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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 16. Mai 1857

Lieber Karl!

Hiermit übersende ich Dir 1) eine Ausfertigung der gerichtlichen Verhandlung vom 13ten dieses Monats, durch welche ich Dir die umfassendste General-Vollmacht zur Disposition über mein Vermögen in den verschiedensten Formen ertheilt habe und 2) eine notariell beglaubigte Abschrift des Erblegitimationsattestes, durch welches wir uns als die alleinigen Intestaterben unserer seligen Mutter ausweisen. Beides wird den bei der Regulirung des Nachlasses der seligen Tante Sophie zu machenden Anforderungen in Betreff der Legitimation wohl genügen.1 Wenn Du nun durch gerichtliche Vollmacht Deinerseits dem Onkel Siegmund die Spezialvollmacht für Dich und für mich – im Wege der Substitution – ertheilst, uns bei jener Nachlaßregulirung zu vertreten, so möchte ich den Rath geben, die beiden obengedachten Urkunden nicht originaliter beizufügen, sondern dieselben für etwaigen künftigen weiteren Gebrauch an Dich zu behalten, und nur beglaubigte Abschriften davon mitzugeben, welche dann bei den betreffenden Nachlaßakten bleiben können. – Ferner unterlasse ich nicht, Dir anliegend den Brief des Onkels wieder zurückzuschicken.2 – Die Nachricht von der unerwarteten Erbschaft kommt mir wohl sehr erwünscht, da ich zu der Reise meiner Frau einen außerordentlichen Zuschuß nöthig haben werde. Indessen möchte ich Anstand erstatten, die Erbschaft anzunehmen, wenn es feststehen sollte, daß es die Absicht der Tante Sophie gewesen sei, über ihr Vermögen zu Gunsten der Dettelsauer Anstalten zu verfügen; es würde dem Sinne unserer seligen Mutter ganz widersprechen, wenn ich, obwohl ich diesen Anstalten persönlich ganz fern stehe, gegen eine solche Absicht der Tante mein formales Recht geltend machen wollte. Du wirst es ermessen können, ob und inwieweit nach den Umständen uns hierbei eine solche moralische Pflicht obliegen möchte, und jedenfalls darfst Du annehmen, daß ich ebenso weit, als Du aus derartigen Rücksichten Dich veranlaßt finden dürftest, auf einen Theil des Nachlasses zu Gunsten Neu-Dettelsau zu verzichten, das Gleiche thun werde, und daß Du befugt bist, mit den Deinigen Erklärungen gänzlich für mich entsprechende ohne weitere Rückfragen abzugeben. – Dagegen scheint mir eine solche moralische Pflicht bezüglich der Tucherschen Fräuleinstiftung uns nicht obzuliegen. Unter allen Umständen darfst Du von meiner Generalvollmacht den vollsten Gebrauch machen, und niemals besorgen, daß ich mit Deinen Bestimmungen in dieser Sache nicht einverstanden sein möchte.

Der unerwartete Tod von dem jungen Karl von Gottliebs3 in München hat uns sehr schmerzlich berührt und ich habe nicht unterlassen wollen, den Eltern unsere herzliche Theilnahme brieflich auszusprechen. – Auch der Tod der Luise von Haller geb. Niethammer in Bamberg ist mir nahe gegangen; sie war zu meiner Zeit in München4 ein liebliches Kind und ist auch auf dem Bild der Niethammerschen Kinder, das in meiner Amtsstube hängt. Den Bruder Friedrich, Legationssekretair jetzt in Berlin, habe ich besucht; leider habe ich diesen bei meinen häuslichen Verhältnissen irgend eine Aufmerksamkeit nicht erweisen können.

In meinem Hause geht es im übrigen leidlich vorwärts. Bei Friederike ist bis jetzt ein Rückfall nicht wieder vorgekommen, und sie agirt doch wieder im Zimmer herum; ins Freie hat sie freilich noch nicht gehen können, wir hegen aber die Hoffnung, daß sie zu Pfingsten5 wird nach Potsdam zur Erholung gehen dürfen. Die Kräfte sind noch schwach. – Marie hat das Bett bereits verlassen, muß nur noch etwas dunkel gehalten werden, um die Augen zu schonen; in 8 Tagen wird sie wohl ausgehen dürfen. Die beiden andern Kinder haben ungeachtet ihres ungehinderten Verkehrs mit der kranken Schwester die Masern bis jetzt nicht bekommen und scheinen sie diesmal unberührt zu bleiben.

Bei diesen verbesserten Umständen, welche die Hoffnungen aufleben lassen, beschäftigen sich unsere Gedanken gern mit den Sommerplänen. Kommt kein Rückfall, so dürfen wir hoffen, daß Friederike Anfangs Juli würde eine Reise antreten können; dann kann ich auch Urlaub erhalten und die Kinder haben Schulferien; letztere sind in Potsdam bei den Großeltern gern aufgenommen; doch wünschen wir Marie zu ihrer Erholung und Bekräftigung mitzunehmen; auch will meine Schwägerin Klara uns begleiten und Friederike pflegen. Deine herzliche Zustimmung zu der Wahl von Streitberg hat uns nun noch mehr in dem Wunsch bestärkt, dort in Eurer Nähe unser Quartier aufzuschlagen. Indessen ist die Frage, ob dort auch eine gute Molkeanstalt besteht und wirklich kräftige Molken gewonnen werden. Darauf kommt es vor Allem an. Erkundige Dich doch bei Deinen Freunden in Erlangen, ob man behagliches Quartier und gute Verpflegung für Patienten dort findet, und ob Vorausbestellung von Wohnung nöthig und rathsam ist. Denn es darf eine erträgliche und behagliche Existenz nicht fehlen, wenn eine Kur nützlich sein soll.

Hoffentlich wird die liebe Susanna sich von ihrer Erkältung wieder schon ganz erholt haben; im Freien zu sitzen ist jetzt noch bedenklich; denn trotz der warmen Sonne regiert doch immer noch der scharfe Ostwind. Das Frühjahr ist aber prächtig herausgekommen und wir freuen uns, daß Ihr in Eurem Gärtchen eine so erwünschte Erholung findet.

Prinz Napoleon6 hat uns auch wieder verlassen; seine äußere Erscheinung war schon widerwärtig; ich sah ihn bei der Parade; er saß wie ein dicker Frosch oder vielmehr wie eine Padde7 zu Pferd. In seinen Unterredungen soll er aber Kenntnis und Anstand gezeigt haben.

Von Friederike viele herzliche Grüße; ebenso grüßt auch Clarine.

Mit den treusten Wünschen

Dein Immanuel