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Friederike Hegel, geb. Flottwell, an Karl und Susanna Maria Hegel, geb. Tucher, Franzensbad, 9. Juli 1856

„Was lange währt wird gut“ hat sich wieder bewährt! ich habe es immer zum Trost mir gesagt, wenn mir die Zeit gar zu lange schien, bis wir die ersehnte Nachricht von Euch erhielten, und nun ist die Freude auch gar groß! Gott sei gelobt dafür, mit innigem jubelnden Dank, der aus unserem Herzen gewiß froh und warm hervorquillt! Mein lieber lieber Karl und Du meine herzliebe Schwester, ich umarme Euch im Geiste mit unendlicher Freude und mit besonderer Liebe, daß der treue Herr, der so Großes gethan, nun auch ferner gnädig über Mutter und Sohn wachen wolle, und sie über alle schweren Tage glücklich fortgeleiten möge; Du hast in Deinen neuen Vaterwürden und Stolz ganz vergeßen, zu sagen, ob es denn ein großes starkes Kind, ob er seiner Mama viel Noth gemacht, – wie es ihm geht, u. s. w. kurz ich bitte nur noch einen Wochenbericht comme il faut2 nachträglich, was, wie es mit dem Stillen ist, etc., was die kleinen Mädels Alle wohl sagen werden? nun sind sie Alle in den Hintergrund gerückt, von dieser Größe, und wachen gewiß mit schwesterlicher Zärtlichkeit und Bewunderung über das neue Brüderchen! – Es ist uns aber ordentlich lieb, daß dieses glückliche Ereigniß doch nicht ganz, mit jenem Tage zusammenfällt, an dem uns Allen, für immer, eine so nahe muthige – wenn ich nicht sagen soll, schmerzliche Erinnerung kommpt, nicht wahr? – heute vor’m Jahre bestatteten wir die liebe Hülle! und nun hat sie ihren ersten himmlischen Geburtstag gefeiert, wie sie selbst immer sagte, wenn wir Gustli’s Sterbetag begingen.

Meine Liebe ist ja nun auch endlich bei mir, was mir die langen Badezeiten recht erleichtert, und uns gegenseitig zur Freude gereicht – man genießt sich doch mal wieder con amore3, und vergißt darüber die mancherlei Unbequemlichkeit, trüben Regentage und wenig hübschen Berge des Ortes; wir sind so weit ganz zufrieden, man darf nur keine Ansprüche machen, und den Zweck der Sache im Auge behalten. – Viele warme Grüße den lieben Tante Louise und Sophie, vielleicht finden sie mal eine Zeit, daß sie mich durch Nachricht erfreuen! – Nun Gott befohlen Ihr lieben Geschwister! von Herzen

Eure Friederike