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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 21. September 1857

Lieber Karl!

Mit großer Freude haben wir Deinen Reisebericht erhalten1, und mit lebhafter Theilnahme den kühnen Zug verfolgt, der Euch bis nach Italiens schönen Gauen geführt hat.2 Ein solcher Blick in diese herrliche Natur mit den reizenden und großartigen Seen, welche in die Alpen zurückführen, ist ein unvergleichlicher Grund, welcher Euch eine reiche Erinnerung zurückläßt. Es ist nur zu beklagen, daß man sich auch hierbei überall Schranken ziehen muß, da des Schönen und Herrlichen so viel in der Nähe liegt, daß es schwer wird, unversucht daran vorüberzugehen. Ihr seid sehr fleißig gewesen in der kurzen Zeit und doch möchte man nach Manchem fragen, an welchem Ihr ohne Aufenthalt vorübergegangen seid. Aber freilich ist es da schwer, ein Ende zu finden, und es ist eine Beruhigung, wenn man noch für das nächste Jahr etwas übrig läßt. Ihr habt es jetzt in der That außerordentlich nahe, um bis zu den Alpen zu gelangen, auch schon das Algäu, welches Ihr diesmal aufgegeben habt, soll, wie uns hier von mehreren erzählt worden, sehr reich an den schönsten Landschaften sein.  

Nach Deinem Briefe müssen wir schließen, daß es mit Susannens dicker Backe bald besser geworden und Ihr Beide im besten Wohlsein die Reise zurückgelegt und davon erfrischt zurückgekehrt seid. Ihr habt ebenso die Freude gehabt, Eure Kinder wohl und fröhlich wieder anzutreffen und werdet nun insgesamt in das Stillleben zu Erlangen Euch wieder eingelebt haben.

Bei uns ist es bisher ganz leidlich gegangen; Friederike hat sich wohl und frisch erhalten, und freut sich im Hause nach alter Weise thätig  sein zu können. Ich bin im Stillen unendlich dankbar dafür, lebe aber, weil ich dieses Glück so lange habe entbehren müssen, immer noch eine gewisse Bangigkeit, daß es bald wieder eine Störung erfahren möchte. Ich habe etwas Sorge vor dem Winter, und sehe daher jetzt mit um so größerem Bedauern die schönen Sommertage scheiden. Schon kündigt sich der Herbst bei uns mit kaltem Morgen an, und die Bäume entblättern sich ungewöhnlich rasch. Die Kinder waren auch von dem Umschlag des Wetters angefochten; Willi und Clärchen kamen mit Fieber zum Liegen, haben er jedoch beide rasch überwunden.

Deine Obligation3 habe ich mit Deinem Briefe erhalten, und nicht gesäumt, dieselbe mit den Coupons auf dem hiesigen Bahnhof an der Kasse zur Realisation zu präsentiren. Ich wurde aber damit nach Potsdam zur Hauptkasse verwiesen, da die Frist, in der hier auch gezahlt wird, längst verflossen. So bin ich bis jetzt nicht dazu gekommen, das Geld zu erheben; die Schwiegereltern kehren erst im Laufe dieser Woche nach Potsdam zurück und werde ich dann entweder selbst hinüberfahren oder meinen Schwiegervater bitten, für mich das Geld erheben zu lassen. Ich habe auch sonst jetzt Niemand drüben, welcher es mir besorgen konnte, da auch keiner von den Brüdern4 dort ist. Es thut mir sehr leid, Dir das Geld jetzt nicht schicken zu können, sollte aber meinen, daß Du nicht wohl in Verlegenheit kommen kannst, da die Gelder von unserer Erbschaft der Tante Sophie in der Tucherschen Kasse sich befinden. Onkel Siegmund war bei unserer Hinreise erbötig, mir davon, so viel ich brauchte, auszahlen zu lassen. Wenn ich nicht des Vormittags vorher Geschäft in Potsdam bei der Kasse ab- machen müßte, so wäre ich doch wohl hinübergegangen; dies war mir aber in dieser Zeit schwer möglich, da ich sehr viel zu thun habe. Costenoble ist nach Helgoland verreist und muß ich ihn vertreten. – Die Eltern schreiben von Friedrichroda sehr befriedigt, wo sie meist auch sehr schönes Wetter gehabt haben. Herrmann ist jetzt hier, um seine Meubel zusammen zu packen und nach Danzig zu spediren. Ein passendes Gut hat sich noch nicht gefunden, obschon mehrere in Vorschlag waren.

Von dem Evangelischen Bund kann ich Dir wenig mehr erzählen, als in den Zeitungen steht; ich habe nicht Zeit gefunden, auch nur einmal hinzugehen, obwohl ich besondere Billets hatte. Die Orthodoxen5 haben sich davon fern gehalten; ebenso die Rationalisten6. Die Verhandlungen waren würdig und von Interesse, wenn auch nach der Natur der Sache, ohne positive Resultate. Die Orthodoxen haben jedoch durch ihre vorschnelle Opposition und übermäßiges Eifern unstreitig eine moralische Niederlage erfahren, und ist auch der König zu einem entschiedenen Auftreten gegen sie veranlaßt worden. Ihr Terrorismus hat einen harten Stoß erfahren, da viele angesehene gläubige Geistliche sich von ihnen getrennt haben. Ob die durch persönliche Bekanntschaften angeknüpften näheren Beziehungen mit der englischen und amerikanischen Kirche von fruchtbaren Folgen sein werden, vermag ich nicht zu beurtheilen.

Friederike wollte auch schreiben; da sie aber wegen großer Wäsche doch nicht dazu gekommen, so will ich es ihr vorbehalten, in diesen Tagen besonders zu schreiben und diesen Brief nicht aufhalten. Sie dankt herzlich für Eure freundlichen Glückwünsche.7 – Ich würde Dir gerne Geld von dem Meinen schicken; ich bin aber auch ganz zu Ende, und Bestand von Deinem Conto habe ich nicht, vielmehr bin ich mit 6 Taler 20 Silbergroschen 1 Pfennig im Verlust.

Herzliche Grüße der lieben Susanna und Deinen Kindern von Deinem getreuen Bruder

Immanuel