von Gott erbitten möchte.

Mit unserer Rückkehr ist zugleich ein entscheidender Wendepunkt eingetreten; wir haben nemlich Willy dem Herrn Schullehrer Korn zur Bearbeitung und Erleuchtung übergeben und Willy scheint die Bedeutung dieses Schrittes mit Stolz zu empfinden.

Ich habe mich nun auch gleich daran gemacht, Deine Rechnung abzuschließen und schicke sie Dir hiermit zur Prüfung und Decharge4. Auf der einen Seite steht Dein Conto, auf der anderen das Conto für die selige Mutter. Es bleibt schließlich ein Kassenbestand von 97 rt 14 Sg. 11 Pfennig und bitte ich Dich, mir zu sagen, ob ich ihn Dir schicken soll; ich selbst habe ihn nicht nöthig, da ich 100 rt freie Anleihe verkauft habe, um mein Defizit zu decken. – Die Rentenbriefe von Henning werden erst zum 1sten April ausgefertigt; er selbst wünscht, sie vorläufig zur Sicherheit der Gläubiger ad depositum5 des Gerichts zu geben und erst dann zur Abtragung der Hypothek zu verwenden, wenn er sie nach dem Tageskours, der jetzt 95 % beträgt, al pari6 verwerthen kann. Ich habe mich schon früher damit einverstanden erklärt; wenn Du jedoch sehr bedenklich bist, Dein Kapital unter allen Umständen dort stehen zu lassen, so will ich es für Dich kündigen.

Zu der Rechnung hätte ich zwar Manches zur Erläuterung hinzuzufügen; schriftlich ist dies aber sehr weitläufig; hast Du bei einzelnen Posten den Wunsch, näherer Aufklärung, so bitte ich Dich, mir es zu bemerken und werde ich Dir dann vollständige Auskunft geben. – Herzliche Grüße der lieben Susette und mit den treuesten Wünschen

Dein Immanuel.