Franzensbad den 8ten Juli 1856
Lieber Karl!
Mit unendlicher Freude haben wir heute die lang ersehnte Nachricht erhalten – und ein Knäblein! – Gott sei gelobt und gedankt für solche Freude und solches Glück! Und Er wolle auch ferner Seine Gnade über Dein Haus, und insbesondere über dieses Kind walten lassen, und Seine Barmherzigkeit daran erweisen! – Wir waren in rechter Spannung, da wir so lange nichts von Euch gehört hatten, und waren versucht, uns schon mancherlei Gedanken zu machen, welche sich nun so zur vollsten Freude aufgelöst haben. Du wirst uns nun gewiß recht bald weitere Nachrichten geben, damit wir nicht wieder in Sorgen gerathen. Gott möge über Mutter und Kind walten, und beide namentlich über die ersten Sorgentage leicht hinwegführen. Welche reiche Belohnung für die liebe Tante, die Euch nun mit ihrer mütterlichen Pflege zur Seite steht, und welche Freude wird es auch in Nürnberg sein, und wie sehr der liebe Großvater dieses Glück mit empfinden. Drücke auch in meinem Namen der | glücklichen Mutter und Großmutter die theure Hand und bringe ihnen meine innigsten Glückwünsche.
Wie ich Dir es in meinem letzten Brief aus Berlin vom 29sten vorigen Monats, als meinen Wunsch aussprach, habe ich meine Reise am 2ten dieses Monats wohlgemuth angetreten, nachdem ich meine Kinder am Montag vorher nach Potsdam gebracht hatte. Willi hatte sich am andern Tage von seinem Fieberanfall schon ganz wieder erholt, so daß ich ihn unbedenklich der lieben Clara zur Pflege mit Mimi übergeben konnte. Sie werden nun hoffentlich dort munter herumspringen. Nach dem letzten Brief, den wir von dort empfingen, ging es ihnen recht gut. – Ich fuhr die Nacht durch und kam in guter Reisegesellschaft über Plauen am Dienstag Nachmittag hier an, wo ich Friederike recht frisch und wohlaussehend angetroffen habe. Der Aufenthalt hier gefällt ihr ganz gut, und der Brunnen, so wie das Bad ist ihr angenehm und zusagend. Allerdings ist sie hier von ihren Kolikanfällen nicht ganz frei geblieben; doch darf man von einer solchen Kur nicht sofort eine durch- | greifende Wirkung erwarten. Der Brunnenarzt giebt dagegen gute Hoffnung. Heute hat sie nun auch die Moorbäder angefangen; leider kam sie davon mit großem Abscheu und Ekel zurück; doch hoffe ich, daß sich die Aggression dagegen und vielleicht in neue leidenschaftliche Zuneigung umwandeln werde. Allerdings muß man sich in warmen kohlrabenschwarzen breiigen Dreck hineinlegen, der keineswegs appetitlich ist. – Da ich einmal hier bin und meine Frau Assistenz leiste, mache ich auch auf Böhms Empfehlung die Kur mit, da ich doch auch über nervöse Abspannung und Reizbarkeit in den letzten Jahren zu klagen habe, welche sich periodisch bei mir fühlbar machen und mich meine frühere Frische und Elastizität vermissen lassen. Ich trinke daher Salz- und Franzensbrunnen und nehme täglich dabei ein Luisenbad, welches sehr erquicklich und angenehm ist. Ich bin überzeugt, daß Dir eine solche Kur sehr wohlthätig und nützlich sein würde, denn sie soll grad bei nervöser Anspannung sehr wirksam sein, und Jeder, der sie dagegen gebraucht, ist voll von Rühmens und Dank für ihre Wirkung. Später wirst Du es auch von Erlangen aus ziemlich nahe haben.
Klarine ist am Sonnabend morgen von hier ab- | gereist, und ich bummele nun mit meinem Frauchen hier gemüthlich faullenzend im Bad herum. Eine große Annehmlichkeit ist die freundliche Wohnung, die wir hier bekommen, zwei sehr freundliche helle und gut meublirte Zimmer bei einer sehr netten aufmerksamen und honnetten Wirthin. Die Verpflegung ist auch nach Maaßgabe der Brunnendiät ganz gut, namentlich wird nach der Brunnenpromenade mit großem Appetit ein vortrefflicher Kaffee genossen, und zwar, wenn es warmes Wetter ist, im grünen Park, der vor unserem Hause liegt. Die Gegend ist freundlich; ein fruchtbares weites Thal von schönen, freilich etwas fern gelegenen Höhenzügen eingeschlossen. Es fehlt auch nicht an angenehmen Spaziergängen, und nimmt man einen Wagen zu Hülfe, so kann man sehr schöne Parthien machen. Am ersten Tage nach meiner Ankunft wanderten wir nach Eger, einer mit Wällen umzogenen alten Stadt auf dem hohen Ufer der Eger romantisch gelegen. Im Innern düster und katholisch. Das Thal der Eger ist sehr schön; wir stiegen durch schöne Waldungen auf die Berge hinauf, wo man von der
Annakapelle eine schöne Weitsicht hat, über das ganze Thal mit seinen zahlreichen Ortschaften. Vorgestern fuhren wir nach der Abtei Waldsassen, welche schon in Bayern liegt; eine geschmackvolle Kirche mit weiten ehemaligen Klostergebäuden mitten im Waldgebirge.
