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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 11. März 1857

Lieber Karl!

Ihr werdet Euch wundern, solange von uns nichts gehört zu haben; wenigstens durftet Ihr wohl erwarten von Friederiken den versprochenen Antwortsbrief zu erhalten, wenn auch ich mit der letzten Geldsendung Dir geschrieben habe. Hoffentlich wirst Du letztere richtig empfangen haben; ich schickte Dir das Geld am 2ten Februar, theils in Bayerischen Banknoten, theils in Preußischen Kassenanweisungen.1 Unser Stillschweigen erklärt sich durch längere und vielfache häusliche Kalamität; und ich kann nur wünschen, daß das Eurige eine bessere Erklärung finde. Friederike hat wieder drei Wochen lang das Bett gehütet; die Schmerzen in der linken Brustseite waren wieder mit solcher Gewalt und so ausdauernd eingetreten, daß sie die größte Vorsicht erforderten, um einer Wiederkehr eigentlicher Entzündung vorzubeugen, und obwohl nun mannigfache äußere und innere Mittel dagegen angewendet wurden, und fortgesetzte starke Transpiration hoffen ließ, die Affektion zu überwinden, so kommen doch die Schmerzen immer wieder zum Vorschein, wenn sie sich auch wesentlich gemindert haben. Böhm versichert, daß die Lunge nicht betheiligt und angegriffen sei, sondern der Rheumatismus nur in den Brustmuskeln hafte; aber immerhin ist große Vorsicht nothwendig; um so mehr, als von einem heftigen Katarrh und Schnupfen, mit welchem sie von den Kindern angesteckt wurde, ein belästigender Husten zurückgeblieben ist. Seit mehreren Tagen steht sie nun wieder auf, ist aber freilich von dem längeren Krankenlager sehr von Kräften gekommen und für jede äußere Einwirkung sehr empfindlich. Auf Böhms Vorschrift hat sie nun seit gestern Kochsalzbäder begonnen, und das erste Bad ist ihr ganz gut bekommen, so daß sie heute Schmerzens frei gewesen ist. Wir wollen hoffen, daß sie auch ferner mit Gottes Hülfe die gewünschte Wirkung haben. Es ist aber für sie und uns alle eine schwere Prüfung der Geduld, und ich muß ihr das Zeugnis geben, daß sie, wenn sie auch geneigt ist, die verschiedenen Beschwerungen in ihrem Zustand mit einiger Aengstlichkeit zu beobachten, doch dies fortdauernde Kränkeln und Kranksein mit herzlichem Gottvertrauen und ruhiger Ergebung erträgt, und die Hoffnung nicht sinken läßt. Da wir uns nun auch dem Frühjahr nähern, so dürfen wir um so mehr hoffen, die schlimmste Zeit überstanden zu haben.

Ein noch bedenklicheres Aussehen hatte aber mein Hausstand vor 14 Tagen, als auch alle drei Kinder sich hintereinander legten mit Fieber und krampfartigen Husten mit gelegentlichem Erbrechen. Wir besorgten, daß sie alle den Keuchhusten bekommen würden; dann hatte es bei Willi wegen seines periodisch des Abends eintretenden heftigen Fiebers den Anschein eines kalten Fiebers. Bei allen ist es aber glücklich vorübergegangen, und sie sind nun wieder ganz munter, so daß auch die beiden älteren schon wieder die Schule besuchen. Einen starken Katarrh mit Husten abgewehrt habe ich mich, Gott sei Dank, wohl erhalten und konnte mich daher der Pflege meiner Familie widmen, so weit es meine Geschäfte zuließen. Inzwischen wurde ich darin von meiner treuen lieben Schwägerin Clara freundlich unterstützt, welche zweimal 8 Tage hier zubrachte.

In Potsdam ist der Vater Flottwenn seit mehreren Wochen auch nicht ganz wohl; es sind bei ihm Flechten hervorgetreten, welche ihn sehr plagen und namentlich ihm in der Nacht nur wenig Schlaf gönnen, so daß er davon recht mitgenommen ist, um so mehr als er derartige körperliche Plagen mit Geduld zu erleiden nicht gewohnt ist. Böhm hat ihm jetzt eine Frau empfohlen, welche eine eigenthümliche Gabe haben soll, Flechten gewisser Art zu vertreiben, und Böhm selbst erklärt, vor dem Erfolg ihrer Mittel, welche auch sonst nicht bedenklich sein sollen, die Segel streichen zu müssen. Morgen soll die erste Konsultation hier sein.

