Berlin den 30ten September 1857.
Lieber Karl!
Für Deine brüderlichen Glückwünsche sage ich Dir meinen herzlichsten Dank; sie trafen hier ein zu einem großen Familienkreis, welcher sich unerwartet bei uns versammelt hatte. Es waren die Eltern am Abend vorher nach Potsdam zurückgekehrt, und hatten mir die Freude machen wollen, mich mit den Geschwistern an meinem Geburtstage zu begrüßen. Ein solcher Tag ist immer eine laute Mahnung an den Fortschritt unserer Lebensjahre und an die Kürze der Spanne Zeit, welche uns hienieden beschieden ist. Dies halte ich mir auch wohl oft vor und nehme um so mehr jedes neue Lebensjahr und die Güter, welche es mir erhält und bringt, als ein Geschenk der göttlichen Gnade mit dem innigsten Dank an. Es mußte mir diesmal eine besondere Freude sein, daß auch Friederike den Tag in erwünschtem Wohlsein feiern konnte, und daß wir in das neue Jahr mit der Hoffnung gehen durften, daß es uns mit Gottes Hülfe weniger Sorgen um Gesundheit als das vergangene Jahr bringen möchte. Wenigstens müßten dies vorzugsweise unser Wunsch und unser Gebet sein.
Die Eltern sind, wie gesagt, von Friedrichsroda und zwar sehr befriedigt und recht erfrischt zurück- | gekehrt; sie waren auch gestern wieder hier; der Vater reiste nach dem Oderbruch und die Mutter mit Clara fuhren zu einem mehrtägigen Besuch nach Tegel zu Bülows.
In meinem Hause ist auch allen wieder wohl; die Kinder haben ihre Herbstattaquen sehr bald überwunden und eben hält Friederike mit Marie Klavierübungen, die nun auch begonnen worden sind; doch vorläufig nur erst bei der Mama.
In meinem Amt habe ich dadurch eine wichtige Zugabe erhalten, daß mir in Folge der Pensionierung meines alten Geheim Raths Adelung von dem Minister-Präsidenten die Verwaltung des Staatsschatzes und des mit dessen Rendantur verbundenen Nebenfonds interimistisch übertragen worden. Ich habe bereits heute Vormittag die Geschäfte übernommen und eine Revision der Kasse abgehalten; das Lokal ist in der breiten Straße im alten Marstallgebäude. Leider war auch die Verwaltung des Münzwesens damit verbunden; diese ist nun aber an das Finanzministerium übergegangen. Die ganze Verwaltung ist in einer Umgestaltung begriffen; doch werde ich wahrscheinlich die Verwaltung des Staatsschatzes und jenes Nebenfonds als Nebenamt behalten und dafür vermuthlich eine angemessene Remuneration beziehen. Der Minister-Präsident machte mir erst vorgestern die erste bezügliche Eröffnung und darf ich dies allerdings als einen Beweis seines besonderen Vertrauens ansehen. Wenn ich mich erst darin orientirt und die Verwaltung sich in ihrer Einrichtung festgestellt und konsolidirt haben wird, wird auch | die laufende Verwaltung nicht viel Arbeit machen. Augenblicklich ist nur der Uebelstand, daß mit dem alten Adelung die beiden ersten Beamten der Rendantur auch abgehen. Der Staatsschatz selbst in den Kellern des Schlosses wird mir erst nach einigen Tagen übergeben werden; ich werde als Kurator dazu 17 riesige Schlüssel erhalten, während der Rendant für sich 14 Schlüssel hat. – Meine übrigen Geschäfte erleiden dadurch keine Veränderung.
