leider habe ich Sie um Ostern1 nicht in München angetroffen. Als ich Ihnen unter d[em] 8 Febr[uar] Brief 18570208_01, auf Ihr geehrtes Schreiben vom 30. Jan[uar]Brief 18570130_01, betr[effend] die Errichtung eines historischen Seminars an hiesiger Universität2, antwortete, behielt ich mir noch Mehreres zur mündlichen Besprechung und Erläuterung vor. Seitdem habe ich hier eine längere Erfahrung, sowohl in Beziehung auf die hiesigen akademischen Verhältnisse im Allgemeinen, als den historischen Unterricht insbesondere, gewonnen. Ich halte es für wichtig, Ihnen nachträglich die Ergebnisse derselben mitzutheilen, um den Standpunkt zu bezeichnen, von dem ich unsere Aufgabe betrachte, und welche Mittel und Wege mir zur Erreichung derselben erforderlich scheinen.
Es liegt in der Absicht unseres Allerhöchsten Gönners und liberalen Beförderers recht wissenschaftlicher Bildung in Bayern3, den historischen Unterricht an den Universitäten und Gymnasien zu heben. Zu diesem Zweck sind zuvörderst wir Universitätslehrer - wir zwei, glaube ich, ganz speciell durch I[h]r[e] Majestät den König selbst - berufen worden. Ich bin mit dem Entschluß hierher gekommen, diesem Zweck alle meine Kräfte, und zwar in den ersten Jahren ganz ausschließlich, zu widmen. Welches Material und Arbeitsfeld habe ich nun hier gefunden?
Ich bemerkte bereits in meinem früheren Schreiben, daß ich den Stand der hiesigen Univ[ersitäts-] Bibliothek in meinem Fach äußerst mangelhaft und offenbar vernachlässigt gefunden habe: Doch habe ich mich seitdem überzeugt, daß mit einiger Nachhülfe sich doch mit der Zeit wenigstens so viel erreichen lassen wird, um das Nöthige für die bloßen Unterrichtszwecke zu ergänzen.
Was sodann mein Arbeitsfeld und meine Wirksamkeit betrifft, so habe ich im vorigen Semester Neuerer Geschichte und historischen Übungen begonnen. Ich habe dabei wohl einige erfreuliche, aber doch nicht die erwartete Theilnahme gefunden. Die Hauptsache ist, daß die eigentlichen Philologen, also diejenigen auf welche, als die künftigen Schulmänner, gerade vorzugsweise zu rechnen wäre, sich am wenigsten bei meinen Vorlesungen betheiligen. Das historische Studium wird von ihnen offenbar als etwas bloß Nebensächliches oder auch ganz Überflüssiges angesehen, als worauf es bei ihrer künftigen Prüfung als Schulamtscandidaten wenig oder gar nicht ankomme. Und doch sollen nach unserer Schulordnung für Gymnasien die Classenlehrer zugleich den geschichtlichen Unterricht ertheilen! Man kann sich denken, was aus diesem wird.
mit Vorlesungen über Mittlere Geschichte und Quellen der deutschen Geschichte, im gegenwärtigen mitEs scheint mir daher vor Allem erforderlich, daß den sich dem Schulfach widmenden Studierenden die Meinung benommen werde, als ob sie die Historie nicht ordentlich zu treiben und zu studieren hätten. Sie wissen, welche Einrichtungen bei den Prüfungscommissionen für Schulamtscandidaten in Preußen bestehen: die Geschichte wird da ganz besonders berücksichtigt, und doch verlangt man dort keineswegs von den höheren Classenlehrern, wie bei uns, daß sie zugleich den Geschichtsunterricht mit übernehmen sollen. Man läßt dort mehr Trennung der Fächer und besondere Qualificationen zu – was ohne Zweifel sehr viel für sich hat, – aber um so mehr müßte bei den hiesigen Prüfungen zugleich auf die Befähigung für den geschichtlichen Unterricht gesehen werden.
Ich habe nun bereits in München mit besonderer Befriedigung vernommen, daß Sie in die Prüfungscommission für Gymnasiallehrer4 eintreten werden. Damit wird gewiß sehr viel geholfen sein. Aber was jetzt noch zu wünschen übrig bleibt ist, daß Ihre Berufung in dieselbe auch gleich bekannt gemacht und daß zugleich in nachdrücklicher Weise öffentlich angekündigt werde, welche Leistungen in der Geschichte von den Candidaten verlangt werden, um den Studien von diesen schon jetzt auf den Universitäten die bestimmte Richtung zu geben.
Eine schärfere Prüfung und Ankündigung derselben erscheint mir also als das Erste und Nothwendigste, und noch dringender, als selbst die Errichtung historischer Seminarien, um die historischen Studien auf den Universitäten recht in Gang zu bringen.5 Die Seminarien werden natürlich von wesentlichem Nutzen sein. Ich habe bereits in diesem Semester mit historischen Übungen begonnen; auf selbständige Arbeiten der Theilnehmer – ich habe deren nur drei gefunden – dürfte aber kaum zu hoffen sein, so lange keine Prämien in Aussicht stehen. Durch diese wird ohne Zweifel eine größere Betheiligung erwirkt werden, aber ein rechter Ernst des Studiums darf immer nur dann zu erwarten sein, wenn - wie das Studieren nun einmal heut zu Tage bei den meisten beschaffen ist - eine gehörige Prüfung zur Amtsbefähigung6 angeordnet wird.
Was die Mittel zur Errichtung eines historischen Seminars an hiesiger Universität u[nd] die Art ihrer Aufbringung betrifft, so muß ich aus näherer Kenntniß der hiesigen Verhältnisse mein früheres Schreiben vom 8 Febr[uar] noch in etwas ergänzen und berichtigen.
Ich glaube jetzt, daß ich zu ängstlich für unseren UniversitätsEtat besorgt gewesen bin; jedenfalls bin ich ganz außer Stande zu beurtheilen, was derselbe im künftigen Jahr (vom 1 October d[es] J[ahres] an) und später wird leisten können oder nicht. Dringend muß ich jedoch noch immer wünschen, daß, wenn es zur Einrichtung eines historischen Seminars aus Universitätsmitteln kommen soll, zuvor durch ein hohes Ministerium das Gutachten des k[öniglichen] Universitäts Senats eingefordert werde. Ich bezweifle nicht, daß dieser, dessen Mitglied ich selber bin, dabei jedes bereitwillige Entgegenkommen beweisen wird, und um des guten collegialischen Verhältnisses willen möchte ich wenigstens nichts für mich erreichen, wozu nicht meine Collegen ihre Zustimmung gegeben haben.
In Ansehung des Bedarfs habe ich meine subjective Ansicht, im Anschluß an Ihre Propositionen, schon in meinem früheren Schreiben ausgesprochen; doch muß ich jetzt noch die Modification hinzufügen, daß für die Leitung des Seminars nur 100 fl[orin], statt 150, zu proponiren sein würden, nachdem ich erfahren, daß dies hier die gewöhnliche Remuneration ist.
Indem ich diese ganze Angelegenheit Ihnen zur Beförderung an die Entscheidung der Allerhöchsten Stelle7 dringend ans Herz lege, bin ich in vorzüglicher Hochachtung und aufrichtiger Ergebenheit