Im Uebrigen sind sie in der Flottwellschen Familie alle wohl und mein Schwager Herrmann hier hat sich des Besuches seiner Schwiegereltern von Frantzius aus Danzig zu erfreuen.

Wir wurden dagegen durch einen Besuch unseres Vetters Siegemund von Schwarz aus Triest sehr überrascht, welcher mich am Vormittag aufsuchte. Er kommt von Brodij, auf einer größeren Geschäftsreise und will von hier über Nürnberg nach Triest zurückkehren. Vielleicht besucht er auch Euch in Erlangen. Er hat uns sehr gut gefallen und sich recht erfreulich entwickelt; eine vortheilhafte äußere Erscheinung verbunden mit einem natürlichen heiteren frischen Wesen und dabei verständig und voll Interesse für seinen Beruf. Er ist liebenswürdig durch seine offene Herzlichkeit und scheint in Triest sich in einer guten Schule für das praktische und gesellige Leben zu befinden. Da Friederike sich wohler befand, so konnte ich ihn gestern Mittag einladen, und hatte auch sie ein herzliches Gefallen an ihm. Es war auch ein Brief von seiner Schwester Lina an ihn mit einer Zuschrift an Friederike eingegangen. Leider kann Friederike diese freundlichen Zeilen jetzt nicht erwiedern. Ich bin auch meinerseits nicht im Stand gewesen, mich sonst viel dem guten Vetter zu widmen, da es mir schon sehr schwer wird meine häuslichen Sorgen mit meinen Amtspflichten zu vereinigen. Er hat übrigens hier viele Geschäftsbesuche zu machen, und sind dadurch die wenigen Tage seines Aufenthalts ohnehin sehr in Anspruch genommen. Er will morgen nach Leipzig gehen und hier noch einige Tage zubringen. –

Vorhin ist der liebe Brief Susannens eingetroffen und hat uns durch seinen erfreulichen Inhalt sehr erfreut. Ich fürchtete schon, daß auch Ihr von Krankheiten heimgesucht sein möchtet. Gott möge es bei Euch in so glücklichem Zustand erhalten! Friederike insbesondere sagt der lieben Susanna tausend Dank für ihren lieben Brief und wenn ihre Kräfte sich gehoben, wird es ihr erstes sein, an sie zu schreiben.

Vor kurzem theilten die Zeitungen die Preisaufgabe des Königs Max betreffend eine Geschichte Nürnbergs mit; es wird Dir gewiß sehr die Frage nahetreten, ob Du sie nicht vornehmen willst; als Professor der Geschichte, als Nürnberger Kind, und da Deine Studien auch recht eigentlich sich auf diesem Gebiet bewegt haben. Man wird es gewiß von Dir erwarten; auf der andern Seite wäre es freilich angenehmer, die Arbeit nicht als öffentliche und offenkundige Preisaufgabe zu unternehmen. Hast Du die Sache schon überlegt oder sogar schon beschlossen? Der Gegenstand ist interessant, erfordert aber gewiß ausgedehnte Spezialstudien, auch auf fremden Bibliotheken.2

Auf unserm Landtag schweben noch immer wichtige Debatten; von den Finanzgesetzen wird die Regierung nur wenige durchbringen, da überall eine Koalition verschiedener Interessen entgegensteht. Eine gleiche Koalition hat auch das Ehescheidungsgesetz scheitern lassen, bei welchem namentlich die Katholiken den Ausschlag geben, wenn auch einzuräumen ist, daß das Gesetz einige Härten hatte, welche auch manche evangelische Freunde der Ehescheidungsreform widerständig machten.3

Auf Deine Anweisung habe ich 8 th an Direktor Bonnell gezahlt.

Der lieben Susanna und den lieben Nürnbergern bringe unsere herzlichen Grüße. Möchtet Ihr auch ferner alle gesund bleiben und es Euch in allen Dingen wohl ergehen. In treuer Liebe Dein Immanuel  

P. S. Insbesonder auch noch der lieben Susanna zu ihrem Geburtsfest4 die treuesten Wünsche.