Einige Bekanntschaften haben wir gemacht; doch hat sich außer der Frau von Kries aus Potsdam, eine geborene Jachmann, welche Friederike schon früher gekannt hat, ein näherer Umgang darum nicht gebildet. Vor etlichen Tagen ist auch Frau von Rappard aus Pinne mit einer Nichte Albertine von Massenbach hier angekommen; letztere theilte uns Näheres von der schweren Krankheit der armen Tante Thekla mit, welche davon in Neuendettelsau heimgesucht worden. Was habt Ihr für nähere Nachrichten von ihr; ist sie wieder in Neuburg?
Nun lebe wohl, lieber Karl. Gott sei auch brav mit Euch und lasse Alles wohl gelingen. Die herzlichsten Grüße der lieben Susette, Tante und Cousine. In treuer Liebe Dein Bruder Immanuel
Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel)Immanuel HegelJurist/Konsistorialpräsident der Provinz Brandenburg11657072518141891 Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel) (1814–1891), Bruder Karl Hegels, studierte von 1832 bis 1834 und von 1835 bis 1836 Jura an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, von 1834 bis 1835 an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München, trat 1836 in den preußischen Staatsdienst ein und war als Verwaltungsjurist in verschiedenen Verwendungen des Königreichs Preußen, vor allem im Staatsministerium, tätig, wurde 1865 Präsident des Konsistoriums der Provinz Brandenburg, heiratete 1845 Friederike Flottwell (1822–1861) und 1865 Clara Flottwell (1825–1912), beide Töchter des oftmaligen preußischen Oberpräsidenten und Staatsmanns Eduard Heinrich Flottwell (1786–1865), war u. a. Vater des preußischen Verwaltungsbeamten und Politikers Wilhelm (Willi) Hegel (1849–1925), war 1856 Taufpate seines Neffen Georg Hegel (1856–1933).
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Franzensbad50.1223741,12.3488519Westböhmisches Kurbad, nach seinem Begründer, dem Römischen Kaiser Franz II. (1768-1835), benannt, etwa sieben Kilometer nördlich von Eger gelegen.
Privatbesitz
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Privatbesitz
1000
Neuhaus
, Helmut (Hg.): Karl Hegels Gedenkbuch. Lebenschronik eines Gelehrten des 19. Jahrhunderts, Köln, Weimar, Wien 2013.
Neuhaus
, Karl Hegels Gedenkbuch
2013
Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher
Susanna Maria Hegel, geb. Tucher116146891918261878Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher (1826–1878), häufig „Susette“ genannt, Tochter Johann Sigmund Karl Tuchers (1794–1871) und Maria Magdalena Tuchers, geb. Grundherr (1802–1876), Ehefrau Karl Hegels (1813–1901); siehe auch: Tucher, Susanna Maria.
Hegel, Wilhelm (Willi)Wilhelm Hegel13593263718491925Hegel, Wilhelm (Willi) (1849–1925), in Berlin geborener Sohn Immanuel (1814–1891) und Friederike Hegels (1822–1861), Ehemann Armgard Hegels, geb. Wulffen (1862–1928), und Neffe Karl Hegels. Er war hoher preußischer Verwaltungsbeamter, u. a. von 1886 bis 1890 Landrat des Kreises Jerichow I, von 1895 bis 1905 Regierungspräsident von Gumbinnen, von 1905 bis 1908 in Allenstein, von 1908 bis 1917 Oberpräsident der Provinz Sachsen. Es war von 1887 bis 1890 Mitglied des Deutschen Reichstages und wurde im Jahre 1909 in den erblichen preußischen Adelsstand erhoben.
