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Karl Hegel an Heinrich Sybel, Erlangen, 8. Februar 1857

Hochgeehrter Herr College!

Ihr geehrtes Schreiben vom 30. Januar1 hat mich auf die angenehmste Weise überrascht. Was ich in der Stille gewünscht, dem soll, nach Ihrer Mittheilung, durch einen hochherzigen Entschluß unseres Königs2 zum voraus die Erfüllung gewährt werden. Niemand wird bezweifeln, daß durch die Errichtung historischer Seminare an den drei Landes-Universitäten3 der Zweck, tüchtige Gymnasiallehrer für den Geschichtsunterricht zu bilden, wesentlich gefördert werden muß. Ich halte sie beinahe für unentbehrlich. Denn wenn es Erfahrungsmäßig in der Regel der Fall ist, daß die Studierenden die geschichtlichen Vorlesungen an der Universität mehr bloß als anregende Unterhaltung, denn als eine Gelegenheit zum eigentlichen Lernen zu betrachten gewohnt sind, so werden gewiß auch nur sehr Wenige, ohne Anleitung zu eigner Übung, im Stande sein, sich die richtige Methode des geschichtlichen Studiums und eine entsprechende Behandlungsweise des Unterrichts anzueignen.

Namentlich für den Unterricht in der bayrischen Landesgeschichte ist es durchaus nothwendig, daß die künftigen Lehrer zur gründlichen Kenntniß der Quellen angehalten werden, damit sie selbst ein lebendiges Interesse an dem Gegenstande gewinnen und demnach auch ihn für die Schüler anziehend genug zu behandeln wissen.

Mit Freuden erkläre ich mich also bereit, zur Ausführung des hohen Vorhabens an meinem Theile und nach meinen Kräften mitzuwirken, und verspreche ich mir davon für die Zukunft manche gute Frucht.

Über die bei der Einrichtung des Seminars und in der Leitung desselben zu befolgenden Grundsätze möchte ich mich gern noch mündlich näher mit Ihnen besprechen, und hoffe ich dazu in den bevorstehenden Osterferien die Gelegenheit zu finden, da es ohnehin meine Absicht war, zu dieser Zeit nach München zu gehen, um mich Seiner Majestät vorstellen zu lassen.

Was die finanzielle Ausstattung des Seminars betrifft, so würde ich die für die Leitung bestimmte Remuneration von 150 florin für meine Person mit Dank annehmen; drei Prämien4 zu 25 florin zur Vertheilung in jedem Semester halte ich für vollkommen ausreichend; die 50 florin für Realexistenz möchte ich vorzugsweise zur Anschaffung historischer Bücher verwenden, und auch die Prämien, insoweit sie nicht zur Vertheilung kommen könnten – was im Anfang leicht der Fall sein möchte – für denselben Zweck bestimmen. Denn Sie glauben gar nicht, wie traurig das historische Fach in unserer Universitätsbibliothek bestellt ist, so daß ich mich selbst bei meinen Vorlesungen nicht selten in Verlegenheit befinde, weil die gangbarsten neueren wissenschaftlichen Werke fehlen. Für die Zwecke des Seminars müßte also das Nöthige nach und nach, Einiges sogar in doppelten Exemplaren erst angeschafft werden.

Ihrem Wunsche gemäß habe ich mit Niemand über die Sache gesprochen. Doch übersehe ich selbst die hiesigen Verhältnisse schon so weit, daß ich noch eine Hauptsache zur Erwähnung bringen muß, worüber ich in Ihrem geehrten Schreiben keine Andeutung finde.5 Es fragt sich nämlich, woher die Geldmittel für das Seminar sollen genommen werden? Sollte dies aus dem Universitäts-Etat geschehen, so müßten andere dringende, schon vielfach angebrachte und zum Theil selbst von obenher anerkannte Bedürfnisse zurückstehen, und es würde mir daraus so viel Ungunst bei meinen Collegen erwachsen, daß ich, offen gestanden, auf das zu Stande Kommen des Seminars, so sehr ich es wünsche, doch noch lieber verzichten möchte. – Hierüber sind Sie vielleicht im Stande, mir schon jetzt die gewünschte Beruhigung zu gewähren.

Die von unserem Könige gestellte Preisaufgabe einer Geschichte von Nürnberg6 erscheint auch mir als höchst glücklich gewählt, weil damit eine in der That auffallende Lücke in der neueren historischen Litteratur bezeichnet ist und der Gegenstand gewiß zu den bedeutendsten und anziehendsten der vaterländischen Geschichte gehört. Die Bearbeitung desselben, der Geschichte meiner lieben Geburtsstadt, war ein Lieblingsgedanke meiner früheren Jahre; ob ich mich jetzt noch dazu entschließen werde, bin ich selbst nicht im Stande zu sagen. Als meine Hauptaufgabe betrachte ich hier zunächst diejenige, wozu ich hierher berufen bin, deren Erfüllung man von mir vor Allem erwartet, durch meine Vorlesungen das seit lange darniederliegende Studium der Geschichte an der hiesigen Universität wieder anzuregen: Daran bin ich fürs erste entschlossen meine ganze Kraft zu setzen, und wenn das Seminar zu Stande kommt, auch an dieses. Bevor ich nicht hiermit zu einem gewissen Ziele gelangt bin, werde ich keine größere schriftstellerische Arbeit unternehmen. Unterdessen werden wahrscheinlich andere – ich denke insbesondre an den Director Lochner in Nürnberg, der sich schon seit langem mit der Geschichte der Stadt ernstlich beschäftigt und auch einige gute Proben seiner darauf bezüglichen Studien veröffentlicht hat – sich der gestellten schönen Aufgabe unterziehen und sie zur hoffentlich glücklichen Lösung bringen.

Mit vollkommener Hochachtung
der Ihrige
Carl Hegel.