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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 7. September 1857

Lieber Karl!

Wir dürfen nun wohl annehmen, daß auch Ihr jetzt wieder in Euer Haus zurückgekehrt1 sein, und Euch in dem alten Gleise bewegen werdet. Wir haben lange nichts von einander gehört, und sind voll Verlangen, von Euch, von Euren Wanderungen und Genüssen, von Euren Schicksalen und Befinden Nachricht zu erhalten. Es ist mir fast verwunderlich, daß ich andererseits an den Mittag anknüpfen muß, da wir Euch in Augsburg verlassen haben, indem diese Zeit uns bereits so ganz fern gerückt ist. Aus Nürnberg freilich werdet Ihr durch die Schwestern von uns über unsern Aufenthalt in Nürnberg gehört haben. Wir trafen Eure Kinder sehr fröhlich und wohlgemuth im Garten; vorher marschirten wir im stärksten Regen in der Stadt umher, wo noch viele Einkäufe gemacht wurden. Im verspotteten „rothen Hahn“ logirten wir ganz gut, und waren wir auch mit der billigen Rechnung zufrieden.

Die nächste Nacht wurde in Leipzig zugebracht und endlich am 30sten August Mittags kamen wir in Potsdam an, wo wir von Groß und Klein mit Jubel begrüßt wurden. Die Kinder sahen recht wohl aus, und die gute Mutter konnte sie uns mit vollster Befriedigung zurückgeben. Ich wanderte dann am folgenden Morgen nach Berlin, um mich im Staatsministerium zu präsentiren, und hier sitze ich nun auch wie vor Alters, reichlich mit Arbeit umgeben. Friederike blieb noch einige Tage in Potsdam, um sich von der Reise zu erholen, und kehrte dann mit allen Kindern in ihr Haus zurück, um endlich das Hausregiment nach langer Zeit wieder zu übernehmen. Bis jetzt hat die Kur noch vorgehalten, und wir wollen wünschen, daß sie auch ferner rüstig bleibe. Man findet sie allgemein viel wohler aussehend, und auch ist sie von ihrem Uebel nicht wieder heimgesucht worden. Die Kinder besuchen wieder ihre Schule, und auch Clärchen macht langsam Fortschritte im Sprechen.

Die Eltern haben sich noch nach unsrer Rückkehr entschlossen, eine Erholungsreise zu unternehmen; sie sind, nach einiger Deliberation, mit Clara wieder nach Friedrichroda bei Gotha gegangen, wo sie bei der Superintendentin2  freundliche und behagliche Aufnahme gefunden haben; sie schreiben sehr heitere Briefe, wenn auch Clara die Bilder, welche sie von den Alpen mitgebracht hat, in der Erinnerung zurückdrängen muß, um sich nicht den Genuß an der Gegenwart durch nachtheilige Vergleiche zu verderben. Sie wollen etwa drei Wochen dort zubringen. – Theodor ist noch in Schleitz, wo er sich der Gesellschaft von Tholucks aus Halle erfreut, welche auch die Kur der Frau Graff gebrauchen wollen. Die beiden andern Brüder waren gestern zum Besuch bei uns, da wir die Feier von Friederikens Geburtstag3 auf den Sonntag verlegt hatten. Herrmann wird nun bald nach Danzig seiner Frau nachfolgen und hofft binnen Kurzem in dortiger Gegend ein Gut zu erwerben. Der alte Skalley war auch gestern Mittag bei uns; nach Tisch machten wir mit ihm eine Spazierfahrt nach Pankow und Schönhausen.

In den letzten Tagen sind hier mehrere Todesfälle vorgekommen, welche allgemeine Theilnahme erregten, insbesondere der von Lichtenstein und dem Stadtverordneten-Vorsteher Fähndrich; der letztere berührt mich näher, weil ich mit letzterem, einem sehr braven achtbaren Mann von der Zeit meiner städtischen Thätigkeit her befreundet war4, und da er mich per Testament zum Vor- mund seiner 6 Kinder bestellt hat. Er hat ein ansehnliches Vermögen – circa 300.000 th – hinterlassen, was er sich durch Fleiß und Sparsamkeit in rechtlichster Weise erworben, und für die Verwaltung des Vermögens sind besondere Kuratoren ernannt, so daß ich damit unmittelbar nichts zu thun habe. Dagegen ist mir mit der Erziehung der Kinder eine rechte Sorge zugefallen, um so mehr, als ich der Familie ganz fern stehe, und ihr Lebenskreis von dem meinigen ganz verschieden ist. Es sind 3 Knaben und 3 Mädchen von 9 – 17 Jahren; die Knaben haben mir gut gefallen; die Mädchen muß ich in der Hauptsache der Sorge der Mutter überlassen; die letztere ist eine bürgerliche Hausfrau von bescheidenen Ansprüchen und an ein selbständiges Auftreten nicht gewöhnt.

Wenn Du nach Erlangen zurückgekehrt, wirst Du uns gewiß bald schreiben und ich bitte Dich dann mir auch die Aktien der Berlin-Potsdam-Magdeburger Eisenbahn – Prioritäts-Obligation Lit. C. – über 100 th No 3530, welche längst ausgeloost ist, zur Realisirung zu übersenden.

Friederike wird, sobald Ihr heimgekehrt, schreiben. Sie hat nun eine lebhafte Correspondenz mit Friedrichroda zu führen; sie sendet für heute herzliche Grüße. Wir wünschen, daß Eure Reise von schönem Wetter begünstigt, Euch reichen Genuß gewährt und Ihr recht befriedigt und in bester Gesundheit sie vollendet haben möchtet; hoffentlich habt Ihr auch Eure Kinder wohl und fröhlich zu Hause angetroffen.

In treuer Liebe

Dein Immanuel