Hegel, Marie (Maria), verh. BitterMarie Hegel, verh. Bitter103810830618481925Hegel, Marie (1848–1925), Tochter Immanuel (1814–1891) und Friederike Hegels, geb. Flottwell (1822–1861), Ehefrau des Juristen, hohen preußischen Verwaltungsbeamten, Kronsyndikus und Politikers Rudolf Bitter (1846–1914), siehe auch: Bitter, Marie.
Böhm, Ludwig11760913718111869Böhm, Ludwig (1811–1869), Arzt, 1841 Privatdozent an der Berliner Universität, Assistent an der Dieffenbachschen Klinik in Berlin (benannt nach dem Chirurgen Johann Friedrich Dieffenbach [1792–1847]), 1845 außerordentlicher Professor der Chirurgie und Augenheilkunde an der Poliklinik in Berlin; Adoptivsohn Johannes Schulzes (1786–1869), Karl Hegels (1813–1901) väterlichem Freund, und ab 1849 Direktor der Unterrichtsabteilung im preußischen Ministerium für geistliche, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten.
Kries, N. N.-Kries, N. N., geb. Jachmann, aus Potsdam.
Rappard, N. N.-Rappard, N. N., geborene Massenbach, aus Pinne.
Massenbach, Albertine Luise Thekla Mathilde-18341913Massenbach, Albertine Luise Thekla Mathilde (1834–1913), Tochter von Georg IX. Sylvius Massenbach und seiner Ehefrau Sophie, geb. Gemmingen-Steinegg, stammte aus der Familie Thekla Therese Eleonore Tuchers, geb. Gemmingen-Steinegg (1813–1901).
Nürnberg49.453872,11.077298In Franken an der Pegnitz gelegene ehemalige Reichsstadt, seit 1806 Stadt des Königreichs Bayern.
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
Potsdam52.4009309,13.0591397Garnisons- und Residenzstadt des Königreichs Preußen an der Havel, etwa 30 Kilometer südwestlich von Berlin gelegen.
Plauen50.4950632,12.1346523Stadt im Vogtland, die mit der Verbindung nach Reichenbach erst im Jahre 1851 an die Sächsisch-bayerische Eisenbahn angeschlossen wurde.
Erlangen49.5928616,11.0056Mittelfränkische Universitätsstadt, etwa 20 Kilometer nördlich von Nürnberg gelegen, seit 1810 Stadt und Universität des Königreichs Bayern.
Eger (Stadt)50.0793511,12.3703526Ehemals Freie Königliche Stadt in Westböhmen, Reichsstadt des Heiligen Römischen Reiches im Mittelalter und Ort der Ermordung des Feldherrn Wallenstein (1583-1634), etwa 40 Kilometer südwestlich von Karlsbad, sieben Kilometer südlich von Franzensbad und 30 Kilometer nordwestlich von Marienbad im sog. westböhmischen Bäderdreieck gelegen.
Eger (Fluß)Ein linker Nebenfluß der Elbe, der im Fichtelgebirge entspringt und bei Leitmeritz in die Elbe mündet.
AnnakapelleSüdlich von Franzensbad und westlich von Eger gelegener Aussichtpunkt.
Waldsassen50.0053222,12.3041123Etwa 17 Kilometer südwestlich von Franzensbad im Königreich Bayern gelegener Ort mit großer Kirchen- und Klosteranlage ursprünglich aus dem 12. Jahrhundert und Stiftsbibliothek aus dem 18. Jahrhundert.
Bayern (Baiern)Das Königreich Bayern bestand von 1806 bis 1918.
Oberpfälzer WaldNordwestlich des Böhmer- und Bayerischen Waldes gelegenes Waldgebirge beiderseits der bayerisch-böhmischen Grenze, das im Nordwesten in den Frankenwald und im Nordosten in das Erzgebirge übergeht.
Pinne52.5089624,16.2566411Das etwa 250 Kilometer östlich von Berlin und etwa 50 Kilometer nordwestlich von Posen gelegene polnische Pniewy wurde mit der Dritten Teilung Polens im Jahre 1795 preußisch und war lediglich zwischen 1807 und 1815 Teil des Herzogtums Warschau.
Neuendettelsau, Dettelsau49.2851224,10.7886667Etwa 30 Kilometer südwestlich von Nürnberg gelegene Gemeinde, in der der Pfarrer Wilhelm Löhe (1808-1872) u. a. eine Diakonissenanstalt gründete.
Neuburg48.7371951,11.1795268Circa 100 Kilometer südlich von Nürnberg und östlich von Donauwörth gelegen: Neuburg an der Donau. Christoph Karl Gottfried Sigmund von Tucher, „Onkel Gottfried“, war dort seit 1849 Richter am Appellationsgericht, bevor er 1856 ans Oberappellationsgericht in München berufen wurde.