Deine Mittheilung über die von Dir im Evangelischen Verein zu haltende Vorlesung oder Vortrag2 war uns ebenso überraschend, als interessant, und Friederike bemerkte mit Recht, daß unserer seligen Mutter nicht leicht eine größere Freude hätte bereitet werden können, als wenn sie dies noch erlebt hätte. Ich kann es nur billigen, daß Du den Antrag, da er ohne Deine Veranlassung an Dich gekommen, angenommen hast, und daß Du nicht eine Gelegenheit vorübergehen lassen willst, die Dir den Weg zu einer erwünschten Berufung eröffnen kann. Wenn ein solcher Entschluß in sich recht, ehrenhaft und angemessen ist, so pflege ich auch nicht darnach zu fragen was die Partheileute dazu sagen, während dieselben, wenn es ihr eigenes Interesse erheischt, sich ganz andere Konnivenzen erlauben. In dem Geruch der Frömmigkeit steht natürlich der Evangelische Verein, und ebenso die Männer, die dort wissenschaftliche Vorträge halten; aber wenn auch das positive Christenthum hier vertreten ist, so ist doch eine polemische Tendenz keineswegs sein charakteristisches Merkmal, vielmehr hat sich auf der vorausgesetzten Grundlage auch in den Vorträgen stets eine Mannigfaltigkeit der Ansichten entfaltet: neben Stahl, der allerdings in jedem Winter auch hier einen Vortrag gehalten, sind Nitzsch, Hoffmann und Andere aufgetreten, die nicht zu den Parteigenossen der ersteren gezählt werden können. – „Der Evangelische Verein für kirchliche Zwecke“ ist hier gegründet zu Zwecken der innern Mission in Berlin, und ich habe die Ehre, auch Mitglied des Vereins zu sein, wenigstens meine 2 th Taler jährlich dazu zu geben; er hat kürzlich ein bedeutendes Haus in der Oranienstraße gekauft, welches die Deutsch-Katholischen früher gebaut hatten; dort haben sie ihre christliche Herberge für Gefallene, wohnt ihr Geistlicher, jetzt Hofmeier, Bruder unseres kleinen Dr. Hofmeier vom Krankenhaus und ist ein großer Saal, in welchem wöchentlich erbauliche und belehrende Vorträge gehalten werden. Hier werden nun auch im Winter jetzt die wissenschaftlichen Vorträge gehalten, die der Verein auch schon früher veranstaltet hat. Man muß dazu besonders abonnieren und die Einnahme davon kommt dem Verein zu gut. Die Vorträge werden hernach gewöhnlich auch zum Besten des Vereins gedruckt und verkauft, und da ich bisher nicht Zeit hatte, den Vorträgen selbst beizuwohnen, so habe ich die mich interessirenden hernach im Druck gelesen. Ich hoffe, daß Du auch Deinen Vortrag dem Druck zu übergeben nicht Anstand nehmen wirst. – Die Vortragenden halten sich auf gewöhnlich beim mündlichen Vortrag an das ausgearbeitete Heft. – Die Versammlung ist sehr geistreich und begreift eine Elite des Theils der gebildeten Gesellschaft, welcher sich für religiöse Gegenstände interessirt. Natürlich sind die Damen zahlreicher als die Männer doch keinesweges von bedeutendem Uebergewicht. Deshalb wird ebenso auf ein anregendes wissenschaftliches Interesse, als auf eine für gebildete Leute ausreichend allgemeine Verständlichkeit Anspruch gemacht, und in der wissenschaftlichen Darstellung zugleich eine Anknüpfung an das religiöse Gebiet erwartet. Der Zweck der Vorträge, als wissenschaftliche kann nicht die eigentliche Erbauung sein; aber ein dem ganz widersprechender und fremdartiger Vortrag würde an dieser Stelle auffallen. Daher erscheint mir das von Dir gewählte Thema der Einführung des Christenthums bei den Germanen3 recht glücklich gegriffen, und wünsche ich von ganzem Herzen, daß es Dir ohne zu große Arbeit gelingen möge, dasselbe zu Deiner eigenen und Deiner künftigen Publikums Befriedigung zu behandeln und auszuführen. Jedenfalls freuen wir uns außerordentlich, daß wir Dich auf diese Weise unerwartet bald wieder bei uns sehen werden.
Von unserem häuslichen Leben wird Friederike geschrieben haben: Gott sei Dank! scheint doch die Friedrichroder Erholung bei ihr nachzuhalten; sie hat sich in dieser Zeit im Ganzen recht wohl befunden, und da wir jetzt wegen Maries Schule schon um ½ 2 Mittag essen, so gewinnen wir damit Zeit, Nachmittags zusammen einen Spaziergang zu machen. Willy läuft mit großem Eifer in seine Schule und Marie hat jetzt auch französisch und Zeichenstunde. Clärchen ist recht munter und wird auch klüger, wenn auch noch mäßig im Sprechen, worin die beiden Andren, besonders die ältere Schwester um so mehr leisten.
Das Grab der seligen Mutter haben wir kürzlich an einem schönen Sonntagnachmittag besucht, und wir wollen nun das Denkmal in Ueberlegung nehmen, worüber wir uns dann bei Deiner Anwesenheit näher verständigen können.
Herzliche Grüße Deiner lieben Susette und Deinen Kindern, mit den innigsten Wünschen