Von Henning erhielt ich gestern mit den Quartalzinsen die Mittheilung, daß er von dem Käufer seines Hauses sitzen gelassen worden und daher nicht im Stande sei, jetzt die gekündigten 1400 th zu zahlen; er wolle sie aber am 1ten Dezember currentis auf die eine oder andere Weise beschaffen. Unter disen Umständen wollen wir disen Termin abwarten, doch ist es mir um so lieber, jetzt das Kapital gekündigt zu haben, da er immer in seinen Geldgeschäften komplizirte Operationen zu machen scheint. Allerdings ist der Geldmarkt gegenwärtig sehr gedrükt und wird er nicht Lust gehabt haben, Geldpapiere zum schlechten Kurs zu verkaufen. – Deine Berlin-Potsdam Magdeburg Obligation habe ich durch die Potsdamer realisiren lassen, und mit Hinzurechnung der Zinsen ab 1ten October etwa 130 th für Dich erhalten. Wenn Du mich fragst, was Du mit diesem Geld, wenn Du es nicht brauchst und mit den von Henning zu erwartenden 700 th machen sollst, so würde ich es allerdings für das natürlichste halten, daß Du Deine Kapitalien in Deiner jetzigen Heimath anlegst, um sie zur eigenen freien Verfügung zu haben. Findet sich aber dort keine Gelegenheit oder ist der Zuschuß zu gering, so | werde ich Dir, falls Du es wünschst, hier gern Papiere ankaufen und sie mit den andern verwalten. Die 4 ½ prozentigen Staatspapiere stehen auf 99 ½ - 100 th, und gute Eisenbahn-Prioritäts Obligationen (4 ½ prozentig) auf 97-98, ein Kurs, welcher freilich manchen geringen Wechseln unterliegt. Hiernach kannst Du es selbst beurtheilen und etwa auch mit Onkel Siegmund berathen. Doch möchte ich Dir nicht rathen, Dich auf besondere Spekulationen mit Deinem kleinen Kapital einzulassen; dies ist nur bei größerem Vermögen und von Jemand zu unternehmen, welcher immer mit solchen Geschäften umgeht und mit deren Wandlungen vertraut bleibt.
Dr. Haym aus Halle war in disen Tagen hier, um mir die Manuskripte des Vaters zurükzugeben; ich habe ihn leider verfehlt; sein Werk wird nun wohl auch zu erwarten sein und ich bin sehr gespannt darauf. – Von Hotho, dem ich in diesen Tagen mit seinem Sohne auf der Straße begegnete, soll ich Dich grüßen; er wird auch älter und sah recht bekümmert aus. Auch Schmidt besuchte mich, um mir die traurige Nachricht mitzutheilen, daß sein Sohn, welcher in das Handelsgeschäft … eingetreten war, gleichfalls am grauen Staar leidet; er soll nun Oekonom werden und in der Nähe von Berlin zu einem Landwirth in die Lehre gehen.
Der Kirchentag oder vielmehr Evangelische Bund ist nun vorüber; wird jedoch auf die Stellung der kirchlichen Vorstände nicht ohne Einfluß bleiben. Er hat schon die Wirkung gehabt, Stahl zu veranlassen, den Kirchentag in Stuttgart zu besuchen, obwohl dieser in den letzten Jahren fast auch schon bei den Gestrengern in Mißkredit gekommen war, weil er zu gemischt ist und
Bethmann-Hollweg an der Spitze steht.
Friederike ist dismal endlich auch zum Schreiben gekommen; herzliche Grüße der lieben Susanna und den Kindern von
Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel)Immanuel HegelJurist/Konsistorialpräsident der Provinz Brandenburg11657072518141891 Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel) (1814–1891), Bruder Karl Hegels, studierte von 1832 bis 1834 und von 1835 bis 1836 Jura an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, von 1834 bis 1835 an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München, trat 1836 in den preußischen Staatsdienst ein und war als Verwaltungsjurist in verschiedenen Verwendungen des Königreichs Preußen, vor allem im Staatsministerium, tätig, wurde 1865 Präsident des Konsistoriums der Provinz Brandenburg, heiratete 1845 Friederike Flottwell (1822–1861) und 1865 Clara Flottwell (1825–1912), beide Töchter des oftmaligen preußischen Oberpräsidenten und Staatsmanns Eduard Heinrich Flottwell (1786–1865), war u. a. Vater des preußischen Verwaltungsbeamten und Politikers Wilhelm (Willi) Hegel (1849–1925), war 1856 Taufpate seines Neffen Georg Hegel (1856–1933).
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
Privatbesitz
.
Privatbesitz
1000
Flottwell, Eduard HeinrichEduard Heinrich Flottwell11663107417861865Flottwell, Eduard Heinrich (1786–1865), preußischer Staatsmann, Minister und oftmaliger Oberpräsident, u. a. von 1841 bis 1844 Oberpräsident der Provinz Sachsen, 1849/50 Oberpräsident der Provinz Preußen, 1850 Oberpräsident der Provinz Brandenburg, Schwiegervater Immanuel Hegels (1814–1891).
Bülow, Gabriele, geb. Humboldt
11866462X18021887 Bülow, Gabriele, geb. Humboldt (1802–1887), in Berlin geborene Tochter des preußischen Gelehrten und Staatsmanns Wilhelm Humboldt (1767–1835) und seiner Frau Caroline, geb. Dacheröden (1766–1829), sowie Ehefrau des preußischen Diplomaten und Staatsmanns Heinrich Bülow (1791–1846). Sie hatte sieben Kinder und erbte des Vaters Tegeler Schloß; von ihr erbte es ihre jüngste Tochter Constanze (1832–1920), die mit Carl Heinz (1818–1867) verheiratet war.
