Eine gezwungene Muße am heutigen Sonntage gewährt mir endlich die Zeit, an Dich zu schreiben, Dir von unseren Zuständen und Erlebnissen mitzutheilen, und ebenso Dich zu fragen, wie es denn bei Euch steht, da Ihr doch noch in banger Erwartung, wenn auch gewiß ebenso mit zuversichtlicher Hoffnung, der entscheidenden Stunde entgegenseht. Zu Deinem Geburtstage1 habe ich Dir, glaube ich, zuletzt geschrieben.2 Friederike ist darauf am Mittwoch den 11ten dieses Monats mit Klarius nach Franzensbad nach schwerem Abschiede von den Kindern abgereist. Am Nachmittag desselben Tages wurde Clärli von ihrer Tante und Pflegemutter Klara nach Potsdam gebracht, so daß ich mit meinen beiden älteren Kindern vereinsamt zurückblieb. Die Zeit ist seitdem rasch verflossen, und da ich zum Glück jetzt mäßig zu arbeiten habe, so konnte ich mich auch der Aufsicht der Kinder, so weit es erforderlich, widmen. Des Vormittags waren sie in der Schule gut aufgehoben; dagegen war ich des Nachmittags sehr an sie gebunden, mußte Mariechens Arbeiten für die Schule kontroliren und bin dann öfters, wenn sie nicht bei Bekannten versorgt waren, mit ihnen spazieren gegangen. Des Abends bin ich immer zu Hause geblieben. Die Kinder haben mir viel Freude gemacht, und meine Geduld nur selten in Anspruch genommen; unser …3 Zusammenleben war nicht ohne Lieblich- keit, und ich habe die Kinder in mancher Beziehung viel genauer kennen gelernt, und ich möchte fast sagen, noch mehr lieb gewonnen. Beide haben auch gute Zensuren aus der Schule gebracht, und besonders Marie lernt mit großem Eifer und gutem Erfolg. Heute wollte ich nun beide nach Potsdam übersiedeln, da ich selbst am nächsten Mittwoch4 abzureisen wünsche und die letzten Tage zu freier Disposition haben muß. Dies ist nun leider für heute vereitelt, da Willi, der gestern schon über Kopfweh klagte, die heutige Nacht in starkem Fieber zugebracht und von mir bis 4 Uhr Morgens mit kalten Umschlägen über den Kopf behandelt werden mußte. Heute Vormittag geht es besser und ich erwarte nun Böhm, um nach dessen Ausspruch meine weitern Entschlüsse zu treffen. – Klärchen habe ich an den beiden letzten Sonntagen mit den Kindern drüben besucht, und sie sehr frisch und munter gefunden; sie haben sie dort alle sehr lieb und besonders hat sie des Vaters Herz ganz gewonnen.
Dagegen hatten wir hier in der letzten Woche eine andere große Sorge; heute vor 14 Tagen ließ mich Herrmann ganz früh zu sich rufen, weil er in der Nacht von einer heftigen Brustfellentzündung befallen war. Die erste Attake wurde glücklich überwunden und ist auch nicht wiedergekehrt; die Krankheit hatte aber im Uebrigen einen langsamen Verlauf, und er hütet bis jetzt noch das Bett. Die Mutter, welche heute kam und bei ihm blieb, hat ihn treulich gepflegt, zum Theil unter Adalberts Beistand, und da ich nicht bloß meine Kinder zu behüten, sondern auch nach diesem Patienten täglich 2 mal zu sehen hatte, daneben aber meine Arbeiten zu beschaffen hatte, so war ich in dieser Zeit sehr in Anspruch genommen. Wir hoffen, daß Herrmann nun wird aufstehen und am Ende der Woche zu seiner Genesung nach Potsdam wandern können.
Von Friederike habe ich im Ganzen recht erfreuliche Nachrichten erhalten; den ersten Tag verweilte sie in Wiederitsch bei Leipzig bei einer an einen Pfarrer verheiratheten Schwester Klarinens. Am Freitag gelangte sie glücklich und bei schönem Wetter nach Franzensbad, wo sie auf Bestellung eine sehr freundliche und angenehme Wohnung bei guten Leuten fand. Sie unterhält sich mit Klarine sehr gut, obwohl sie sonst im großen Gewimmel der Badegesellschaft fast gar keine Bekanntschaften hat. Sie hat den Brunnen und das Bad auf Anrathen der Ärzte sehr gemach angefangen, und wenn sie auch etwas Aufregung davon verspürt, so hat sie doch im Brunnen schon ersprießlich fortschreiten können und dabei nur einmal Kolikbeschwerden gehabt. Je geringer ihre Erwartungen von den sonstigen Annehmlichkeiten in der Umgegend des Ortes waren, um so mehr ist sie erfreut von den Vorzügen, die sie dort findet, und ist abgesehen von den theuren Preisen befriedigt und guten Muthes. Wenn es möglich ist, wollte ich am nächsten Donnerstag5 dort eintreffen und Klarine ablösen, welche zu ihren Geschwistern gehen will. Ich werde dann noch an 3 Wochen etwa mit Friederike dort verweilen, damit letztere die Kur recht gründlich zu Ende führt, und indem ich selbst durch den Gebrauch des Brunnens und eventuell des Badens meinen etwas abgespannten Nerven zu Hülfe zu kommen suchen werde. Wo wir dann die letzten 10 – 14 Tage an einem hübschen, stillen und wohlfeilen Ort noch zubringen werden, hängt von einem guten Rath und Vorschlag ab, den wir von irgend einer Seite zu vernehmen hoffen.
Bei Euch wird nun wohl inzwischen die liebe Tante mit Cousine Sophie hoffentlich glücklich eingetroffen sein. Da sie auf der Hinreise an Berlin vorbeigereist sind, dürfen wir gewiß hoffen, daß sie auf der Rückreise uns und Berlin nicht verschmähen und hier sich etwas ausruhen werden. In den ersten Tagen des Augusts kommen wir zurück, und wir dürfen uns nicht verspäten, abgesehen von allen andern Rücksichten, da die Eltern mit Clara und vermuthlich auch mit Herrmann nach Zoppot ins Seebad bei Danzig gehen wollen. – Vom lieben Onkel Siegmund, dem ich für Dich 1035 th geschickt, hatte ich eine freundliche Antwort, welche damals die Kousine der lieben Tante noch unbestimmt ließ. –
Friederike erwartet schon täglich in Franzensbad durch mich von dem jüngsten Sprößling6 in Rostock zu hören. Bis Mittwoch Vormittag – da ich am Abend reise – treffen mich noch hier Deine Briefe. Später aber bitte ich an mich nach Franzensbad bei Eger im Goldenen Stern bei Wittwe Köppl zu schreiben. Gott möge Meinen Segen und gnädigen Beistand Euch und insbesondere der lieben Susette zu der entscheidungsvollen Stunde nicht versagen! – Die herzlichsten Grüße ihr und der lieben Tante und Sophie. Die Kinder senden viele Grüße den lieben Cousinen in Rostock. Böhm war inzwischen hier und hat dem Jungen erlaubt aufzustehen und ich hoffe, die Kinder, so Gott will, morgen nach Potsdam zu bringen.
Mit den treusten Wünschen Dein Bruder Immanuel