Hegel, Marie (Maria), verh. BitterMarie Hegel, verh. Bitter103810830618481925Hegel, Marie (1848–1925), Tochter Immanuel (1814–1891) und Friederike Hegels, geb. Flottwell (1822–1861), Ehefrau des Juristen, hohen preußischen Verwaltungsbeamten, Kronsyndikus und Politikers Rudolf Bitter (1846–1914), siehe auch: Bitter, Marie.
Adelung, N. N.-Adelung, N. N., Geheimrat, pensioniert 1857, Verwaltung des preußischen Staatsschatzes.
Manteuffel, Otto Theodor11673599618051882Manteuffel, Otto Theodor (1805–1882), in Lübben im Spreewald geboren, war ein konservativer preußischer Politiker, von 1848 bis 1850 preußischer Innenminister, dann bis 1858 preußischer Ministerpräsident.
Henning, Leopold August Wilhelm DorotheusLeopold Henning10016287817911866Henning, Leopold August Wilhelm Dorotheus (1791–1866), in Gotha geborener Philosoph, der 1825 außerordentlicher, 1835 ordentlicher Professor der Philosophie an der Universität Berlin wurde. Von 1827 an war er Redakteur der Zeitschrift der Hegelianer, der „Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik“.
Haym, RudolfRudolf Haym11854738018211901Haym, Rudolf (1821–1901), teilweise auch Heym, in Grünberg in Schlesien geborener Philosoph, Literarhistoriker und politischer Publizist, der von 1839 bis 1843 an den Universitäten Halle und Berlin evangelische Theologie, Philosophie und Klassische Philologie studierte. Er war Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49 und ab 1868 ordentlicher Professor für deutsche Literatur an der Universität Halle, deren Rektor er im Studienjahr 1873/74 war. Im Jahre 1900 wurde er auswärtiges Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften.
Hegel, Georg Wilhelm FriedrichGeorg Wilhelm Friedrich Hegel https://www.deutsche-biographie.de/sfz28648.html#ndbcontent11854773917701831 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1770–1831), Philosoph, Ehemann Maria Helena Susanna Hegels, geb. Tucher (1791–1855), Vater Karl und Immanuel Hegels , von 1808 bis 1816 Gymnasialrektor und Schulrat in Nürnberg, ordentlicher Universitätsprofessor für Philosophie von 1816 bis 1818 an der Universität Heidelberg und von 1818 bis 1831 an der Universität Berlin.
Hotho, Heinrich GustavHeinrich Gustav Hotho11915495118021873Hotho, Heinrich Gustav (1802–1873), in Berlin geborener hugenottischer Fabrikantensohn, Kunsthistoriker und Philosoph, der von 1821 bis 1824 an den Universitäten Berlin und Breslau studierte und sich 1827 in Berlin habilitierte. Zunächst Privatdozent, wurde er 1828 außerordentlicher Professor der Kunstgeschichte an der Berliner Universität, 1832 Mitarbeiter in der Gemäldegalerie und 1859 Direktor des Berliner Kupferstichkabinetts.
Hotho, Heinrich Wilhelm18301861Hotho, Heinrich Wilhelm (1830–1861), Sohn Heinrich Gustav Hothos (1802–1873), der 1854 sein Studium der Rechtswissenschaften beendete, aber aufgrund einer chronischen unheilbaren Krankheit kein Examen mehr machen konnte.
Stahl, Friedrich Julius11861664118021861Stahl, Friedrich Julius (1802–1861), in Heidingsfeld bei Würzburgs geborener, zum Luthertum konvertierter Jude, Jurist, Rechtsphilosoph und Politiker, der von 1834 bis 1840 ordentlicher Professor für Staats- und Kirchenrecht an der Universität Erlangen, dann von 1840 bis zu seinem Tode ordentlicher Professor für Rechtsphilosophie, Staats- und Kirchenrecht an der Universität Berlin war. Von 1849 bis 1854 war er Mitglied der Ersten Kammer des preußischen Landtages, 1850 im Erfurter Unionsparlament Mitglied des Volkshauses.
Bethmann-Hollweg, Moritz AugustMoritz August Bethmann Hollweg11851033917951877Bethmann-Hollweg, Moritz August (1795–1877), in Frankfurt am Main geborener Jurist und Politiker, der sich nach seinem Studium an den Universitäten Göttingen und Berlin 1819 habilitierte und 1823 ordentlicher Professor für Zivilrecht in Berlin wurde. Nach seinem Rektorat 1827/28 wechselte er 1829 an die Universität Bonn und wandte sich, gefördert vom preußischen König Friedrich Wilhelm IV. (1795–1861), verstärkt politischen und kirchlichen Entwicklungen zu. 1848 begründete er im Sinne einer Einigung der evangelischen Kirchen Deutschlands in einem ersten Versuch einen Deutschen Evangelischen Kirchentag, dessen Präsident er bis 1872 blieb, zeitweise zusammen mit Friedrich Julius Stahl (1802–1861).
Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher
Susanna Maria Hegel, geb. Tucher116146891918261878Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher (1826–1878), häufig „Susette“ genannt, Tochter Johann Sigmund Karl Tuchers (1794–1871) und Maria Magdalena Tuchers, geb. Grundherr (1802–1876), Ehefrau Karl Hegels (1813–1901); siehe auch: Tucher, Susanna Maria.
Potsdam52.4009309,13.0591397Garnisons- und Residenzstadt des Königreichs Preußen an der Havel, etwa 30 Kilometer südwestlich von Berlin gelegen.
Friedrichroda50.861175,10.5639143Etwa 25 Kilometer südöstlich von Eisenach im Thüringer Wald gelegener heilklimatischer Kurort.
OderbruchEtwa 70 Kilometer östlich von Berlin nahe Küstrin gelegenes Überschwemmungs- und Feuchtgebiet an der Oder, dessen Trockenlegung und Besiedlung in der Mitte des 18. Jahrhundert unter dem preußischen König Friedrich II., dem Großen (1712-1786), erfolgte.
Tegel52.5873891,13.2790461Etwa zwölf Kilometer nordwestlich von Berlin am Tegeler See gelegener Ort mit Jagdschloß.
Halle51.4825041,11.9705452Universitätsstadt an der Saale, nordwestlich von Leipzig gelegen, 1680-1701 kurbrandenburgisch, dann Stadt des Königreiches Preußen.
Stuttgart, auch: Stuttgard48.7784485,9.1800132Am Neckar gelegene Haupt- und Residenzstadt des Königreichs Württemberg.
München48.1371079,11.5753822Haupt- und Residenzstadt des Königreichs Bayern an der Isar in Oberbayern.
StaatsschatzBargeld und Edelmetalle, vor allem Gold, die das Vermögen eines Staates bilden.
RendanturRechnungsbehörde.
Alter Marstall (Berlin)Das aus dem 15. Jahrhundert stammende Gebäude wurde nach einem Brand in den Jahren 1665 bis 1670 wieder aufgebaut und neuen Nutzungen zugeführt. Ende des 19. Jahrhunderts erfolgte als Erweiterung der Bau des Neuen Marstalls am Berliner Schloßplatz.
Remuneration, RemunerationenZusätzliche Bezahlung, Gratifikation; hier auch im Sinne von Gegenleistung(en) und Vergütung(en) gebraucht im Sinne einer regelmäßigen Gehalts- bzw. Lohnzahlung.
Schloß (Berlin)Das Schloß auf dem südlichen Teil einer Spree-Insel inmitten Berlins war seit dem 15. Jahrhundert die Hauptresidenz der Kurfürsten von Brandenburg, seit 1701 der Könige in und von Preußen sowie ab 1871 der Deutschen Kaiser. In den Jahren 1698 bis 1713 wurde es nach den Plänen der Architekten Andreas Schlüter (1659-1714) und Johann Friedrich Eosander (1669-1728) grundlegend umgebaut.
ObligationSchuldverschreibung für festverzinsliche Wertpapiere in der Form von öffentlichen Staatsanleihen, in der sich der Aussteller dem Gläubiger gegenüber zu einer Geldleistung mit laufender Verzinsung verpflichtet.
Grauer StarKatarakt, in einer Linsentrübung bestehende Augenerkrankung.
Evangelischer Bund (1848)Mit den von 1848 bis 1872 stattfindenden 16 Kirchentagen an verschiedenen Orten der Staaten des Deutschen Bundes, die auch als „Evangelischer Bund“ bezeichnet wurden, wurde das Ziel verfolgt, parallel zur staatlichen Einheitsbestrebung alle protestantischen Kirchen Deutschlands als Konföderation zusammenzuschließen, was nicht gelang. Die Kirchentage hatten keine Entscheidungskompetenz und waren in ihrer personellen Zusammensetzung einerseits aus Lutheranern, Reformierten und Unierten sowie andererseits aus Theologie-Professoren, Pfarrern und engagierten Laien höchst differenziert, weshalb schon die wichtige Frage der Abendmahlsgemeinschaft umstritten blieb. Die konfessionellen Gegensätze innerhalb des Protestantismus waren unüberwindbar.